Klimaschutzziele gehören in der Wirtschaft mittlerweile zum guten Ton. Unternehmen übertrumpfen sich gern mit den Zielen, bis wann sie klimaneutral werden wollen. Manch ein Konzern schafft das überraschenderweise angeblich binnen weniger Monate. Andere legen die Null-CO2-Marke auf das Jahr 2050, in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen.
Klimaneutralität mit Fragezeichen
„Klimaneutral“ ist allerdings ein dehnbarer Begriff. Umwelt- und Verbraucherschützer warnen vor Augenwischerei und sogar bewusster Täuschung auf der Jagd nach dem so wertvollen grünen Image . Ein zentrales Problem sind die (vermeintlichen) Klimaschutzprojekte, mit denen Unternehmen ihren eigenen CO2-Ausstoß verrechnen und sich so auf dem Papier neutral rechnen.
Aber auch die Kalkulation der klimaschädlichen Emissionen eines weltweit tätigen Konzerns ist oft einfacher gesagt als tatsächlich bewiesen. Bei versprochenen Milliardeninvestitionen in den nächsten zehn Jahren steht außerdem – gerade angesichts der Corona-Krise – die Frage im Raum: Sind diese Zusagen tatsächlich in Stein gemeißelt?
Dies sind einige wenige der vielen Firmen, die klimaneutral werden wollen.
Diese Konzerne wollen klimaneutral werden
Wenn eine Airline verspricht, nicht mehr CO2-auszustoßen, als sie einspart, wird klar: Klimaneutralität ist häufig ein eher theoretisches Konstrukt. Im Februar 2020 hat Delta Air Lines verkündet, als erste Fluggesellschaft der USA klimaneutral werden zu wollen. Das Unternehmen werde dafür in den nächsten zehn Jahren mindestens eine Milliarde US-Dollar investieren. Das Geld soll unter anderem in effizientere Flugzeuge und neue Arten von Treibstoffen fließen, aber auch in Kompensationsprojekte. Ein Kommentator der „New York Times“ erwartete, dass das Ziel der Klimaneutralität vor allem über Klimaschutzprojekte erreicht werden wird – denn: „Die Industrie wird auf absehbare Zeit auf fossile Treibstoffe angewiesen sein.“ Der Kommentator warf außerdem die Frage auf, wie nachhaltig der Ankauf von CO2-Kompensation über eine Dekade ist und was wohl unter einem neuen CEO aus dem Programm werden könnte.
Der größte Autobauer der Welt hat sich zur „grünen Null“ verpflichtet. Bis 2050 soll der gesamte Konzern bilanziell CO2-neutral werden, wie Volkswagen im Dezember 2019 ankündigte. „Alle Maßnahmen folgen einer dreistufigen Hierarchie: reduzieren, konvertieren, kompensieren“, hieß es. Der Ausgleich über Klimaschutzprojekte steht also an letzter Stelle. Über sie sollten nur „nicht vermeidbare“ Emissionen verrechnet werden und Projekte müssten „höchsten internationalen Standards“ genügen, versicherte der Konzern. Als Beispiel wurde auf das Katigan-Mentaya-Projekt in Indonesien verwiesen. Dort werde durch die Investitionen die Rodung eines Waldes verhindert. „Das Projekt täuscht Klimaschutz nur vor“, konterte Greenpeace. Die Umweltschutzorganisation warf Volkswagen vor, in Indonesien „billige und wirkungslose Zertifikate“ zu erwerben, denn die Rodung dieses Waldgebietes sei „höchst unwahrscheinlich“ und durch ein Moratorium zwischenzeitlich dauerhaft untersagt, wie Greenpeace im September 2020 mitteilte. Das Urteil von Greenpeace lautete: „Ein moderner Ablasshandel, der VW ein grünes Image bescheren soll.“
Amazon hat 2019 den „Klimaschwur“ abgelegt. Amazon und die weiteren Unterzeichner des „Climate Pledge“ verpflichten sich, ihre Geschäfte bis 2040 klimaneutral zu machen und die Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens um zehn Jahre zu unterbieten. CEO Jeff Bezos kündigte außerdem den Kauf von 100.000 E-Lieferwagen an. Die Fahrzeuge stammen vom US-Start-up Rivian Automotive, zu dessen Investoren Amazon gehört. 2020 folgte der „The Climate Pledge Fund“. Das Investmentprogramm startete laut dem Online-Händler mit zwei Milliarden Dollar, um die Entwicklung nachhaltiger und CO2-mindernder Technologien und Dienstleistungen in verschiedenen Branchen voranzubringen. Im Mai 2020 wurden beispielsweise fünf neue Solarparks in China, Australien und den USA angekündigt. Weitere Mitstreiter des „Climate Pledge“ sind den Angaben zufolge unter anderem Mercedes-Benz und Siemens.
Heathrow Airport konnte im Februar 2020 bekannt gegeben: Wir sind klimaneutral. Das sei als einer der ersten großen Flughäfen der Welt gelungen. Bis Mitte 2030 soll Heathrows CO2-Bilanz gänzlich auf null stehen. Damit wäre das größte Drehkreuz Europas nach eigenen Angaben weltweit die Nummer eins. Der klimaneutrale Status bezieht sich nur auf den Betrieb des Flughafens selbst, nicht auf den Flugverkehr oder das Geschäft der Zulieferer. „Der Flughafen – der die Größe einer Kleinstadt hat – konnte die Emissionen aus dem Betrieb im Vergleich zu 1990 um 93 Prozent senken“, teilte der Betreiber mit. Die übrigen sieben Prozent würden derzeit durch zertifizierte Klimaschutzprojekte in Indonesien und Mexiko kompensiert. Heathrow will aber auch verstärkt in den Erhalt von Wäldern und Mooren im Vereinigten Königreich investieren.
Am 9. Mai 2019 überraschte die Robert Bosch GmbH mit der Ankündigung: „Bereits ab dem kommenden Jahr wird Bosch vollständig klimaneutral sein.“ Weiter hieß es: „Ab 2020 werden die über 400 Bosch-Standorte weltweit – von der Entwicklung über die Produktion bis zur Verwaltung – keinen CO2-Fußabdruck mehr hinterlassen.“ Bosch sei das erste große Industrieunternehmen, das dieses ehrgeizige Ziel in nur gut einem Jahr realisiere. „Es reicht nicht, auf den Klimaschutz nur zu hoffen. Unternehmen sollten kurzfristig die CO₂-Neutralität wagen“, forderte Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung. Damit das so schnell gelingt, setzte das Unternehmen auf mehr Ökostrom und Kompensationsmaßnahmen. Bis 2030 solle sukzessive der Anteil an regenerativen Energien erhöht werden. Außerdem werde Bosch in den nächsten zehn Jahren eine Milliarde Euro in die Energieeffizienz von Anlagen und Gebäude investieren sowie den CO₂-Fußabdruck der Produkte, beschaffter Güter und logistischer Prozesse genauer unter die Lupe nehmen.
DHL und Deutsche Post gehen die Klimaneutralität langfristiger an. 2017 verkündete der Konzern das Ziel: Null Emissionen bis 2050. Bis 2025 soll die CO2-Effizienz im Vergleich zu 2007 um 50 Prozent verbessert werden, 70 Prozent der Zustellungen und Abholungen per Fahrrad oder Elektromobilität erfolgen und jährlich eine Million Bäume gepflanzt werden. Die Lieferketten der Kunden sollen durch mehr nachhaltige Angebote ebenfalls umweltfreundlicher werden. Die Unternehmensgruppe investiert bei den Ausgleichprojekten nach eigenen Angaben vor allem in kleine Klimaschutzinitiativen in Entwicklungsländern aus den Bereichen Erneuerbare Energien, Abfallentsorgung und Haushaltsgeräte (zum Beispiel die Verteilung von effizienten Öfen und Wasserreinigungsgeräten, um das Verbrennen von Holz zu reduzieren).