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Rechtsruck schadet Autoindustrie „Was passiert, wenn man sich abschottet, sieht man an Großbritannien“

Mercedes-Stern am Firmensitz der Mercedes Benz Group in Untertürkheim
Mercedes-Stern am Firmensitz in Untertürkheim: Rechtsextreme Tendenzen in Deutschland halten nicht nur Bewerber aus dem Ausland ab, sondern auch Milliardeninvestitionen und Kunden
© Arnulf Hettrich/imagebroker / Picture Alliance
Auch Wirtschaftsvertreter warnen zunehmend vor einem Erstarken der AfD. Autoexperte Frank Schwope erklärt, warum die Abschottungsideen oder gar ein „Dexit“ die deutsche Autoindustrie massiv treffen würde
Frank Schwope
Frank Schwope lehrt an der Fachhochschule des Mittelstands Hannover Automobilwirtschaft
© Frank Schwope

Wirtschaftsvertreter und Ökonomen mahnen, ausländische Fachkräfte seien unverzichtbar für die deutsche Wirtschaft. Trifft das auch auf die Autoindustrie zu?
FRANK SCHWOPE: Das gilt auch für die Autoindustrie. Insbesondere bei technologischen Innovationen, wie zum Beispiel bezüglich der Batterie, bleiben ausländische Fachkräfte auch in Zukunft sehr wichtig. Man kann davon ausgehen, dass „Made in Germany“ bei der Elektromobilität nicht unbedingt das Qualitätssiegel ist wie früher, sondern dass chinesische Hersteller mindestens ebenbürtig sind. Auch im Bereich Software-Entwicklung sind Fachkräfte aus China, den USA, aus dem europäischen Ausland oder natürlich auch aus Indien, unverzichtbar. Weil sie uns teilweise voraus sind oder auch niedrigere Kostenstrukturen haben. Elektromobilität, das autonome Fahren und Softwarekompetenz sind entscheidend für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autobauer.

Die Chefin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, warnt davor, durch rechtsextreme Tendenzen neben Fachkräften auch ausländische Investoren zu verschrecken. Inwiefern würde das die Branche treffen?
Was passiert, wenn man sich abschottet, sieht man an Großbritannien. Durch den Brexit geht es dem Land eindeutig nicht besser, sondern es sind viele Probleme aufgetreten. Am Anfang gab es ja beispielsweise Riesenprobleme mit Lkw-Fahrern und anderen Fachkräften, die fehlten. Lieferketten haben nicht mehr funktioniert. Lebensmittelgeschäfte hatten nicht mehr alle Waren in den Regalen. Man sieht, das führt zu massiven Verwerfungen. Das kann keiner ernsthaft wollen. Und wenn man sich abschottet, dann halten sich natürlich auch Investoren zurück. Dann wird internationales Geld eher nicht in dem Land investiert.

Welche ausländischen Investitionen sind für die deutsche Autoindustrie relevant?
Die geplanten Chipfabriken oder zum Beispiel die Batteriefertigung von Northvolt in Schleswig-Holstein. Gerade die Chipindustrie und Batteriefertigung sind sehr sensibel, weil sie sich sehr auf China, Taiwan, Südkorea und Japan konzentrieren. Europa muss hier dringend aufholen.

Was würde somit ein „Dexit“, also Deutschlands Austritt aus der EU, für die deutsche Autoindustrie bedeuten?
Einen schwereren Marktzugang in Europa. Gerade Deutschland als jahrelanger Exportweltmeister ist auf den Warenaustausch angewiesen, man würde sich ins eigene Fleisch schneiden. Protektionismus führt außerdem zu Gegenreaktionen von der anderen Seite. Es gibt ja Leute, die protektionistische Maßnahmen für Elektroautos fordern. In den USA gibt es einen 25-prozentigen Zoll auf E-Autos aus China. Wenn Deutschland oder die EU Zölle erhöhen, lässt sich die chinesische Regierung sicher auch etwas einfallen. Am Ende verlieren alle, vor allem die Autokäufer. Für schlechter verdienende Kunden sind Autos schon jetzt nicht mehr erschwinglich. Früher hat ein günstiger Neuwagen 10.000 bis 15.000 Euro gekostet. Elektroautos fangen heute gern bei 30.000 Euro an. Da ist ein günstiges chinesisches Modell natürlich auch eine Hoffnung.

„Für deutsche Autobauer ist China der wichtigste Markt“

Inzwischen werden aber auch die hiesigen Hersteller günstiger, VW arbeitet am E-Auto für unter 20.000 Euro.
Durch die chinesischen Hersteller, aber auch Tesla ist Druck auf die Preise gekommen. Tesla hat die Preise um ein paar Tausend Euro gesenkt – nicht, weil sie etwas zu verschenken haben, sondern um die deutschen und anderen europäischen Hersteller unter Druck zu setzen. Und natürlich, um sich nicht von den Chinesen die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Der Konkurrenzkampf ist gut für die Verbraucher. Sonst steigen die Preise, während die Innovationen abnehmen.

Topmanager Joe Kaeser zeigt sich überzeugt, dass infolge von Rechtsextremismus auch Kunden vor Produkten „made in Germany“ zurückschrecken würden. Wie viele ihrer Neuwagen verkaufen die deutschen Autobauer ins Ausland?
Der VW-Konzern hat 2022 von seinen rund acht Millionen neuen Pkw eine Million in Deutschland verkauft. Für alle deutschen Autobauer ist China mit Abstand der wichtigste Absatzmarkt. Wobei natürlich ein Teil der im Ausland verkauften Neuwagen auch dort produziert wird, teilweise in Joint Ventures. Aber gerade hochpreisige Autos werden größtenteils in Europa gebaut, so zum Beispiel alle Porsche-Modelle.

Der Anteil der in Deutschland verkauften Autos könnte weiter sinken. Nicht nur Rechtspopulisten sehen deshalb die hiesige Verkehrswende kritisch. Inwiefern leidet die deutsche Autoindustrie darunter?
Wenn neue Verbrenner in der EU nicht ab 2035 weitgehend verboten wären, würden die deutschen Autobauer zumindest eine Zeit lang mehr mit Verbrennern verdienen. Aber man muss eben zwischen Branchen- und Klimaschutz abwägen. Würde man darauf warten, dass sich E-Autos von selbst durchsetzen, würde das sehr lange dauern. Außerdem würde die Elektromobilität sonst Tesla und chinesischen Herstellern überlassen werden – ohne dass die deutsche Autoindustrie vernünftig forscht und investiert. Das haben wir in den vergangenen 20 Jahren gesehen. Tesla wurde lange belächelt, auch ich habe vor fünf Jahren nicht geglaubt, dass Tesla so schnell hohe Gewinne erzielt. Elon Musk hat mich eines Besseren belehrt, Tesla ist verdammt profitabel geworden.

Ist Tesla der größte Konkurrent der deutschen Hersteller?
Auch die Chinesen zeigen, was sie drauf haben bei Batterien und Software. China hat das Batterie-Know-how, das hierzulande zum Teil noch fehlt. BYD zum Beispiel ist einer der größten Batteriehersteller der Welt, das ist der Ursprung dieses Autobauers. Übertrieben gesagt, schneidern sie das Auto um die Batterie herum und haben damit Riesenerfolg.

Die hiesige Verkehrswende soll neben mehr E-Fahrzeugen auch zu weniger Individual- und mehr öffentlichem Nahverkehr führen.
Anfang der 2030er-Jahre wird das autonome Fahren ausgereift sein, daraus ergeben sich für Autobauer neue Geschäftsmodelle. Für Menschen auf dem Land, wo der Bus nur zweimal am Tag kommt, wird das einiges erleichtern. Dort sind perspektivisch weniger Busse nötig, stattdessen können autonom fahrende Taxis oder Shuttles den Personen-Transport übernehmen. Im Moment können sich viele nicht vorstellen, in ein fahrerloses Fahrzeug zu steigen. Doch irgendwann wird das nicht nur normal, sondern in fernen Jahren möglicherweise sogar vorgeschrieben sein. Andere technologische Innovationen wie beispielsweise das Antiblockiersystem wurden irgendwann auch zur Pflicht.

Das Interview ist zuerst bei ntv.de erschienen

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