Oliver Blume hatte einen guten Start. Als der bisherige Porsche-Chef im vergangenen Sommer als Nachfolger des umstrittenen Herbert Diess zusätzlich auch noch an die Spitze des Volkswagen-Konzerns gehievt wurde, ging ein hörbares Aufatmen durch das Unternehmen. Ein Aufatmen, dass bis heute anhält. Ob es die unterschiedlichen Großaktionäre waren, von der Familie Porsche-Piëch bis zum Land Niedersachsen, ob die Arbeitnehmer oder auch Investorenvertreter: Alle schienen mit der ruhigen, strukturierten und illusionslosen Art des Neuen zufrieden. Natürlich auch, weil es die Antithese zum Vorgänger Diess ist, der vor allem Unruhe säen wollte, um den Betrieb in Bewegung zu bringen.
Bewegung freilich will und muss Blume angesichts des Drucks der auf VW lastet, auch schaffen. Das ist der Grund weswegen der Zauber seines Aufbruchs in Wolfsburg und anderen VW-Standorten in diesen Tagen verfliegt. Blume selbst sieht die erste Phase seines Wirkens als Aufräumen. Gemeint ist, dass er das von Diess angerichtete Chaos ordnen wollte: Die mit unrealistischen Erwartungen überfrachtete Softwaretochter Cariad eindampfen, die überoptimistischen Pläne für neue E-Autos nach hinten verschieben, das gigantische Projekt eines Werksneubaus neben dem alten Wolfsburger Stammwerk beerdigen. Das Aufräumen aber, so Blumes Sicht, wird Ende dieses Jahres bewältigt sein. Und schon ein wenig vorher beginnt er mit dem Neuordnen. Vor den Werksferien im Sommer bringt der CEO jetzt weitreichende Konzernumbaupläne in Gang. Und je mehr sich diese konkretisieren, desto mehr schwindet auch das von Blume ausgelöste Wohlgefühl.
An diesem Dienstag bereitet der Vorstand einen Termin vor, der für Blumes Pläne entscheidend ist: Bei einem Kapitalmarkttag am 21. Juni am Hockenheimring wollen die Vorstände und Markenchefs Investoren und Analysten ihre Pläne präsentieren. Für Blume wird das ein entscheidender Termin. Zwar erwartet er von dem Schaulaufen keine kurzfristige Kehrtwende beim schlappen Börsenkurs des Unternehmens. Aber auf lange Sicht soll der Umbau vor allem dem Kapitalmarkt die Idee vermitteln, dass VW es doch noch kann: Das künftige Geschäft mit E-Autos beherrschen, den Umbau meistern, sich auf die neuen Verhältnisse im Markt einstellen, seine Marken und seine Produktion grundlegend umbauen und dabei die Kosten im Griff behalten. „Wir haben unser Haus sinnbildlich saniert, renoviert und umgebaut“, sagte Blume auf der Hauptversammlung im Mai. „Wir wissen aber auch: Der Volkswagen-Konzern kann noch mehr – wir sehen das Potenzial und sind entschlossen, es zu heben.“
Die Last des Umbaus liegt auf den Marken
Das nämlich soll die Erzählung des Oliver Blume werden. Vorgänger Diess hatte eine Weile Erfolg, indem er sich als eine Art Wiedergänger von Elon Musk inszenierte: VW sollte als der einzige Traditionshersteller erscheinen, der beim Aufbruch in den neuen Automarkt mit Tesla mithalten kann. Diese Idee sorgte dann tatsächlich für einen kurzzeitigen Höhenflug an der Börse. Sie brachte dann aber die Summe des Unvermögens in Wolfsburg und den riesigen Abstand zum Pionier Tesla umso mehr zum Vorschein. Diess erhöhte den Druck auf seine Einheiten und verlor schließlich das Vertrauen von Betriebsrat, Großaktionären und Finanzmarkt.
Blume hingegen hält sich mit öffentlich verkündeten Zielen stark zurück. Und er verlagert die Last des Umbaus auf die Marken und Bereiche. Vordergründig hat er den Marken und deren Chefs, wie der Volumengruppe um VW/Skoda/Seat oder der Edelmarke Audi mehr Freiheit gegeben als alle seiner Vorgänger. Auch das war ein Grund für das allgemeine Aufatmen. Nun ist es aber an den Markenchefs und Vorständen, nach Blumes Vorgaben Lösungen umzusetzen. Das beginnt schon beim Kapitalmarkttag: Jede Marke und Einheit muss hier ihre eigene Börsenstory präsentieren. Zwar ist klar, dass VW nach dem erfolgreichen Porsche-Börsengang im Herbst keine weiteren Marken separat an die Börse schicken wird (abgesehen von der Batterietochter PowerCo, für die es bereits konkretere Pläne gibt). Aber alle sollen sich als künftig als „kapitalmarktfähig“ zeigen, wie es intern heißt.
Auf den ersten Blick lastet dabei der größte Druck auf der Kernmarke VW und der Volumengruppe mit Seat und Skoda – Seat und Skoda sowie VW Nutzfahrzeuge sollen künftig nach internen Plänen weitgehend mit der Kernmarke VW zu einer Einheit verschmelzen. Die Kernmarke ist seit langem notorisch renditeschwach, ihre Produktionsstandorte sind besonders unausgelastet und damit teuer, dazu kommen riesige Kostenblöcke, weil zwischen Konzernfunktionen und Kernmarke nicht immer genau getrennt wird. Alles schwierig, dennoch steht die Volumengruppe nicht mehr in dem Maße im Focus des Vorstandschefs, wie zu erwarten wäre.
Unzufriedenheit mit Audi
Das liegt an Thomas Schäfer, dem Chef der Einheit. Der hat – früher als seine Kollegen – bereits einen schmerzhaften Umbauplan vorgelegt, der an vielen Stellen an VW-Tabus rührt: So soll etwa die Kapazität des Stammwerks in Wolfsburg reduziert werden. Schäfer nimmt damit etwas vorweg, was laut internen Quellen auf sämtliche Produktionsstandorte des Konzerns in Deutschland und Europa zukommen dürfte. Und Blume scheint mit Schäfer sehr zufrieden.
Das sind die führenden E-Auto-Hersteller
Der renommierte Umweltforschungsverbund International Council on Clean Transportation (ICCT) hat zum ersten Mal ein Ranking der Hersteller von E-Autos vorgelegt. Dabei ging es um die Frage, welche der 20 größten Branchenvertreter bei der Transformation weg vom Verbrennungsmotor führend sind. Auf Platz zehn kam der größte Autobauer Chinas, SAIC Motor. Er verkaufte nach eigenen Angaben 2022 mehr als 5,3 Millionen Fahrzeuge – immer mehr davon mit vollelektrischem Antrieb. Dazu gehören auch Autos der einstmals britischen Marke MG. SAIC erhielt von den Experten 43 von 100 möglichen Punkten. Der Autobauer überzeugte als einziges Unternehmen im Ranking mit der vollen Punktzahl für das Angebot an emissionsfreien Automodellen.
Gleich drei deutsche Hersteller haben es in die Top 10 des „Global Automaker Ratings 2022“ geschafft. Mercedes-Benz teilte sich Platz acht mit dem US-Konkurrenten General Motors (jeweils 45 Punkte). Die ICCT-Experten bewerteten die E-Autobauer in zehn Unterkategorien aus den Bereichen Marktdominanz, Technologie und strategische Ausrichtung. Die Stuttgarter rangierten in allen drei Sparten im Mittelfeld. Sie bekamen die beste Einzelwertung für die technische Ausstattung ihrer E-Autos, unter anderem die Reichweite ...
Das Ranking konzentrierte sich auf sechs große Märkte für Elektromobilität: China, die Europäische Union, Indien, Japan, die Republik Korea sowie die Vereinigten Staaten von Amerika. 89 Prozent der dort verkauften E-Autos entfielen den Angaben zufolge auf die 20 untersuchten Hersteller. Weltweit seien es 65 Prozent gewesen. Fünf der zehn Spitzenreiter im Ranking stammten aus Europa. Renault belegte mit 47 Punkten Platz sieben. Der französische Autobauer erhielt als einziges Unternehmen neben der Nummer eins die volle Punktzahl für die langfristigen Zielvorgaben, was den Anteil an emissionsfreien Modellen angeht, um die Klimaerwärmung unter dem Ziel von zwei Grad zu halten.
China hat die Mobilitätswende auch bei europäischen Herstellern forciert. Die Volksrepublik setzt aber immer stärker auf Technik aus eigenen Landen. Drei chinesische Unternehmen platzierten sich in den Top 10 des Rankings der weltweit führenden E-Autohersteller. Geely, 1997 gegründet, zog dank 48 Punkten auf Platz sechs an traditionsreichen Marken wie Mercedes-Benz und GM vorbei. Dafür sorgte vor allem der viertbeste Wert im Ranking für die Verkaufszahlen. Der wurde gestützt von einem breiten Angebot an Modellen.
Stellantis mit Sitz in den Niederlanden ist laut dem ICCT in Europa der führende Hersteller von E-Autos außerhalb von Deutschland. 50 Punkte bedeuteten Platz fünf für das US-europäische Unternehmen mit Tochtermarken wie Peugeot, Citroën, Opel und Fiat. Stellantis war neben den beiden Spitzenreitern der einzige Autobauer, der in der Unterkategorie „Manager-Vergütung“ 100 Punkte erhielt. Hier ging es darum, wie stark die Bezahlung der Geschäftsführung von der Erfüllung von Zielen bei der Mobilitätswende abhängt.
ICCT hatte maßgeblich zur Aufdeckung des Dieselskandals beigetragen. In dem Ranking gab es dennoch Lob für Volkswagen. Die Experten nannten es „bemerkenswert“, dass sich der Wolfsburger Autobauer nur sieben Jahre nach dem Skandal als einer der führenden Hersteller emissionsfreier Fahrzeuge präsentieren kann. VW belegte mit 53 Punkten Platz vier in dem Ranking. Der größte deutsche Autobauer überzeugte vor allem bei den technischen Daten wie Reichweite oder Energieverbrauch. Vergleichsweise schwache Noten gab es hingegen für die emissionsfreie Strategie, insbesondere die Investitionen.
Das Ranking kürte lediglich zwei Spitzenreiter bei der Energiewende auf der Straße sowie sechs Nachzügler. Sie landeten auf dem Punktespektrum im ersten beziehungsweise im letzten Drittel. Das breite Mittelfeld wurde von BMW angeführt (56 Punkte). Den Münchnern gelang in einer der drei Hauptkategorien sogar ein erstklassiges Ergebnis, nämlich bei der Technologie (78 Punkte). Die Experten würdigten hier insbesondere den Einsatz erneuerbarer Energien sowie das Recycling von Akkus. Schlecht schnitt BMW hingegen aus Sicht des ICCT mit nur 31 Punkten bei der Marktdominanz (Verkaufszahlen und Modellangebot) ab.
Auch in Deutschland sind immer mehr E-Autos von BYD unterwegs. Das hat nach Ansicht des Rankings einen guten Grund. Der chinesische Hersteller schaffte es mit 73 Punkten als eines von nur zwei Unternehmen in das oberste Drittel der Punkteskala und lag damit weit vor dem Drittplatzierten BMW. Die Experten würdigten BYD als den einzigen Hersteller, der vollständig auf E-Autos umgestiegen ist. Dieser radikale Schwenk mache sich bezahlt, denn BYD verringere schnell den Abstand zur Nummer eins des Rankings. Leichte Abstriche gab es bei der Technologie (57 Punkte). Dafür gab es 100 Punkte für die Manager-Vergütung.
Geht es um E-Autos, ist Tesla nach Ansicht des ICCT eine Klasse für sich – noch, jedenfalls. Elon Musks Unternehmen wurde mit 83 Punkten der eindeutige Sieger im Ranking der führenden E-Autobauer. In acht der zehn Einzelkategorien gab es die perfekte Punktzahl. Allerdings bemängelten die Experten die geringe Bandbreite bei den Modellen. Hier gab es lediglich 38 Punkte. Einen so schlechten Wert hat in dieser Kategorie erst wieder GM auf Platz acht vorzuweisen. Null Punkte wurden es beim Einsatz erneuerbarer Energien. Hier war Tesla allerdings unter den führenden Autobauern in guter Gesellschaft. Fünf der sechs Nachzügler kamen laut der Analyse aus Japan. Schlusslicht wurde Suzuki mit null Punkten, gefolgt von Mazda, Tata, Nissan, Honda und Toyota.
Als großer Problemfall des Hauses aus Sicht Blumes muss hingegen Audi gelten. Zwar hat die Edelmarke in den vergangenen Jahren noch ordentliche Renditen erwirtschaftet. Aber da hat sie noch davon profitiert, dass in den Jahren des Chipmangels einseitig die vorhandenen Teile auf besonders teure (und profitable) Audi-Baureihen verlagert wurden. Das geht nun auf sein Ende zu, was sich im Jahresauftaktquartal bereits gezeigt hat. Für den Vorstandschef gehen die Probleme bei Audi offenbar tiefer. „Vorsprung durch Technik“, der berühmte Audi-Werbespruch, werde schon lange nicht mehr eingelöst, heißt es an der Konzernspitze. Es falle schwer, sich in den letzten Jahren an Audi-Modelle zu erinnern, die technisch voranfuhren.
Zudem ist aus Konzernsicht der Modellzyklus bei Audi schlecht geplant worden, da gebe es ein „Loch“. Das bedeutet: Neue Modelle fehlen. Und wenn es doch mal ein neues Fahrzeug gäbe, wird das Design als zu erwartbar und beliebig empfunden. Da werde jetzt „geschärft“ heißt es. Und – gerade beim Design – greift dann Blume auch gern wieder selbst ein. Bei aller Freiheit, die er offiziell den Marken lässt.
Obwohl Audi angezählt aussieht, scheint Markenchef Markus Duesmann (der einst mit Blume um Diess‘ Nachfolge konkurrierte) eine Gnadenfrist zu genießen. Auch da zeigt sich Blumes Führungsprinzip: Die Markenchefs sollen die Misere selbst in Ordnung bringen.
Wie sie es machen, überlässt Blume zumindest theoretisch ihnen, die Ergebnisse müssen aber stimmen. „Klare Leitplanken“, heißt das intern. Wenn die nicht erreicht würden, habe das „klare Konsequenzen“. Welche Konsequenzen? Das habe man im Frühjahr bei Cariad gesehen. Bei der trudelnden Softwaretochter hatte Blume dann tatsächlich die gesamte Führungsmannschaft ausgetauscht.
Vorbild Porsche
Bei aller Freiheit für die Einheiten wird Blume nicht müde, seinen Leuten zu vermitteln, wie sie es machen könnten und wer – gerade in puncto Produktionskosten – das Vorbild sein könnte: Nämlich, tataaa, Oliver Blume. Blume sagt natürlich nicht „ich“, er sagt Porsche. Bei Porsche sei die Kostenarbeit in den vergangenen Jahren konsequent gemacht worden – Modellplanung, Schichtplanung, Gleichteile – und da hätten andere im Unternehmen noch Nachholbedarf.
Vielleicht haben einige im VW-Konzern bis vor kurzem noch gedacht, Blume sei ein laxer Chef. Vielleicht haben sie seine freundliche, unkonfrontative Art mit Laissez-faire verwechselt. Das dürfte jetzt vorbei sein. Im ersten Schritt trifft es das Management, aber laut Stimmen aus dem Konzern kommt die Unruhe auch schon bei den Belegschaften an. Noch verhält sich die mächtige Betriebsratschefin und Aufsichtsratsvize Daniela Cavallo ruhig. Aber ob es so bleibt? Oliver Blume nimmt neuerdings sehr oft das Wort „Führung“ in den Mund.