Bundeswehrausrüstung Entscheidung für F-35: Modernste Kampfjets statt Museumsstücke

Die F-35 gilt als das modernste Kampfflugzeug der Welt
Die F-35 gilt als das modernste Kampfflugzeug der Welt
© IMAGO / ZUMA Wire
Die Bundeswehr soll die modernsten Kampfflugzeuge der Welt bekommen. Die erste große Rüstungsentscheidung nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs ist auch ein Zeichen für einen Kurswechsel beim Waffeneinkauf

Wenn Bundeswehrexperten über veraltetes Militärgerät sprechen, verwenden sie gerne den Begriff „ausphasen“. Dahinter verbirgt sich der Zeitplan, wie das Gerät reduziert und schließlich ganz außer Dienst gestellt werden soll. Beim Kampfjet Tornado, der seit Anfang der 80er-Jahre in der Truppe eingesetzt wird und ursprünglich für eine Nutzungsdauer von 20 Jahren vorgesehen war, ist schon seit vielen Jahren klar, dass die veralteten Flieger bald „ausgephast“ werden müssen. Sie gelten als museumsreif.

Schon lange laufen im Verteidigungsministerium Planungen, wie die Tornado-Flotte ersetzt werden soll. Während die anderen Nato-Nationen die Maschinen längst aussortiert oder zumindest über eine Nachfolge entschieden haben, wurden in Berlin noch Konzepte geschrieben, Lobbyisten gaben sich die Klinke in die Hand. Denn bei der Entscheidung geht es auch um einen Großauftrag in zweistelliger Milliardenhöhe, um den sich Rüstungsfirmen aus Europa und den USA balgen. Auf der einen Seite der europäische Hersteller Airbus mit seinem Eurofighter. Auf der anderen Seite die beiden US-Konzerne Boeing und Lockheed Martin mit ihren Kampfflugzeugen vom Typ F-18 und F-35.

Noch im Jahr 2018, unter der Ministerin Ursula von der Leyen (CDU), galt Airbus als klarer Favorit. „Der Eurofighter hat für mich eindeutig ein Prä“, sagte von der Leyen damals. Unter ihrer Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wurden die Pläne dann sehr konkret. Demnach sollten die rund 90 Tornados der Luftwaffe durch Modelle von zwei Herstellern ersetzt werden: bis zu 55 optimierte Eurofighter von Airbus und 45 F-18 des US-Konzerns Boeing. Dabei sollte die F-18-Variante „Super Hornet“ die sogenannte nukleare Teilhabe sicherstellen – also die Fähigkeit, US-Atomwaffen, die im rheinland-pfälzischen Büchel lagern, ins Ziel zu tragen. Für diese Rolle ist der Eurofighter heute nicht geeignet. Der Charme dieses Konzepts aus industriepolitischer Sicht: Es sichert die nukleare Teilhabe – ohne den heimischen Hersteller Airbus leer ausgehen zu lassen.

Modernster Kampfjet der Welt

Doch obwohl Kramp-Karrenbauer die Beschaffung der Jets 2020 intern bereits abgesegnet hatte, kam es nicht zu einem Vertragsabschluss. In der Großen Koalition wurde die Entscheidung blockiert. In maßgeblichen Teilen der SPD gab es noch Diskussionsbedarf, ob Deutschland überhaupt an der nuklearen Teilhabe festhalten solle. Und auch die Industrie äußerte Bedenken: Der Kauf von US-Flugzeugen könne das eigene Großprojekt „Future Combat Air System“ (FCAS) konterkarieren, mit dem Deutschland und Frankreich den Bau eines europäischen Kampfflugzeugs der Zukunft vorantreiben. Das Ergebnis: Die Entscheidung für die Tornado-Nachfolge wurde weiter verschleppt.

In die Jahre gekommen: Ein Tornado-Kampfjet der Luftwaffe
In die Jahre gekommen: Ein Tornado-Kampfjet der Luftwaffe
© IMAGO / Lars Berg

Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geht jetzt alles jedoch ganz schnell. Die von Kanzler Olaf Scholz konstatierte sicherheitspolitische „Zeitenwende“ soll sich nicht nur in dem geplanten Sondervermögen von 100 Mrd. Euro ausdrücken, mit dem die kaputtgesparte Bundeswehr saniert und besser ausgerüstet werden soll. Dazu gehört auch, dass lange überfällige Rüstungsentscheidungen getroffen und zügig umgesetzt werden – allen voran der Ersatz für die altersschwachen Tornados.

Wie am Montag bekannt wurde, will das Bundesverteidigungsministerium als erste Teillösung für die Nachfolge der Tornado-Flotte bis zu 35 Flugzeuge vom Typ F-35 des US-Herstellers Lockheed Martin kaufen. Die F-35 mit einem Stückpreis von rund 80 Mio. Dollar gilt als der modernste Kampfjet der Welt. Dank einer speziellen Außenbeschichtung ist der Tarnkappenbomber, auf den neben den USA auch eine Reihe von Nato-Partnern wie Großbritannien, Italien, Belgien, die Niederlande und Norwegen setzen, für die gegnerische Aufklärung nur schwer zu erkennen. Der Vorteil dieses Modells: Es ist auch für den Einsatz von Atombomben zertifiziert. Im Fall der zuletzt in Berlin favorisierten F-18 „Super Hornet“ von Boeing hätte diese Zertifizierung erst noch erfolgen müssen – ein Kriterium, das bei der jetzigen Entscheidung offenbar eine wichtige Rolle gespielt hat. Noch im Jahr 2019 hatte das Wehrressort die F-35 bei einer Vorauswahl zwischen den verschiedenen Optionen aussortiert.

Die erste große Rüstungsentscheidung nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine spiegelt damit auch einen Grundsatz wider, den die Bundesregierung bei ihrem geplanten Milliardenprogramm für die Bundeswehr verfolgen will. So will das Verteidigungsministerium beim Einkauf von Militärgerät künftig konsequent auf Waffensysteme setzen, die bereits auf dem Markt verfügbar und für den vorgesehenen Einsatz zugelassen sind. Dagegen soll es aufwendige und langwierige Neuentwicklungen nur noch im Ausnahmefall geben, wie der für Ausrüstung zuständige Abteilungsleiter im Wehrressort kurz nach Kriegsbeginn in zwei Videoschalten mit der Rüstungsindustrie mitgeteilt hat. Die entsprechenden Protokolle liegen Capital vor.

Bislang war das Verteidigungsministerium selten in der Lage, Panzer, Flugzeuge oder digitale Funkgeräte zügig zu kaufen. Grund dafür waren einerseits vergaberechtliche Hürden, gerade bei Großprojekten aber häufig auch industriepolitische Erwägungen. Statt verfügbares und bereits erprobtes Gerät aus anderen Nato-Staaten zu bestellen, wurden oft teure Neuentwicklungen bei heimischen Firmen beauftragt. Oder es wurden Entscheidungen zwischen verschiedenen Anbietern verschleppt wie im Fall der Tornado-Nachfolge und bei einem dringend benötigten Transporthubschrauber für die Truppe.

Aus für „Goldrandlösungen“

Ein eindrucksvolles Beispiel für die bisherige Rüstungspolitik ist auch die Entwicklung eines neuen Raketenabwehrsystems, die vor fast 20 Jahren unter dem Namen Meads begann. Nach dem angekündigten Ausstieg der Amerikaner aus dem Projekt 2011 verfolgte die Bundesregierung die Weiterentwicklung des komplexen Systems auf eigene Faust, nicht zuletzt auf Druck der deutschen Industrie und ihrer Fürsprecher im Bundestag – während andere Nato-Partner auf die Modernisierung des bestehenden Patriot-Abwehrsystems des US-Herstellers Raytheon setzten. Die Folge: Bis heute ist das mittlerweile TLVS genannte System nicht einsatzbereit, die Kosten für die Fertigentwicklung liegen inzwischen bei mehr als 10 Mrd. Euro. Manch einer hofft jetzt, dass das Projekt angesichts der neuen Bedrohungslage und Scholz‘ Milliardenpaket eine neue Chance erhält.

Solche nationalen Programme – wegen spezieller Wünsche aus der Bundeswehr an die Hersteller oft „Goldrandlösungen“ genannt – soll es nach dem Willen von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in Zukunft praktisch nicht mehr geben. Für komplexe Neuentwicklungen setzt die Bundesregierung vor allem auf gemeinsame Projekte mit europäischen Partnern, vor allem mit Frankreich. Konkret geht es dabei um einen neuen Kampfpanzer (MGCS), eine europäische Drohne sowie das Kampfflugzeug der Zukunft (FCAS). Hinter den Projekten steht auch das Ziel, Europa in der Verteidigungspolitik handlungsfähiger und unabhängiger von US-Militärtechnik zu machen.

Um mithilfe des geplanten Milliardenprogramms schon auf kurze Sicht Lücken bei der Truppe etwa bei der persönlichen Ausrüstung der Soldaten oder der Munition zu schließen, hat das Wehrressort erste Schritte veranlasst. So hat es das zuständige Beschaffungsamt der Bundeswehr angewiesen, in der aktuellen Krise sämtliche Spielräume im Vergaberecht zu nutzen, etwa durch Berufung auf „nationale Sicherheitsinteressen“. Auf diese Weise sollen langwierige Ausschreibungsverfahrenen reduziert werden. Weitere Erleichterungen im Vergaberecht sollen innerhalb der Bundesregierung geprüft werden.

Zudem versprach das Verteidigungsministerium den Rüstungsfirmen „größtmögliche Unterstützung“, um Engpässe bei der Versorgung mit Kapital und Rohstoffen zu beheben. Einige Unternehmen klagen massiv über Finanzierungsprobleme, weil die Branche als sozial nicht nachhaltig eingestuft wird und Banken mit Blick auf die sogenannte Taxonomie Engagements meiden. Im Gegenzug erwartet das Ministerium, dass die Firmen kurzfristig ihre vergaberechtlichen Klagen gegen den Bund und untereinander wegen bereits erteilter Aufträge stoppen. Ob die Klagen tatsächlich abgeräumt wurden, ist unklar – ebenso wie die Frage, wie die Bundesregierung die Rüstungsfirmen bei der Kapitalbeschaffung konkret helfen will. Eine Anfrage ließ das Verteidigungsministerium unbeantwortet.

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