Es ist inzwischen eher die Regel als Ausnahme, dass altgediente Fußballprofis – dekoriert mit den höchsten Titeln ihres Sports – zum Karriereende nochmal dahin wechseln, wo das große Geld lockt. Nach China, Japan, Katar oder in die USA – überall dorthin, wo jenseits der 30 Jahre noch Millionensummen auf die Altstars warten. Mit Saudi-Arabien ist nun aber ein neuer Player auf den Plan getreten, der diesen Zweitmarkt kräftig aufmischt. Mit noch größeren Summen, mit politischer Rückendeckung und absurden Klauseln.
Jüngstes Beispiel: Der Brasilianer Neymar. Neben einem üppigen Zweijahresvertrag über rund 160 Mio. Euro, erfüllt ihm sein neuer Klub Al-Hilal eine Reihe von Wünschen: darunter sieben Luxusautos, eine Villa mit mindestens 25 Zimmern und einen Privatjet, der jederzeit startklar ist. Und Neymar ist nicht der einzige Superstar, den es in diesem Jahr in die Wüsten-Liga zog. Unter anderem trifft er dort auf Größen wie Cristiano Ronaldo, Karim Benzema, Roberto Firmino und Sadio Mané – um nur einige Namen zu nennen.
Eine Promi-Liga für sich. Doch ist sie auch wettbewerbsfähig? Und gefährdet sie damit auch Europas Top-Ligen? Christoph Breuer von der Sporthochschule Köln gibt Antworten auf diese und weitere Fragen.
Das komplette Interview lesen Sie hier:
Capital: Herr Breuer, was passiert da gerade aus Ihrer Sicht in Saudi-Arabien?
CHRISTOPH BREUER: Das saudische Königshaus hat vor einigen Jahren beschlossen, die Wirtschaft des Landes zu transformieren und seine Herrschaft abzusichern. Die Bevölkerung dort ist sehr jung und gleichzeitig kämpft das Land gegen die hohe Arbeitslosigkeit. Der Sport ist dabei ein Teil der Lösung – einerseits, um das Image des Landes aufzubessern und zum anderen, um die Wirtschaft unabhängiger vom Ölgeschäft zu machen. Das Königshaus betreibt klassische Appeasement-Politik: Sie gibt der jungen Bevölkerung etwas, in diesem Fall Sport und Unterhaltung, damit diese zufriedener ist und die Herrschaftsstrukturen nicht infrage stellt. Nur daraus erklärt sich, warum dermaßen hohe Geldbeträge in den Sport investiert werden.
Und die saudischen Klubs sind Teil des Systems?
Die Klubs sind privat organisiert. Man muss allerdings davon ausgehen, dass kein Verein ohne die explizite Duldung des Königshauses operieren kann. Es bestehen also informelle Netzwerke zum Königshaus, damit zumindest das System nicht außer Kontrolle gerät. Zudem ist der saudische Investitionsfond PID Mehrheitseigner der saudischen Top-Klubs. Das ist Teil der „Vision 2030”, die auch auf den Sport abzielt. Daraus ergeben sich die finanziellen Möglichkeiten. Auch das Sportministerium hat offenbar mehrere hundert Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, um Profispieler zu verpflichten. Schon das zeigt, wie verflochten Sport und Politik in Saudi-Arabien sind und wie stark auch der politische Wille ist, erfolgreich zu sein.
Inwieweit rechnet sich das Investment der Regierung für die saudischen Klubs?
In aller Deutlichkeit: Es geht nicht darum, dass die Klubs wirtschaftlich profitabel dastehen. Das kennt man bereits aus anderen Investitionen im Fußball. Eine Zeit lang haben russische und arabische Investoren englische Klubs gekauft. Da ging es auch nicht um die finanzielle Komponente, sondern um soziales und gesellschaftliches Ansehen der Investoren. Ähnlich sind auch die Investitionsziele im saudischen Profifußball zu sehen. Es geht zentral um die Transformation der Wirtschaft, ein Angebot für die Jugend und die Verbesserung des Images im Ausland – sogenanntes Sportswashing. Gelingt das, stehen die Klub-Bosse in der Gunst des Königshauses.
Das erinnert ein wenig an China. Auch hier wurden vor Jahren etliche Millionen für Spieler von europäischen Klubs investiert. Warum ist das Projekt gescheitert?
Weil China mit der Profiliga den Anschluss an den internationalen Spitzenfußball, insbesondere im Bereich der Nationalmannschaften, vorantreiben wollte. Allerdings hat man dort festgestellt, dass die Entwicklung des nationalen Klubfußball und der Nationalmannschaft voneinander entkoppelt ist. Das war die zentrale Erkenntnis. Danach hat die politische Führung auch das große Fußballinteresse verloren.
Was macht Saudi-Arabien da anders?
Meines Erachtens findet das Ganze auf einem anderen Level statt. Mit einem ausgeklügelten Konzept. Das heißt, man nimmt noch mehr Geld in die Hand und schafft es so tatsächlich Topstars zu verpflichten und nicht nur die, die schon ihren Zenit überschritten haben. Gleichzeitig wird auch die Medienentwicklung vorangetrieben, so dass die Liga auch medial attraktiv und auf der Höhe der Zeit präsentiert wird. Damit will man eben auch die saudische Politik vermarkten und globale Aufmerksamkeit generieren. Eines der zentralen Ziele.
Welche Auswirkungen hat das auf den europäischen Fußball? Auch wirtschaftlich betrachtet?
Da gibt es mehrere Aspekte. Einerseits freuen sich finanziell angeschlagene Klubs natürlich, wenn sie die hohen Gehälter von alternden Spielern nicht mehr zahlen müssen. Auf der anderen Seite senkt das allerdings auch die Attraktivität des europäischen Profifußballs – was auf lange Sicht ein riesiger Nachteil ist. Was ich problematischer finde: Bislang konnte man – bei aller Absurdität – davon ausgehen, dass der Transfermarkt sehr gut funktioniert. Spieler werden also nach ihrer Leistung und der vertraglichen Situation bewertet und gehandelt. Jetzt kommt mit Saudi-Arabien allerdings ein neuer Akteur daher, der viel Geld investiert und die alten Gesetzmäßigkeiten aus dem Gleichgewicht wirft.
Aber saudisches Geld steckt doch schon seit mehreren Jahren im europäischen Fußball. 2022 etwa, wurde Newcastle United von einem saudischen Investor gekauft und auch beim FC Chelsea führt die Spur des Geldes über Umwege nach Saudia-Arabien.
Das stimmt, der saudische Investmentfond ist mit einzelnen europäischen Klubs offenkundig verwoben. Da muss man natürlich aufpassen, dass hier keine Wettbewerbsverzerrung stattfindet. Also Spieler zu deutlich höheren Preisen verkauft werden, um sie dann für kleines Geld in Form eines Leihgeschäfts wieder zurückzuholen. Denn das widerspricht dem Grundgedanken vom Financial Fair Play.
Sie sagen es: Die Regel zielt ja darauf, nur so viel Geld auszugeben, wie man auch einnimmt. Nun ist in Europa die Uefa dafür zuständig, einen fairen Wettbewerb zu garantieren und Klubs mit Sanktionen zu belegen, die dagegen verstoßen. Müsste so etwas dann auch bei der Fifa als höchste Instanz manifestiert werden oder hat man da gar kein Interesse dran?
Das wäre tatsächlich ihre Aufgabe. Leider ist das Verhältnis der beiden Verbände untereinander sehr angespannt und die Fifa hat auch eher ein Interesse daran, die Machtposition des europäischen Fußballs aufzubrechen – das würde die eigene Rolle stärken. Zudem wird in Saudi-Arabien schon länger Fußball gespielt. Gerade im asiatischen Raum auch sehr erfolgreich. So ist die saudische Liga, neben der japanischen und koreanischen die erfolgreichste Profiliga Asiens. Sie nehmen an der asiatischen Champions League teil und mit Al-Hilal stand 2022 ein saudischer Verein im Finale der Klub-WM. Kein Wunder also, dass diese Bestrebungen von der Fifa positiv gesehen werden.
Welche Zukunft hat der Fußball aus ihrer Sicht in Saudi-Arabien?
Meines Erachtens sind die Aussichten sehr gut. Die Investitionen der Politik wirken durchdacht, sind langfristig angelegt und mit sehr viel Budget ausgestattet. Auch größere Managementfehler sind derzeit nicht zu beobachten. Zuerst in Topstars zu investieren, um die Liga für Konsumenten, für Medien, aber auch für andere Fußballer attraktiv zu machen, ist völlig logisch. Dann finden auch jüngere Spieler ihren Weg in die Liga. Allein bei den Gehältern reden wir teilweise von einer Verzehnfachung von ohnehin schon Millionengehältern, die in Europa gezahlt werden. Auch die negativen Image-Effekte, die wir derzeit beobachten, werden abnehmen, je mehr Spieler dorthin wechseln.