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Elektroauto-Firma Nio rüstet sich für den Angriff im Massenmarkt

Besucher schauen sich ein Nio-Auto bei einer Ausstellung an
Besucher inspizieren ein Nio-Auto bei der Internationalen Automobilausstellung im chinesischen Nanning
© CFOTO / Picture Alliance
Nio hat sich von der größten Hoffnung zur vielleicht riskantesten Wette im umkämpften chinesischen Autogeschäft gewandelt. Den deutschen Markt will der E-Autohersteller jetzt mit einer eigenen, günstigeren Untermarke angreifen

Es geht langsam voran, das räumt Marius Hayler ein. „Dass es hier länger dauert, ist ganz klar“, sagt der neue Deutschlandchef der chinesischen E-Automarke Nio im Gespräch – und begründet das mit dem speziellen Konzept im Vertrieb: Es gibt keine Händler bei Nio, nur eine App und bislang drei Café-artige Innenstadtshowrooms in Düsseldorf, Frankfurt und Berlin plus ein Servicezentrum in München. 

Gerade einmal 1263 Nios wurden im vergangenem Jahr, dem ersten für die Marke, in Deutschland zugelassen. Zum Vergleich: Die ebenfalls chinesische Marke Polestar, die auf ein ähnlich zahlungskräftiges Publikum zielt, kommt auf 6288 Autos. 

Von Geschäftspartnern und ehemaligen Mitarbeitern war zu hören, dass Nio damit seine Ziele weit verfehlt hat, ursprünglich hätte man mindestens dreimal so viel Kunden gewinnen wollen. Hayler will darüber nicht sprechen und berichtet lieber, wie viele Leute hierzulande die Nio-App heruntergeladen haben. Es dauere, ja – aber aufgeben sei keine Option sagt Hayler unter Verweis auf Firmengründer William Li. „William, der pusht und sagt: Macht’s mit der richtigen Qualität, dann kommt der Verkauf schon“. Dieses Jahr solle das Tempo auch in Deutschland anziehen.

Nio-Chef als China-Ausgabe von Elon Musk

Nio insgesamt hat eine erstaunliche Achterbahnfahrt hinter sich und hat sich von der größten Hoffnung zur vielleicht riskantesten Wette im umkämpften chinesischen Autogeschäft gewandelt. Nachdem Li die Firma 2018 an die New Yorker Börse gebracht hat, wurde er – etwa vom US-Magazin „Forbes“ – als Superstar gefeiert, seine Selbstinszenierung als die China-Ausgabe von Tesla-Anführer Elon Musk schien manchen überzeugend.

Der Börsenwert stieg auf mehr als 90 Mrd. US-Dollar und überflügelte zum Beispiel BMW. Als Nio Ende 2022 im Tempodrom in Berlin mit einer gigantischen Show den Marktstart in Deutschland einläutete, da war es als Kampfansage an die heimischen Platzhirsche Mercedes, BMW und Audi gemeint. Denn Nio, das sollte in der Elektro-Ära sein, was die Deutschen beim Verbrenner waren: Inbegriff von Komfort, Prestige und technischem Vorsprung.

BYD hat die Nase vorn, Nio enttäuschte

Doch während 2023 viele chinesische Elektroautobauer nach vorn preschten und der einheimische Großkonzern BYD zu Ende des Jahres sogar zum weltweiten Marktführer wurde, enttäuschte Nio 2023 auch insgesamt. Zwischen Januar und Ende November fiel ein Nettoverlust von fast 2 Mrd. Euro an, obwohl Li für das Jahr endlich Gewinne angekündigt hatte. Und statt wie angekündigt 250.000 Autos zu verkaufen, lieferte Nio nur 160.000 aus. 

In der Szene wurde schon gemutmaßt, ob das Ende des Auto-Wagnisses bevorstehe. Li kündigte an, ein Zehntel der Stellen zu streichen, man müsse sich für die „finale Runde“ der Autoschlacht rüsten. Die internationale Expansion wurde vorerst gebremst. Dass die letzte Runde vorzeitig endet, scheint immerhin vorerst abgewendet: Ein Staatsfonds aus Abu Dhabi namens CYVN pumpte zu Jahresende weitere 2,2 Mrd. Dollar in das Start-Up, nachdem er schon früher im Jahr mit einer Milliarde beigesprungen war. Der arabische Fonds ist nun, nach Li, zweitgrößter Anteilseigner. 

Der Misserfolg lag möglicherweise nicht hauptsächlich an den Autos, denen Tester durchaus gewisse Qualitäten attestieren. Doch die Preise der Nios sind gepfeffert – für das Topmodell in Deutschland will der Konzern etwa fast 100.000 Euro sehen. Und ihr Alleinstellungsmerkmal ist, dass sich die Batterie in wenigem Minuten tauschen statt laden lässt. Das mag ein avanciertes Konzept sein, erfordert aber immense Investitionen in die Infrastruktur. Und inzwischen können einige Autos mit fest eingebauten Batterien so schnell wieder aufgeladen werden, dass der Aufwand vielleicht gar nicht mehr nötig ist. 

2025 soll der neue Nio-Kleinwagen nach Deutschland kommen

Li aber zielt nach der Schlappe im Premiumgeschäft auf den Massenmarkt. Damit will Nio auch in Deutschland starten, wie Landeschef Hayler im Gespräch ankündigt. „Wir bereiten uns 2024 darauf vor“, sagt er. „Wir kommen 2025“. Gemeint ist die neue Untermarke von Nio, die noch den Tarnnamen „Firefly“ hat und speziell für den westlichen Markt entwickelt worden ist. Damit will der Hersteller nicht mehr Mercedes & Co. angreifen, sondern VW – es gehe um ein Auto im so genannten B-Segment, sagt Hayler, also ein Fahrzeug in Kleinwagengröße.

Andere chinesische Hersteller wie BYD oder MG, eine Marke des Staatskonzerns SAIC, drängen schon länger auch in Europa in den Massenmarkt. Und für 2025 haben auch Tesla und für 2026 VW Modelle in diesem Segment angekündigt – zu Preisen ab 25.000 Euro. Die neue Nio-Submarke werde sich zu den teuren Nios verhalten „wie Mini zu BMW“, sagt Hayler. Und auch die Batterietauschmöglichkeit sollen die kleineren Schwestermodelle haben. 

Interessanterweise will Nio bei dem Massenmodell laut Hayler das umstrittene Vertriebskonzept aufweichen, dass die Hauptmarke auch nach Aussagen des Landeschefs bisher so gebremst hat. Inzwischen setzen zahlreiche chinesische Newcomer in Deutschland auf klassische Händler. Der ursprüngliche Ansatz, zum Teil von Tesla abgeschaut, bei dem es statt Handelsvertretungen und Werkstattketten nur Online-Bestellmöglichkeiten, Reparaturen über Netzverbindungen und anreisende Servicetechniker gibt, spart eine Menge Geld im Vertrieb.

Aber es scheint bislang, besonders im konservativen Deutschland, nicht dazu geeignet, Vertrauen in einen neuen Hersteller zu wecken. Trotzdem hat sich die Nio-Zentrale vergangenes Jahr rigoros dafür entschieden, dabeizubleiben. Der bisherige Landeschef Ralph Kranz musste gehen, stattdessen übernahm Hayler, der bisher Nios Geschäfte in Norwegen geleitet hat. Nio bleibe beim Digitalvertrieb, die neue Marke nicht unbedingt. „Das ist gerade in diesen Tagen in der Diskussion, ob wir den Vertrieb ein bisschen anders machen bei der Submarke als bei Nio“, sagt Hayler. Offenbar sind die Verantwortlichen bereits mit Autohändlern im Gespräch.  

Für Nio selbst soll es weitere Showrooms geben, etwa in Hamburg und Köln. „Wir wollen 2024 mehr Leute in die Fahrzeuge bekommen“, sagt Hayler. Dann würden auch die Kundenzahlen steigen.  

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