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Kolumne EZB unter Druck: Wann sollten die Zinsen steigen?

Europäische Zentralbank in Frankfurt: Die Rufe nach einer Zinsanhebung werden lauter
Europäische Zentralbank in Frankfurt: Die Rufe nach einer Zinsanhebung werden lauter
© IMAGO / Political-Moments / IMAGO
Die hohe Inflation macht der EZB das Leben schwer: Sie soll mit Zinserhöhungen gegensteuern. Aber ist das zum gegenwärtigen Zeitpunkt sinnvoll? Holger Schmieding über die Handlungsmöglichkeiten der EZB und die Effekte höherer Zinsen

Die Inflation ist außer Kontrolle. Die Europäische Zentralbank muss dringend eingreifen. Darin scheint sich ausnahmsweise fast ganz Deutschland einig zu sein. Das mag durchaus richtig sein. Aber manche Beiträge zur deutschen Debatte zeichnen sich durch ein verkürztes Verständnis der Natur und Wirkungsweise der Geldpolitik aus. Sie erwecken den Eindruck, als müsse die Zentralbank nur die Leitzinsen erhöhen und – wie durch Zauberhand – würde der Preisauftrieb etwas später dann abnehmen. So einfach ist es leider nicht. Manche Beiträge vernachlässigen die wichtigste Wirkungskette, mit der die Geldpolitik letztlich den Inflationstrend prägen kann.

Preise steigen, wenn die Nachfrage das Angebot übertrifft. Wenn die Zentralbank ihre Geldpolitik strafft, verteuert sie die Kreditkosten für Haushalte, Unternehmen und Staaten. Gleichzeitig setzt sie einen Anreiz, weniger Geld auszugeben und stattdessen mehr zu sparen. Weniger Kredite, weniger Ausgaben, mehr Ersparnisse. Das dämpft die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Bei schwächerer Konjunktur stellen Unternehmen zudem weniger Mitarbeiter ein. Bei höherer (oder nur langsamer abnehmender) Arbeitslosigkeit geht auf Dauer auch der Lohndruck zurück. Dies dämpft ebenfalls den Preisauftrieb.

Höhere Leitzinsen sind genau das richtige Mittel, um einen übermäßigen Zuwachs der Nachfrage und der Löhne zu verhindern oder zu korrigieren. Aber in Deutschland und der Eurozone zeigt sich derzeit weder eine überhitzte Nachfrage noch ein übertriebener Lohndruck. Im Gegenteil. Der private Verbrauch lag in Deutschland Ende letzten Jahres noch um drei Prozent unter seinem Niveau vor der Pandemie. Die deutschen Tariflöhne legten im Herbst 2021 nur um rund 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. So gesehen ist die Konjunktur bisher eher noch zu kalt als zu heiß.

Inflation wird durch die Angebotsseite getrieben

Die hohe deutsche Inflation von im Januar 4,9 Prozent, unter der gerade die finanziell weniger gut situierten Bürger besonders leiden, wird bisher fast ausschließlich durch Veränderungen auf der Angebotsseite getrieben. Gegen Lieferengpässe, hohe Ölpreise, Putins Erpressungsversuch durch knappe Erdgaslieferungen und die Kosten der Klimaschutzpolitik sind die Währungshüter machtlos.

Natürlich kann die Zentralbank auch diese Inflation bekämpfen. Sie müsste dafür durch höhere Zinsen die Konjunktur so drosseln, dass der übermäßige Anstieg beispielsweise der Energie- und Nahrungsmittelpreise durch einen Verfall anderer Preise ausgeglichen würde.

Konkret hießen höhere Leitzinsen heute, dass der Häuslebauer oder -käufer nicht nur durch ungewöhnlich hohe Material- und Heizkosten, sondern auch noch durch höhere Kreditzinsen in die Zange genommen würde. Die junge Friseurmeisterin, die gerade ihren eigenen Salon aufmachen möchte, müsste zusätzlich zur unerwartet heftigen Heizrechnung auch noch höhere Kreditkosten stemmen. Und wenn ihre Kunden dann bei schwächerer Konjunktur und weniger sicheren Arbeitsplätzen etwas mehr Zeit als üblich zwischen zwei Friseurterminen verstreichen ließen, stünde der neue Salon vielleicht schon bald vor dem Bankrott.

Kein unmittelbarer Handlungsbedarf für die EZB

Inflation zu bekämpfen tut weh. Das heißt nicht, dass die EZB nichts tun sollte. Aber es heißt zweierlei.

  • Erstens sollten die Befürworter einer härteren Geldpolitik klar darlegen, welche Folgen der von ihnen gewünschte sofortige Kurswechsel haben würde. Das vornehm zu verschweigen, wird dem Thema nicht gerecht.
  • Zweitens muss die Zentralbank genau prüfen, ob aus einer Inflation, die bisher nichts mit der von ihr gesteuerten gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu tun hat, nicht doch ein hartnäckiges Problem entstehen könnte, das sie durch vorausschauendes Handeln vermeiden könnte.

Die aktuelle Inflation entzieht sich der Kontrolle durch die EZB. Sofern die Energiepreise nicht immer weiter ins Unermessliche steigen und die akuten Lieferengpässe sich erwartungsgemäß langsam auflösen, wird die jetzige Sonderinflation ab dem Frühjahr spürbar nachlassen. Aus dem aktuellen Preisschub ergibt sich kein unmittelbarer Handlungsbedarf für die EZB.

Mit Blick auf die kommenden Jahre zeichnet sich jedoch ein anderes Bild ab. Mit dem voraussichtlichen Abflauen der Pandemie dürfte die Konjunktur im Frühling oder Sommer kräftig anspringen. Haushalte wollen mehr konsumieren, Unternehmen und Staaten mehr investieren. Die Nachfrage könnte dann für einige Jahre schneller zulegen als das gesamtwirtschaftliche Angebot. Bedingt vor allem durch den Nachwuchsmangel wird sich die zunehmende Knappheit an Arbeitskräften auf Dauer in deutlich höheren Lohnzuwächsen zeigen. Auch der Klimaschutz wird manche Preise treiben. Diesem künftigen Inflationsdruck, der nahezu nichts mit der akuten Knappheit an Öl, Gas und anderen Produkten zu tun hat, sollte die EZB frühzeitig entgegenwirken, indem sie behutsam den Fuß vom Gas nimmt.

Sobald weder Putin noch die Pandemie und ihre direkten Folgen unser Wirtschaftsgeschehen prägen, sollte die Geldpolitik auf einen neutralen Kurs einschwenken. Angemessen wäre es aus heutiger Sicht, die Anleihekäufe bis spätestens September schrittweise auf null zurückzufahren und ab Dezember die Leitzinsen zu erhöhen. Dann dürfte die Konjunktur stark genug sein, dass auch der stolze Häuslebauer und die junge Friseurmeisterin die höheren Kreditkosten verkraften könnten.

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen. Weitere Kolumnen von Holger Schmieding finden Sie hier

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