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Autoindustrie Toyota, Hyundai, BYD: Deutsche Autobauer unterschätzen die asiatischen Konkurrenten

Das Toyota-Logo an einem Fahrzeug
Als Toyota Anfang der 70er-Jahre nach Deutschland kam, wurde die Marke belächelt. Mittlerweile ist der japanische Hersteller ein global agierender Riesenkonzern
© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB / Picture Alliance
Heute sind es die chinesische Autohersteller, in den 1970er- und 90er-Jahren waren es japanische und koreanische, die den Automarkt aufmischten. VW und Co. nahmen die Konkurrenten aus Fernost zunächst nicht ernst, doch dann machte sich Angst breit – genau wie heute

Eine bittere Erkenntnis dieser Tage in den Konzernzentralen in Wolfsburg, Stuttgart und München dürfte sein, dass sich die Geschichte auf für sie unangenehme Weise wiederholt. Egal, ob Toyota in den 1970er-Jahren, Hyundai in den 1990ern oder jetzt die chinesischen Newcomer aus China mit BYD an der Spitze: VW, BMW und Mercedes waren nie auf die schnell wachsende Konkurrenz aus Asien vorbereitet. Der Siegeszug asiatischer Autobauer findet mit zuverlässiger Regelmäßigkeit im toten Winkel der deutschen Hersteller statt. Und immer wieder gibt es ein böses Erwachen.

Laien gibt das Rätsel auf, Autoexperten jedoch haben eine simple Erklärung parat: „Die deutschen Autobauer überschätzen sich“, sagt Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Institut ntv.de. Sie seien immer zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Überheblichkeit sei in den 70ern das Problem gewesen, sie sei es noch heute, so der Autoexperte. Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler pflichtet ihm bei: „Der Erfolg der Deutschen hat sie unterm Strich ignorant gemacht“, kritisiert der Autoanalyst im Gespräch mit ntv.de.

Wie sehr sich die Ereignisse von damals und heute tatsächlich ähneln, zeigt der Rückblick: Der Siegeszug der Japaner auf dem deutschen Automarkt begann Ende der 1960er-Jahre. Sieben Jahre später hatten sie volumenmäßig die deutschen Hersteller bereits überholt. Es war die Halbierung der Importzölle von 24 auf 12 Prozent durch die Europäische Gemeinschaft, die für einen Dammbruch im Automarkt sorgte. Erst kam Honda, der kleinste Hersteller, 1971 folgte Toyota, 1972 Nissan. Nach der Ölkrise 1973 warteten alle mit Modellen und Extras auf, die die Deutschen nicht hatten: sparsame, zuverlässige Kleinwagen zu einem günstigen Preis mit guter Ausstattung. Ein VW Polo kam ohne Beifahrersonnenblende und Fußmatten. Die Japaner bauten in ihre Autos Elektronikzubehör ein, das es damals selbst bei Mercedes nur gegen Aufpreis gab.

Toyota hat im Autobau Maßstäbe gesetzt

Wie bei den chinesischen E-Autos heute waren es technologische Spielereien, die bei der Käuferschaft gut ankamen. „Damals hieß es, diese Autos treffen nicht den europäischen Geschmack, die sind eher für den amerikanischen Markt konzipiert“, erinnert sich Pieper. „Heute wissen wir, das Gegenteil ist der Fall. Toyota ist zu einem wichtigen Faktor in der Autoindustrie geworden.“ Bis den Deutschen die Gefahr dämmerte, dauerte es. Dann machte sich aber doch die Angst breit. Ihre Befürchtung: Die neue Konkurrenz aus Asien könnte dem Autobau in Deutschland den Todesstoß versetzen. Auch die Amerikaner zitterten. Es gehe „ums Überleben“, fasste es der damalige Chef von Ford Europe, Bob Lutz, Anfang der 70er-Jahre in Worte. Die Kommentare heute angesichts der Elektro-Übermacht aus China klingen ähnlich.

Keinem anderen Autobauer als Toyota ist es übrigens gelungen, den Produktionsprozess in der Autoindustrie zu revolutionieren. Auch das haben VW, BMW und Daimler damals weder kommen sehen noch ernst genommen. Sie seien auf ihre Themen, Vielfalt und Qualität, fixiert gewesen, erklärt Dudenhöffer. Kosten waren für sie nicht das vorrangige Thema. Dabei waren die damals übliche Lagerhaltung, Abläufe, langen Dienstwege und strenge Hierarchie in den Fabriken nicht nur sehr teuer, sie machten den Autobau auch insgesamt schwerfällig.

Toyota räumte damit in den 70ern auf. Die Japaner schafften nicht nur die kostspieligen Lager ab und bauten die Wertschöpfungskette so um, dass die Lkw erst dann die Fabriken erreichten, wenn die Autoteile gebraucht wurden. Sie übertrugen ihren Fabrikarbeitern auch mehr Verantwortung. Bei Störungen und Fehlern im Produktionsablauf konnten sie den Stecker ziehen und die Bänder stoppen. „Das passte damals überhaupt nicht ins Weltbild der Deutschen. Einfache Arbeiter als Herren der Produktion? Hierzulande hatten nur die Meister diese Macht“, so Dudenhöffer. „Die Japaner haben alles auf den Kopf gestellt“, fasst es der Autoexperte zusammen. Mit Erfolg: Denn „mit ihrem System konnten sie hohe Qualität viel kostengünstiger produzieren, als es in Deutschland möglich war“. Heute ist das Toyota-System der Maßstab im Autobau, auch in Deutschland.

Auf die japanische Welle folgte in den 1990er-Jahren die koreanische. Hyundai und Kia etablierten sich in Europa. Bis heute verzeichnen sie stetiges Wachstum. Der Hyundai-SUV Tucson war vor fünf Jahren der meistverkaufte SUV in Deutschland. Sogar Platzhirsche wie den VW Tiguan konnte er überholen. „Die Koreaner hat man fast noch mehr unterschätzt“, sagt Metzler-Analyst Pieper. „Da hieß es: Diese billigen Kleinwagen braucht erstens keiner, und zweitens, wenn sie überhaupt einen gewissen Erfolg haben, dann nicht auf Kosten der Deutschen, sondern auf Kosten der Franzosen oder Italiener.“ Mit der Einschätzung lag man nicht völlig falsch. „Trotzdem sind die Koreaner heute ein viel größerer Faktor, als man das damals erwartet hat.“

„Andere Mentalitäten verändern die Welt“

„Es sind andere Mentalitäten und neue Einstellungen, die die Welt verändern“, konstatiert Dudenhöffer. „So ist es bei jeder Innovation.“ Weil die Chinesen wussten, dass sie den deutschen Autobauern bei Verbrennern keine Marktanteile abjagen konnten, „haben sie bei E-Autos losgelegt und einfach experimentiert, zunächst auch mit großen Abstrichen bei Qualität und Sicherheit. Aber die chinesischen Start-ups haben dann auch sehr schnell dazugelernt.“ Sie profitieren aus Sicht der Experten vor allem davon, dass sie die Bedürfnisse der asiatischen Käufer besser kennen. Sie müssen den am härtesten umkämpften Automarkt der Welt nicht erst analysieren.

Wie ihre Vorgänger aus Japan und Südkorea beweisen sie heute, dass sie nicht nur angreifen, sondern auch überholen können. Die unterschiedliche Mentalität macht den Unterschied, ist Dudenhöffer überzeugt. Sie teilt die globale Autowelt in zwei Lager: Maschinenbauer auf der einen und KI-Spezialisten auf der anderen. „Während Deutsche das Auto mit PS gleichsetzen, Maschinenbauer in der Produktion das Sagen haben, sind die Asiaten vor allem KI-verliebt. Den Deutschen sind Spaltmaße wichtig, Asiaten begreifen das Auto auch als Spielwiese. So ist das Smart Cockpit in China entstanden“, sagt Dudenhöffer. „Bis unsere Ingenieure verstehen, was die Käufer wollen, vergeht viel zu viel Zeit.“

Experten sind sich einig, dass die chinesischen Autobauer in den kommenden Jahren ein wichtiger Faktor sein werden. „Die Autos werden in Zukunft anders aussehen und konzipiert sein als in der Vergangenheit“, prognostiziert Metzler-Analyst Pieper. „Selbstfahrende Autos kommen auf uns zu. Und in diesen neuen Technologien spielen die Deutschen bis heute nicht die Rolle, die sie wollen. Im Moment sieht es für mich so aus, als würden die Chinesen nicht nur unterschätzt. Man erkennt plötzlich auch, dass sie bei der E-Mobilität einen Vorsprung haben.“

Im Maschinenbau und in der Präzisionsmechanik spielten die deutschen Autobauer ihre Stärke lange Zeit aus, sie konnten mit Perfektionismus punkten. „In Zukunft, glaube ich aber, zählen mehr Mut und Kreativität. Und ich habe den Eindruck, da sind wir bei Weitem nicht so gut wie manch andere“, gibt sich Pieper für die Zukunft skeptisch. Auch Dudenhöffer ist pessimistisch: „Wir sind einfach zu deutsch, zu pedantisch, um wichtige Entwicklungen frühzeitig zu erkennen.“

Der Artikel ist zuerst bei ntv.de erschienen

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