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Davos 2019 Es war einmal ein Boom

Weltwirtschaftsforum: Das diesjährige Jahrestreffen findet vom 22. bis 25. Januar in Davos statt
Weltwirtschaftsforum: Das diesjährige Jahrestreffen findet vom 22. bis 25. Januar in Davos statt
© dpa
Die Weltwirtschaft wächst noch, aber nervöser und angespannter als vor einem Jahr. Diese Fragilität und das Vakuum an Führung wird dieses Jahr auch das Treffen der Weltelite in Davos beschäftigen. Horst von Buttlar über das World Economic Forum

Es ist nicht mal ein Jahr her, da feierte der IWF einen „weltweiten synchronen Aufschwung“. Ja, es lief in der Weltwirtschaft und zwar fast überall. Die sieben größten Volkswirtschaften der Welt (USA, China, Deutschland, Japan, Frankreich, Großbritannien und Indien) wuchsen alle jeweils mit mehr als 1,5 Prozent. Eine „unübliche Gleichzeitigkeit“, stellte der IWF fest.

Die 45 wichtigsten Volkswirtschaften legten ebenfalls zu – das erste Mal seit der Finanzkrise, und zwar gleichzeitig. In 120 Volkswirtschaften, die für drei Viertel des globalen BIP standen, hatte sich das Wachstum 2017 beschleunigt, es war der „breiteste synchrone globale Wachstumsschub seit 2010“.

Zwar gab es schon damals Sorgen über die Fragilität dieses Booms – sogar der jubelnde Währungsfonds warnte, dass „die nächste Rezession näher sein könnte als gedacht“. Das lag aber zum einen daran, dass Ökonomen sich immer Sorgen machen, wenn die gute Konjunktur schon lange anhält. Einen solchen synchronen Aufschwung hatte es nämlich zuletzt in den späten 1980ern gegeben und in den Jahren 2004 bis 2007. Hinzu kamen Sorgen über die globale Verschuldung – und vor allem über die Geopolitik, die sich immer mehr mit der Weltwirtschaft vermischte, was einem heute ja noch immer bekannt vorkommt.

Der synchrone Aufruhr

Die Welt ist seit einigen Jahren ein Ort geworden, in dem sich immer mehr Länder mit Tiraden und Drohungen überziehen. Sie suchen ihre Zukunft in Abschottung und Austritten, in einer Nation oder Volksgemeinschaft, in Parolen der scheinbaren Stärke – oder in einem Abnutzungskampf um Zölle, Arbeitsplätze oder Mauern, die an Landesgrenzen gebaut werden sollen. Und so müsste man ein Jahr später eher über den synchronen Aufruhr nachdenken, den wir in vielen Ländern erleben.

Das Weltwirtschaftsforum in Davos, das ab heute für fünf Tage stattfindet, mit einigen Tausenden Teilnehmern und deren Begleitern, Hunderten Panels und Veranstaltungen, Breakfast Sessions, Private Lunches und Dinners, Nightcaps und Receptions wirkt in diesem Jahr fast wie eine Veranstaltung aus einer anderen Zeit, in der man noch zusammenfinden wollte. Einer Zeit mit dem Grundansatz, wonach auf diesem Erdball möglichst alle einem Tisch sitzen sollen, um dort miteinander zu reden und zu verhandeln und eine Lösung zu finden, die am Ende allen nutzt.

Diese Kooperation war zwar schon immer Wunschdenken und Illusion – auch der vielbeschworene „Geist von Davos“. Für Kritiker war das Treffen der Staatschefs, Minister, CEOs, Investoren, Top-Manager, Berater und Journalisten eher eine einwöchige Superblase. Abgeschottet und abgehoben, ein großer elitärer Zirkus, wo jeder vortrefflich auf großer Bühne über Klimaschutz und globale Ungleichheit sinnieren konnte.

Die Reste eines Geistes

Aber dieser Geist war eben doch immer da. Hier in Davos trafen Staatschefs von verfeindeten Ländern aufeinander, hielten Präsidenten ihre Antrittsreden, setzten neue Töne und Botschaften. Und am Ende fuhr man mit zwei, drei neuen Gedanken nach Hause, nachdenklicher und inspirierter. Zumindest ging es mir so, der ich das Privileg habe, für Capital seit 2014 in Davos zu sein.

In diesem Jahr sind die Zahlen zwar immer noch im Plus, die Weltwirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, aber alles schwächer und eine Nummer kleiner. Der IWF senkte in Davos seine Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft von 3,7 auf nur noch 3,5 Prozent. Die deutsche Wirtschaft soll 1,3 Prozent zulegen, vor ein paar Monaten war der Währungsfonds noch von 1,9 Prozent ausgegangen. Immerhin die Wirtschaft wächst. Eine Zeitlang hatte das böse R-Wort machte die Runde gemacht – vor allem in Deutschland, dessen Wirtschaft im dritten Quartal geschrumpft war – was sich im vierten wohl nicht wiederholt hat. Aufs Jahr gesehen kam immerhin ein Plus von 1,5 Prozent heraus. Ordentlich, aber weniger als erwartet.

Die fetten Jahre, das sagt sogar Bundesfinanzminister Olaf Scholz, scheinen vorbei. Aber stimmt das? Zumindest hat der Kampf um den Kuchen der Weltwirtschaft überall seinen Spuren hinterlassen: im BIP der Volkswirtschaften, in den Bilanzen Tausender Konzerne, in den Lieferketten, den Lagerhallen und Analysen. Was wohl daran liegt, dass immer mehr der Überzeugung sind, dass dieser Kuchen nicht mehr größer für alle werden kann, sondern der Kampf um das größte Stück oder ein paar Krümel die Hauptaufgabe ist.

Trump spukt mit

Die Ironie ist, dass in Davos, wo auch in diesem Jahr der Geist der internationalen Kooperation wehen soll, diese neuen Gespenster ein wenig mitspuken. Selbst wenn sie nicht da sind, so wie Donald Trump und die gesamte amerikanische Delegation, die wegen des Shutdowns in Washington nicht anreist.

Der Aufschwung scheint nicht nur fragil, sondern fiebrig, nervös, angespannt, bereit zum großen Absturz, was auch an der Lautstärke messbar ist, die uns täglich erreicht: Das Zetern und Keifen aus dem Weißen Haus, das Gekreische aus dem britischen Unterhaus, das Pfeifen der Gelbwesten, das Gegröle der Nationalisten in Italien, Ungarn, in Teilen auch in unserem Land. Vielleicht entsteht also in der Ruhe eines Schweizer Tals trotz des Trubels ein neuer Gedanke, eine Idee, eine Botschaft, die zum Ziel hat, den Kuchen für alle wieder größer zu machen.

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