Anzeige
Anzeige

Finanzevolution Finanzderivate werden smart – irgendwann

Blick in den Händlersaal einer Bank
Blick in den Händlersaal einer Bank
© Getty Images
Außerbörsliche Derivate sind komplex, aufwendig in der Abwicklung und im Risikomanagement. Daher stellt sich die Frage, ob sie mit Hilfe neuer Technologien neu erdacht werden können. Dirk Elsner über Finanzderivate und Digitalisierung

Finanzinnovationen werden in der heutigen Zeit mit Digitalisierung und Unternehmen der Finanztechnologie (Fintech) verbunden. In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts galt Finanzinnovationen als Oberbegriff vor allem für neue Finanzmarktprodukte und insbesondere für verschiedenste Formen von Finanzderivaten. Das sind Finanztitel, deren Zahlungsansprüche von anderen Produkten, wie Zinsen, Aktien- oder Devisen abgeleitet werden.

660 Billionen Markt

Finanzderivate gelten als wichtige Instrumente, um verschiedenste Finanzmarktrisiken zu managen . So können etwa mit Hilfe sogenannter Zinstauschgeschäfte (= „Interest Rate Swaps“) Zinsrisiken oder mit Credit Default Swaps Kreditausfallrisiken abgesichert werden . Der Markt für Finanzderivate ist gigantisch. Die europäische Wertpapieraufsicht ESMA ermittelte in einer Studie im Herbst vergangenen Jahres ein Nominalvolumen im Umfang von 660 Billionen Euro . Zum Vergleich, das Bruttoinlandsprodukt von Deutschland betrug im Jahr 2017 rund 3,26 Billionen Euro .

Finanzmärkte handeln Derivate an Börsen oder direkt untereinander über sogenannte Over-the-Counter-Geschäfte (OTC), die sich deutlich in Bezug auf Standardisierungsgrad, Liquidität und Nachhandelsprozesse unterscheiden. Nach Informationen der ESMA werden Derivatetransaktionen überwiegend (86 Prozent ) in OTC-Geschäften durchgeführt.

Stabilisiert die Regulierung wirklich die Märkte?

Vor zehn Jahren, ein halbes Jahr nach der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers, erreichten die Finanzmärkte ihre tiefste Depression während der Finanzkrise. Regierungen und Aufsichtsbehörden überlegten damals, wie eine Wiederholung der Krise verhindert werden könnte. Ein besonderes Augenmerk galt dabei den Derivatemärkten. Die G20 Industriestaaten beschlossen auf ihrem Wirtschaftsgipfel 2009 in Pittsburgh, dass außerbörsliche Derivate möglichst weitestgehend über zentrale Gegenparteien abgewickelt werden, um systemische Risiken zu minimieren, die Ansteckungsgefahr zu verringern und die Transparenz zu verbessern. Die auch Clearinghäuser genannten zentralen Gegenparteien galten dabei als Schlüsselelement. Sie treten zwischen zwei Vertragsparteien – also z.B. zwei Banken – übernehmen damit das Kreditrisiko und garantieren die Erfüllung des Vertrags, wenn ein Vertragspartner ausfällt. Dafür haben sie mit aufsichtsrechtlicher Rückendeckung diverse Sicherungsbarrieren eingerichtet (siehe beispielhaft diese Darstellung der EUREX Clearing ).

Es gibt aber Zweifel , ob die komplizierten und nur durch hochspezialisierte Fachleute nachprüfbaren Vorschriften helfen, die komplexe Finanzwelt sicherer zu machen. So werden durch die Verpflichtung, standardisierte OTC-Derivate über zentrale Gegenparteien abzuwickeln, gerade bei diesen Gegenparteien enorme Geschäftsvolumen gebündelt und somit auch die Risiken. Der frühere Banker Satyajit Das schrieb für Bloomberg , die Risiken der Finanzkrise würden in den Zentralen Gegenparteien weiterleben. Statt Risiken zu eliminieren, werden sie nun konzentriert in neuen Institutionen, die als zu groß zum Scheitern gelten (“too-big-to-fail entities”).

Zwar hofft der Gesetzgeber, dass durch anspruchsvolle Vorschriften und vor allem durch die ausgeklügelten Besicherungsanforderungen für OTC-Geschäfte die Ausfallrisiken verringert wurden. Durch die Konzentration der Geschäfte bei wenigen großen Clearinghäusern (etwa LCH Clearnet Swapclear, ICE Clear Europe oder Clearstream) werden dort jedoch viel größere Risiken angehäuft als vor der Finanzkrise. Analysten des Finanzdienstleister FIS sprechen in einem Whitepaper von einem neuen Risikotyp: dem Konzentrationsrisiko.

Derivate werden smart

Außerbörsliche Derivate bleiben komplex, sehr aufwendig in der Abwicklung und im Risikomanagement. Daher stellen sich einige Marktprofis die Frage, ob nicht mit Hilfe neuer Technologien Derivate neu erdacht werden können. Zu diesen neuen Technologien gehören die Distributed-Ledger-Technologie und die sogenannten „Smart Contracts“.

Distributed-Ledger-Technologie steht für verteiltes Kontenbuch und meint eine dezentral geführte Datenbank, die ohne zentrale Autorität von mehreren Teilnehmern verändert werden kann. Smart Contracts gelten als in Computerprogramme umgesetzte Verträge, mit denen Daten aus verschiedenen Informationsquellen überwacht und ausgewertet werden. Sind zuvor festgelegte Bedingungen erfüllt, führt der Softwarecode des Smart Contracts selbstständig einen Befehl aus, wie etwa die Anweisung einer Zahlung oder die Übertragung von Verfügungsrechten.

So war das Start-up Synswap angetreten, um mit Hilfe der Distributed-Ledger-Technologie eine bessere Infrastruktur für Credit Default Swaps und andere OTC-Derivate aufzubauen. Die Geschäfte werden auf Basis von Smart Contracts modelliert. Das US-Clearinghouse DTCC hat im November vergangenen Jahres einen Test mit 15 großen Kreditderivate auf DLT-Technologie und Cloud umzustellen. Auch die Banken Barclays und Goldman Sachs arbeiten nach einem Medienbericht daran zusammen mit der Handelsorganisation und Interessenvertretung ISDA daran, die DLT-Technologie für Derivate zu nutzen.

In dem Working Papier „Smart Derivative Contracts“ haben meine Kollegen aus der DZ Bank Christian P. Fries und Peter Kohl-Landgraf eine neue Form eines Derivatekontraktes als Smart Contract zur Diskussion vorgestellt . Fries und Landgraf haben einen Derivatevertrag formuliert, mit dem das Kontrahentenausfallrisiko reduziert wird, weil der Vertrag automatisch beendet wird, wenn keine ausreichende Finanzierung im Voraus bereitgestellt wird. Dieses Design ergänzt bestehenden Sicherheitenverfahren (Fachleute sprechen hier von Collateral-Management) und reagiert auf Marktwertänderung. Dieser Smart Derivate Contract (SDC) ermöglicht eine vollautomatische Abwicklung rechtlicher Vereinbarungen über OTC-Derivate. Wenn der Vertrag störungsfrei bis zum Ende läuft, generiert er die gleichen wirtschaftlichen Cashflows wie ein klassisches Derivat.

Digitale Token gängiger Währungen fehlen

Im Kern kehrt ein solcher SDC den bisherigen Sicherheiten-Prozess um. Statt eines aufwendigen und zeitversetzten Austauschs von Sicherheiten fordert der SDC, dass potentielle Zahlungsverpflichtungen täglich vorfinanziert werden. Bleibt diese Vorfinanzierung aus, wird der Vertrag automatisch vorzeitig beendet. Dieses Vorgehen zwingt die Parteien zu hoher prozessualen Effizienz. Dafür wird die Abwicklung deutlich vereinfacht und existierende Abwicklungs- und Erfüllungsrisiken werden eliminiert.

Ein SDC überführt die zentralen Vertrags-Bestandteile in Computer Code. Um die Abwicklung solcher Smart Contracts vollautomatisiert durchzuführen, müsste der Algorithmus automatisch digitale Geldeinheiten zwischen Konten transferieren können. Dies könnte am effizientesten mit sogenannten „Stable oder Settlement Coins“ geschehen. Solche Stable Coins ähneln in der Konstruktion Kryptowährungen, eine zentrale Treuhandstelle reguliert hier allerdings den Umlauf und garantiert den Umtausch zum Beispiel in Euro. Bisher hat die Europäische Zentralbank einen solchen digitalen Euro nicht auf der Agenda . Nach Medienberichten arbeitet die Deutsche Börse am Konzept eines Collateral Coins. Ähnlichen Konstrukten testen die US Großbank JP Morgan sowie die schwedische Zentralbank .

Evolution braucht Zeit

Es gibt in Fachkreisen bereits eine intensive juristische Diskussion, ob Computer-Protokolle rechtlich bestehende Verträge in der Form ersetzen können, dass sie rechtlich bindend sein können (Motto „Code is Law“). Die Internationale Derivate-Vereinigung (ISDA) hat zu dem Thema Automatisierung von Derivateabwicklung bereits mehrere Veröffentlichungen publiziert. In einer internationalen Working Group werden diverse insbesondere rechtliche Facetten untersucht, wie Derivate-Abwicklung automatisiert werden kann. Insbesondere besteht die Herausforderung, alle bisherigen Rahmenverträge in ein digitalisierbares Format zu bringen und dabei sehr genau zu unterscheiden, welche rechtlichen Klauseln automatisiert werden können und welche nicht.

Die hier skizzierten Ansätze im für die Finanzmärkte so wichtigen außerbörslichen Derivategeschäft sind anspruchsvoll, weil die Geschäfte selbst, die Abwicklungs- und die Risikomanagementprozesse sehr aufwendig und komplex sind. Daneben stehen diese Geschäfte unter aktiver Beobachtung verschiedener Aufsichtsbehörden. Wenn sich die neuen Verfahren in den nächsten zwei oder drei Jahren als technisch und juristisch robust erweisen sollten, bleibt immer noch die Frage, welcher Ansatz sich durchsetzt und ob und wie Finanzhäuser mit ihren in herkömmlicher Form abgewickelten Geschäften umgehen werden. Die Wahrscheinlichkeit jedoch, dass auch die Märkte für Finanzderivate von der Digitalisierung profitieren ist sehr hoch. Es macht Sinn, sich schon jetzt an der Entwicklung und Diskussion zu beteiligen, weil man es bei der Materie sonst schwer haben wird, den Rückstand an Know-how und Technologie aufzuholen.

Capital-Kolumnist Dirk Elsner

Dirk Elsner ist bei der DZ Bank Senior Manager Innovation und Digitalisierung. In dieser Kolumne äußert er seine private Meinung. 2008 hat er das private Wirtschaftsblog BlickLog gegründet, das mehrfach ausgezeichnet wurde.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel