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Übernahme erfolgt Was die Twitter-Entlassungen über Musks Strategie verraten

Einmarsch mit Waschbecken: Elon Musk am Donnerstag in der Twitter-Lobby
Einmarsch mit Waschbecken: Elon Musk am Donnerstag in der Twitter-Lobby
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited
Der Umbau von Twitter beginnt noch am Tag der Übernahme. Elon Musk feuert vier Spitzenmanager – und leitet damit einen Kurswechsel im Umgang mit Hassrede ein

Als der US-Unternehmer Elon Musk am Mittwoch mit breitem Lächeln durch den Eingang der Twitter-Zentrale marschierte, hatte er ein außergewöhnliches Präsent für seine neuen Kollegen dabei: In den Armen trug der Twitter-CEO in spe ein weißes Waschbecken.

„Alles bis auf die Küchenspüle hergeben“ ist eine britische Redewendung. Sie bedeutet so viel wie die letzten Kräfte für einen Sieg aufbringen. Musk nahm das offenbar wörtlich. Der Multimilliardär hat nach einem monatelangen Schlagabtausch die Kontrolle über den Kurznachrichtendienst Twitter übernommen.

Musk will Twitter für einen Kaufpreis von 44 Mrd. US-Dollar von der Börse nehmen, um den Dienst nach seinen Vorstellungen umzubauen. Am Freitag bestätigte Twitter gegenüber der Börsenaufsicht SEC den Rückzug von der Börse und die Übernahme durch Musk. Auf seinem eigenen Twitter-Profil hat Musk bereits die Jobbeschreibung „Chef-Zwitscherer“ hinzugefügt.

Für den großen Hausputz, der jetzt ansteht, hat Musk praktischerweise gleich sein eigenes Waschbecken mitgebracht. Noch am Donnerstag wurde bekannt, dass der Unternehmer mindestens vier Spitzenmanager vor die Tür gesetzt hat. Die Entlassungen sagen viel über die Richtung, in die Twitter mit seinem neuen Eigentümer steuern dürfte.

Umgang mit Hassrede als zentraler Konflikt

Zu denen, die nun gehen müssen, zählt der bisherige Twitter-Chef Parag Agrawal. Der gelernte Softwareentwickler stieg bei Twitter zunächst zum Technikchef auf und übernahm 2021 den Chefsessel von Twitter-Gründer Jack Dorsey. Noch mehr als sein Vorgänger stand Agrawal für einen härteren Kurs gegen Hassrede und Desinformation in den sozialen Medien. Konservative legten ihm die schärferen Moderationsregeln als Angriff auf die Meinungsfreiheit aus.

Musk hat in der Vergangenheit mehrfach deutlich gemacht, dass er Agrawals Kurs für einen großen Fehler halte. Der Tesla-Chef ist ein selbsterklärter „Absolutist in Sachen Redefreiheit“. Er stellt sich damit in die Tradition des englischen Philosophen John Stuart Mill, der an die Selbstregulierung des Meinungsmarktes glaubte. Nach dieser Schule muss eine Demokratie auch Hassrede und Desinformation ertragen.

In Bezug auf Twitter hat sich Elon Musk klar gegen die Moderation von Inhalten ausgesprochen. Er mache sich Sorgen, dass die aus seiner Sicht „faktische Voreingenommenheit“ des Algorithmus den öffentlichen Diskurs beeinflusse. Nach der Übernahme von Twitter wolle er „die Prinzipien der freien Meinungsäußerung“ wiederherstellen. Im Klartext: Als Twitter-CEO will er Hassrede und Desinformation freie Bahn lassen – und sich nur an die gesetzlichen Mindestanforderungen zur Moderation halten.

Rückkehr von Donald Trump auf die Plattform

Auf Musks Abschussliste steht auch die bisherige Chefjuristin Vijaya Gadde. Die Managerin leitete die Rechtsabteilung und das Politikteam. Unter Agrawal war sie zuständig für dem Umgang mit Desinformation und Hassrede. Gadde stand für strikte Moderationsregeln und soll sich intern sehr besorgt über Musks Pläne geäußert haben. Der Juristin wird zudem eine Schlüsselrolle bei der Account-Sperrung des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump zugewiesen. Twitter hatte Trump nach dem Sturm auf das US-Kapitol im Januar 2021 wegen „Anstiftung zur Gewalt“ dauerhaft von der Plattform verbannt.

Finanzchef Ned Segal hatte Trumps Account-Sperrung ebenfalls mehrfach öffentlich bekräftigt. Auch er steht nun auf Elon Musks Streichliste, zusammen mit Chef-Justiziar Sean Edgett, der Twitters Rechtsstreit gegen Musk wegen Vertragsbruch mitgesteuert hatte.

Mit den Personalentscheidungen entledigt sich Musk möglicher Widersacher, die dem Umbau von Twitter hin zu einem Ort für radikale Redefreiheit um jeden Preis im Weg stehen könnten. Gleichzeitig ebnet er damit den Weg für eine Rückkehr Donald Trumps. Musk hat sich in der Vergangenheit bereits klar dafür ausgesprochen, seine Account-Sperrung aufzuheben. Ob Trump, der inzwischen seine eigene Plattform Truth Social aufgebaut hat, überhaupt zurückkommen möchte, ist jedoch offen.

Ausbau zur Everything-App

Der sich andeutende Kurswechsel sorgt bei den mehr als 8.000 Mitarbeitern von Twitter für Unruhe. Viele fürchten um ihre Jobs. Gerüchte über Massenentlassung von 75 Prozent der Belegschaft hat Musk inzwischen dementiert.

Klar ist: Wenn Musk seine Vision von Twitter umsetzen will, kann er sich keinen Kahlschlag leisten. Der Unternehmer will Twitter nach eigener Aussage langfristig zu einer Alleskönner-App namens X umbauen. Der Begriff „Everything App“ oder „Super-App“ bezeichnet Anwendungen, die eine Vielzahl von Dienstleistungen in einer App bündeln. Bekanntestes Vorbild ist der chinesische Messenger WeChat, über den die Nutzer auch im Laden bezahlen oder ein Taxi bestellen können. Welche Pläne Musk mit seinem „Everything-App“-Ansatz verfolgt und wie ernst er es damit tatsächlich meint, hat er bisher allerdings nicht erklärt.

Aus wirtschaftlicher Sicht kann Twitter den Neuanfang gut gebrauchen. Gemessen an den Nutzerzahlen ist das soziale Netzwerk im Vergleich zu den rund zwei Milliarden täglichen Besuchern des Konkurrenten Facebook immer noch ein Zwerg. Die gesteckten Ziele, bis 2023 die täglichen Nutzer auf 315 Millionen zu steigern und gleichzeitig den Jahresumsatz auf 7,5 Mrd. US-Dollar zu verdoppeln, gelten als sehr ambitioniert. Unter der Führung von Elon Musk könnte die Wachstumsrakete vielleicht zünden. Andererseits hat der Tech-Milliardär schon klargestellt, dass ihm beim Twitterkauf eine Sache völlig egal sei: „Mehr Geld zu machen“. Sein Ziel sei es vielmehr, „der Menschheit“ zu helfen.

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