Die Covid-19-Pandemie hat die gegenseitige Abhängigkeit unserer Volkswirtschaften und die Fragilität internationaler Abkommen dramatisch unter Beweis gestellt. Globale Ungleichheiten, deren Abbau in den vergangenen Jahrzehnten voran gekommen war, treten durch die globale Gesundheitskrise wieder mit Wucht hervor: Unterschiede zwischen Armen und Reichen werden wieder größer, lange gewachsenes Vertrauen in Partnerländer ist durch Reise- und Exportrestriktionen oder nationalistische Rhetorik wieder zerstört. Der Corona-Pakt der EU im August war da nur ein relativ kleiner aber wichtiger Lichtblick.
Multilaterale Kooperation war schon vor der Corona-Krise unter Druck. Zwar brachte die internationale Zusammenarbeit die erhofften ökonomischen Erfolge und erhöhte den materiellen Wohlstand vieler Menschen weltweit. Dafür gerieten aber die für Menschen ebenso wichtigen sozialen und ökologischen Strukturen unter Stress. Gewinnern der Globalisierung an einer Stelle stehen Verlierer an anderer Stelle gegenüber , die nicht ausreichend kompensiert wurden. Die Unzufriedenheit bricht sich bahn, indem internationale Institutionen und Globalisierungsprozesse abgelehnt oder angefeindet werden.
Die Pandemie hat offengelegt, dass die Strukturen internationaler Kooperation auf einen solchen Notfall nicht vorbereitet und nicht ausreichend stabil sind. Sie macht damit aber auch die Dringlichkeit klar, dies zu ändern. Pandemien oder Folgen des Klimawandels dürfen die internationale Gemeinschaft nicht unvorbereitet treffen. Wachsende Herausforderungen durch grenzübergreifende Digitalisierung, Skepsis gegenüber der Globalisierung in bisheriger Form und veränderte Machstrukturen in der Welt brauchen neue Lösungen. Die G20 haben sich von ihrer ökonomischen Fokussierung gelöst und sich zu einem wichtigen Forum entwickelt, diese neue Welt vorzubereiten und internationale Abstimmungsprozesse, die Global Governance, neu zu definieren.
Neuer Schub für die internationale Kooperation
Es gibt einige substanzielle Gründe anzunehmen, dass die globale Kooperation im Jahr 2021 einen neuen Schub erfahren könnte: Am 1. Dezember übernimmt Italien von Saudi-Arabien die rotierende G20-Präsidentschaft, die immer mit der Organisation einer Reihe von Arbeitsgruppen, Dialogformaten, Ministerkonferenzen und schließlich dem G20-Gipfel verbunden ist. Italien will seine Präsidentschaft auf die Säulen „People, Planet and Prosperity“ ausrichten und damit den Fokus der Präsidentschaft auf Nachhaltigkeit und Wohlergehen auch jenseits materieller Aspekte richten. Als besonders hart von der Pandemie getroffenes Land, steht Italien selbst vor der Aufgabe, seine Wirtschaft „besser als vorher“ wiederaufzubauen.
Roms G20-Sherpa Pietro Benassi unterstrich jüngst, dass sein Land Nachhaltigkeit in diesem Prozess nicht als Belastung sondern als Pluspunkt betrachten will. Als Führer des G20-Prozesses ist Italien in einer guten Position, dies auch zu einer globalen Strategie zu machen und damit auch international die Transformation zu einer nachhaltigeren Ökonomie voranzutreiben. Zumal Italien schon lange als Verfechter multilateraler Prozesse engagiert ist und die Regierung in Rom in der Pandemie im eigenen Land an Rückhalt gewonnen hat.
Italiens G20-Präsidentschaft fällt im nächsten Jahr zusammen mit der G7-Präsidentschaft Großbritanniens, das zudem Gastgeber des internationalen Klimagipfels COP26 sein wird. Im Jahr darauf folgen Indonesien (G20) und Deutschland (G7) und darauf Indien (G20). All diese Länder stehen in einer Tradition der internationalen Kooperation. Indonesien gilt als treibende Kraft hinter dem Verband Südostasiatischer Nationen ASEAN und engagiert sich stark in internationalen Foren. Indien und Deutschland haben sich eine Transformation globaler ökonomischer Entwicklungen auf die Fahnen geschrieben. Indiens Premierminister Narendra Modi etwa forderte jüngst auf einem G20-Sondergipfel eine „neue Form der Globalisierung in der Nach-Corona-Welt“ und betonte, es brauche eine humanitäre und nicht nur eine ökonomische Herangehensweise an Globalisierung.
Eine einmalige Chance
Deutschland hat während seiner EU-Ratspräsidentschaft, multilaterales Handeln eingefordert, damit die jetzige Krise genutzt wird, um sich besser auf globale Herausforderungen durch Klimawandel und Digitalisierung einzustellen. Die EU könne Standards setzen für eine nachhaltigere und fairere Zukunft, so die Bundesregierung. Großbritannien hat hohe Ansprüche formuliert, den Klimagipfel zu einem Erfolg zu führen. Schließlich kann eine künftige US-Regierung unter Präsident Joe Biden als gute Voraussetzung gesehen werden, wieder internationale Abkommen für bessere Lebensbedingungen weltweit erreichen zu können.
Diese Führungskonstellation in internationalen Fora in den kommenden zwei Jahren bietet eine einmalige Chance, den Multilateralismus zu revitalisieren und in gute Bahnen zu lenken. Die G20 haben sich in den vergangenen zwölf Jahren als wirksam erwiesen, politische Anstöße auf höchster Ebene zu geben, internationale Normen zu setzen und konkrete politische Schritt zu initiieren. Vor allem als Setzer von Normen können die G20 dazu beitragen, die in der UN vereinbarten Globalen Nachhaltigkeitsziele erreichbar zu machen. Sofern Nachhaltigkeit durch multilaterale Treffen tiefer im politischen Handeln und den begleitenden Narrativen verankert und zunehmend auch Teil unternehmerischer Strategien wird, kann die Corona-Krise zu einem Ausgangspunkt für eine tatsächliche ökonomische Transformation werden. Globalisierung kann dann wieder von einem Schreckgespenst zu einem Wohlfahrtsversprechen werden.
Dr. Dennis Görlich leitet am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) den Bereich Global Governance. Er ist zudem Forschungsdirektor der Global Solutions Initiative in Berlin, die sich die Beratung der G20 und anderer internationaler Foren zur Aufgabe gemacht hat.