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Kommentar Eine Koalition ist das Ende Angela Merkels

Angela Merkel verlässt am Donnerstagabend Schloss Bellevue. Bundespräsident Steinmeier hatte sie sowie die Parteichefs von CSU und SPD zum Gespräch geladen
Angela Merkel verlässt am Donnerstagabend Schloss Bellevue. Bundespräsident Steinmeier hatte sie sowie die Parteichefs von CSU und SPD zum Gespräch geladen
© Getty Images
Wie wird die schwierige Regierungsbildung hierzulande im Ausland wahrgenommen? FT-Autor Philip Stephens sieht gute Gründe für die SPD, einer Neuauflage der Großen Koalition zuzustimmen – denn Angela Merkels Zeit als Kanzlerin laufe ab

Über zwei Themen wird in Berlin derzeit viel geredet. Zum einen geht es um die Frage, ob es Angela Merkel gelingen wird, die Sozialdemokraten zum Eintritt in eine weitere Großen Koalition zu bewegen. Zum anderen um den geeigneten Kandidaten für ihre Nachfolge als Vorsitzender der Christdemokraten. Beides ist eng miteinander verbunden. Eine Einigung mit der SPD wird nur deshalb für möglich gehalten, weil ein Ende von Merkels Kanzlerschaft in Sichtweite ist.

Die Uhr begann für die Kanzlerin nach der Bundestagswahl im September zu ticken, bei der sie einen überzeugenden Sieg verpasst hatte. Bei den Christdemokraten heißt es, Merkel habe sich noch immer nicht von dem Rückschlag erholt. Ihr soll es an Energie mangeln und sie gebe nicht zu erkennen, unter welcher Überschrift die kommenden vier Jahre stehen sollten . Auch sei sie zunehmend auf eine kleine Gruppe von Vertrauten angewiesen. Und sie habe weit vor der diesjährigen Wahl die Absicht gehabt, jemand anderem Platz zu machen, heißt es. Doch nach der Öffnung der Grenzen im Jahr 2015 habe sie sich der Aufgabe, die Flüchtlinge zu integrieren, nicht entziehen wollen.

Ein Teil der Spekulationen auf den Korridoren des Bundestages ist sicherlich eigennützig. Das Gerede über einen Generationswechsel an der Spitze geht auf das Konto der Ehrgeizigen und bisher Übergangenen in Merkels Partei. Die überzeugten Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik blicken auf Persönlichkeiten wie Jens Spahn , den jungen eher zum rechten Flügel seiner Partei zählenden Staatssekretär im Finanzministerium. Alte Hasen verweisen auf die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, die bisher nicht im Bundeskabinett vertreten war. Sie kann jedoch auf eine Reihe von Wahlsiegen verweisen. Wenn man den Flüsterern glaubt, ist sie Merkels Favoritin.

Keine Angst vor Merkels Umarmung

Vielleicht wird aber keiner von beiden ihre Nachfolge antreten. Der Punkt ist, dass das sich abzeichnende Ende von Merkels Zeit als Regierungschefin ein wichtiges Hindernis für künftige Koalitionspartner beseitigen dürfte. Dreimal hat die Umarmung der Kanzlerin ihre Partner bei nachfolgenden Wahlen erstickt. Zuerst waren es die Sozialdemokraten, dann die wirtschaftsliberalen Freien Demokraten und danach zum zweiten Mal die SPD. Das Fehlen eines politischen Wettstreits in der Mitte hat den Vormarsch der extremen Rechten und der extremen Linken erleichtert - der nationalistischen Alternative für Deutschland und der ehemals kommunistischen Die Linke.

Die Befürchtung, dass sich die Geschichte wiederholen könnte, veranlasste den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner dazu, die Gespräche mit Merkel über eine sogenannte Jamaika-Koalition unter Einbeziehung der Grünen abzubrechen. Lindner steckte Positionen zur Migration und zur Reform der Eurozone ab, um seine Partei als „respektable“ Alternative zur AfD zu positionieren. Deutschland ist bei den Wahlen im September nach rechts gerückt – und die Parteien folgen dem nun.

Ob es sinnvoll für die Freien Demokraten ist, bei der AfD auf Stimmenfang zu gehen, sei dahingestellt. Aber in einem Punkt irrt Lindner sich. Diesmal wird Merkels Koalitionspartner der quälende Kampf gegen die Kanzlerin erspart bleiben, denn die große Zeit der Kanzlerin ist vorbei. Bei der nächsten Wahl werden die Christdemokraten mit einem neuen Vorsitzenden antreten.

Eine Koalition kann Geld verteilen

Es gibt noch andere Gründe, warum die SPD ihren anfänglichen Widerstand gegen eine Regierungsbeteiligung überdenken sollte. Die meisten Menschen spüren, dass es der deutschen Wirtschaft recht gut geht. Tatsächlich wächst die Eurozone schneller als je zuvor in jüngster Zeit.

Weniger beachtet werden die Haushaltsüberschüsse in Deutschland. Die Minister in Merkels Regierung sprechen von einem Berg von Geld, der nicht auf den Bundeshaushalt beschränkt ist. Bis auf eines der 16 Bundesländer weisen alle Haushaltsüberschüsse auf. Für eine linke Partei wäre es seltsam, wenn sie in dieser Situation im Abseits stehen würde. Schließlich sind Sozialdemokraten davon überzeugt, dass die Regierenden in der Lage sind, die Lebenschancen der weniger Glücklichen zu verbessern.

SPD-Chef Martin Schulz hat anerkannt, was man als europäisches Argument für eine Koalition bezeichnen könnte. Die Antwort Merkels auf die großen EU-Reformpläne des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron ist höflich und lauwarm. Bei den Verhandlungen mit Lindner soll die Kanzlerin gesagt haben, sie fühle sich dem französischen Präsidenten gegenüber nicht verpflichtet. Die SPD hat also einen Grund mehr, sich für diese Sache einzusetzen. Bei aller Kritik der Öffentlichkeit an Finanztransfers für die ärmeren Nachbarn ist Deutschland nach wie vor ein Pro-EU-Land.

Neuwahlen sind nicht in Sicht

Nichts davon macht eine Große Koalition zwingend. Die SPD-Basis ist weit weniger koalitionsbegeistert als einige ihrer prominenten Persönlichkeiten. Einfache Parteigenossen hegen den Verdacht, dass die sozialdemokratischen Minister weiterhin die Vorteile ihres Amtes genießen wollen. Nach einem glanzlosen Wahlkampf steht auch Schulz’ Position infrage. Viele in der Partei sind der Meinung, dass eine Zeitlang Opposition unerlässlich ist für eine grundlegende Neuorientierung, die notwendig sei, um die linke Mitte wieder attraktiver zu machen und zu vergrößern.

Ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen dürfte jedoch kaum zu Neuwahlen führen. Die deutsche Verfassung erzwingt Kompromisse und die Politik nimmt ihre Verantwortung ernst. Die Menschen, wie ein Minister es ausdrückt, „haben uns nicht gewählt, damit wir sie bitten können, erneut abzustimmen“. Eine Minderheitsregierung der CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU wäre ein Novum. Sie könnte ein paar Jahre oder weniger dauern. Aber eine solche Regierung wäre besser, als noch einmal die Wählerinnen und Wähler zu fragen. Schwieriger ist es, sich Deutschland ohne die Führungspersönlichkeit vorzustellen, die das Land so geprägt hat.

Copyright The Financial Times Limited 2017

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