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Analyse Elon Musk macht Ernst: Wie die Massenentlassungen Twitter verändern werden

Das Soziale Netzwerk Twitter wurde zuletzt von Elon Musk aufgekauft. Der Tesla-Chef verordnete dem Konzern direkt einmal einen Schrumpfkurs
Das Soziale Netzwerk Twitter wurde zuletzt von Elon Musk aufgekauft. Der Tesla-Chef verordnete dem Konzern direkt einmal einen Schrumpfkurs
© IMAGO/NurPhoto
Der neue Twitter-Chef schmeißt offenbar die Hälfte seiner Belegschaft raus. Musk will die Plattform zu einer Art „Tesla 2.0“ machen – inklusive steiler Hierarchien und hoher Entwickler-Quote

Knapp 3500 Emojis schlummern auf einem handelsüblichen Smartphone. Die meisten warten jahrelang auf ihren Einsatz und häufig auch vergeblich. Lange Zeit sah es so aus, dass einem salutierenden Emoji das gleiche Schicksal ereilt. Veröffentlicht im September 2021 verschwand das gelbe Halbgesicht seitdem mehr oder weniger in der Smartphone-Peripherie. Bis zu dieser Woche, als dem Emoji plötzlich ein kometenhafter Aufstieg gelang. Und ironischerweise steckte dahinter ein Mann, der sein Geld unter anderem mit Raumfahrt verdient: Elon Musk. 

Der Grund ist allerdings ein anderer: Musk, 51-jähriger US-Unternehmer und Tesla-Chef, hat in dieser Woche den Kurznachrichtendienst Twitter übernommen – und in der Folge Massenentlassungen angekündigt. In der jetzigen Form sei das Geschäftsmodell nicht zukunftsfähig, erklärte er, und kündigte an, den Konzern „gesundzuschrumpfen“. „Es scheint so, dass hier zehn Manager auf einen Programmierer kommen“, schrieb er auf der Plattform. Dort, auf Twitter, wurde kurze Zeit später dann auch der salutierende Emoji berühmt – nämlich durch die Menschen, die Musks Schrumpfkur zum Opfer gefallen sind. 

 

„Ich bin offiziell raus. Es war mir die größte Ehre“, schrieb zum Beispiel die Twitter-Analystin Irene Font Peradejordi. Sie garnierte ihren Tweet mit dem salutierenden Emoji. Twitter-Entwicklerin Rumman Chowdhury beließ es beim Salut, andere Kolleginnen und Kollegen solidarisierten sich unter dem Beitrag in der gleichen Form. Der salutierende Emoji als Symbol für die Twitter-Kündigung war geboren und kursiert seitdem. 

Das Besondere war allerdings viel mehr die Art der Kündigung. Offenbar soll Musk in dieser Woche führende Twitter-Manager dazu gedrängt haben, rund um die Uhr an neuen Produkten und Einsparpotenzialen zu arbeiten. Eine neue Geschäftsidee präsentierte Musk schnell: Für 8 Dollar im Monat sollen Nutzer künftig den beliebten blauen Haken erhalten, der auf einen verifizierten Account schließen lässt. Bislang war der ausschließlich Prominenten oder medienrelevanten Personen vorbehalten. Die Zweifel sind allerdings groß, dass das funktioniert. Ehemalige Mitarbeiter berichten, dass die Idee bereits mehrfach modelliert wurde – und nur drei Prozent der Nutzer überhaupt bereit waren, Geld für Twitter zu zahlen. Bereits 2020 sollen Musk und der damalige CEO Jack Dorsey darüber gesprochen haben. 

Auf der Kostenseite ist das Potenzial größer, und gegen Ende der Woche kristallisierten sich dann auch immer deutlicher Musks Sparpläne heraus. Mehrere US-Medien berichteten über interne Mails von Twitter. Demnach muss etwa die Hälfte der 7500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit gehen. Und das in einer Nacht- und Nebelaktion von Donnerstag auf Freitag. 

 

„Um Twitter auf einen gesunden Pfad zu bringen, werden wir unseren Mitarbeiterstamm am Freitag reduzieren“, kündigte Twitter seinen Mitarbeitern offenbar am Donnerstag per Mail an, wie aus einem Artikel der Financial Times hervorgeht. Demnach erhalten gekündigte Mitarbeiter am Freitag um 9 Uhr kalifornischer Ortszeit eine Mail an ihre private Mailadresse. Diejenigen, die bleiben dürfen, werden über ihre Firmen-Mailadresse informiert. 

Dass Musk sein Vorhaben ernst meint, zeichnete sich schon am Donnerstagabend ab. Einige Mitarbeiter berichteten, dass sie ihre Zugänge für Slack oder ihr Postfach verloren haben. Offenbar fürchtete Twitter im Vorfeld Racheaktionen geschasster Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Darauf lässt jedenfalls schließen, dass alle Twitter-Beschäftigten am Freitag im Homeoffice arbeiten müssen. In der Vergangenheit ist es beispielsweise einem gekündigten Mitarbeiter gelungen, den Account von Ex-US-Präsident Donald Trump zeitweise zu deaktivieren. So etwas wollte Twitter nun offensichtlich verhindern. 

  

Interessant ist vor allem, welche Stellen eingespart werden. Aus den bisherigen Äußerungen Elon Musks lässt sich vor allem eines ableiten: Der neue Chef will offenbar teure Leitungspositionen streichen, während rein operative Kräfte wie Programmierer bleiben dürfen. Steilere Hierarchien und eine hohe Entwicklerquote – das würde zu seinem bisherigen Vorgehen passen. Eine prominente These lautet, dass Twitter zu einer Art Tesla 2.0 werden könnte. Demnach würde Musk von nun an weitestgehend auf Marketing & PR verzichten, und den Konzern stattdessen auf ihn selbst zuschneiden. Das könnte Twitter letztlich einen dreistelligen Millionenbetrag jährlich einsparen, den er jetzt noch für Marketing ausgibt. Für die These spricht auch, dass Musk laut Medienberichten 50 Tesla-Ingenieure zu Twitter versetzt hat – die haben zwar keine Ahnung von Sozialen Netzwerken, dafür aber das Vertrauen des Tesla-Chefs.

Inhaltlich dürfte der Kurs klar sein: Musk will die Plattform zu einer Art Marktplatz machen, auf der Inhalte kaum noch moderiert werden. Gesperrte Nutzer wie Donald Trump könnten wohl zurückkehren, wenn sie denn wollen. Auch wenn einige Werbetreibende bereits angekündigt haben, ihre Twitter-Budgets deswegen zu kürzen, wird Musk wohl an diesem Kurs festhalten.

Gutes Betriebsklima könnte sich abkühlen

Fest steht wohl auch, dass die arbeitnehmerfreundlichen Zeiten vorbei sein dürften. Bislang genossen Twitter-Mitarbeiter Homeoffice und flexible Arbeitszeiten – und auch generell galt das Betriebsklima als gut. Laut Bloomberg hat Musk jetzt den Urlaub bis Jahresende gestrichen. Außerdem hält der reichste Mensch der Welt nicht viel von Homeoffice, nannte es einmal „Pseudo-Büro“. Im Juni führte Musk daher für alle Tesla-Mitarbeiter die Präsenzpflicht wieder ein. Wer sich dem widersetzen würde, werde gefeuert, drohte er damals. „Diese Leute sollen woanders so tun, als würden sie arbeiten.“ Ein ähnliches Vorgehen wird nun auch bei Twitter erwartet.

 

Fraglich ist allerdings, wie schnell Musk seine Pläne tatsächlich durchsetzen kann. Denn selbst im arbeitgeberfreundlichen Amerika sind solche radikalen Stellenkürzungen an Auflagen geknüpft. Unter (ehemaligen) Twitter-Mitarbeitern formiert sich deswegen Widerstand. Vor dem nördlichen Bezirksgericht von Kalifornien ist bereits eine Sammelklage eingegangen, die eine einstweilige Verfügung anstrebt. Letztlich, so die Kläger, seien die Entlassungen nicht zulässig, weil Twitter gegen den „Worker Adjustment and Retraining Notification Act“ verstößt. Dieser sieht vor, dass die betroffenen Mitarbeiter 60 Tage vor einer „Massenentlassung“ informiert werden müssen. Verstößt Twitter tatsächlich gegen dieses Recht, droht dem Unternehmen eine Strafe von 500 Dollar pro Tag für jeden der entlassenen Mitarbeiter. Dazu kommen hohe Abfindungen an die früheren Angestellten.

„Das wäre signifikant, möglicherweise aber nicht für Elon Musk, der das bislang komplett ignoriert“, erklärt die Juristin Lisa Bloom auf Twitter. Die Financial Times weist zudem darauf hin, dass Musk im Sommer ähnlich bei Tesla-Mitarbeitern vorgegangen sei. Einige Twitter-Mitarbeiter berichten allerdings, dass sie bis Januar weiter angestellt bleiben – allerdings schon jetzt zuhause bleiben dürfen. Offenbar aufgrund der kalifornischen Gesetze.

Auch wenn sich das komplette Bild so kurz nach den Entlassungen erst noch zusammensetzen muss. Klar ist schon jetzt, dass Musk Twitter innerhalb weniger Tage tiefer verändert hat als mehrere CEOs in über zehn Jahren. Und für viele endete das Kapitel in diesen Tagen mit einem salutierenden Emoji.

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