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Klimaschutz vs. Bürokratie EU-Kommission will CO₂-Zölle entschärfen

Stahlcoils liegen aufgerreit auf einem Güterzug
Die EU will mit CO2-Zöllen insbesondere die Stahlindustrie schützen
© Rupert Oberhäuser/ / Picture Alliance
Sie sind noch gar nicht eingeführt, da will die EU-Kommission die CO₂-Zölle schon wieder lockern. Öffnet das Schlupflöcher, den Klimaschutz zu umgehen?

EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra sagte nur ein paar Sätze, auf den Rechnungen vieler europäischer Unternehmen dürften die sich aber bemerkbar machen. Von den Unternehmen, die mit den zukünftigen CO₂-Grenzzöllen zu tun hätten, sagte Hoekstra am Donnerstag im EU-Parlament, sorgten nur 20 Prozent für 97 Prozent der Emissionen. „Wäre es dann nicht klug, diese rund 80 Prozent vom Verwaltungsaufwand zu entlasten? Meiner Meinung nach, ja.“

Worum es geht: Die EU-Kommission will CO₂-Grenzzölle für Importe einführen. Weil innerhalb der EU meist strengere Klimastandards gelten als im Ausland, besteht die Gefahr, dass Unternehmen die Produktion emissionsintensiver Güter ins Ausland verlagern. Das soll verhindert werden, indem Importeure eine Abgabe zahlen müssen, wenn sie solche Güter einführen. Die Höhe soll sich am CO₂-Ausstoß in der Produktion orientieren – die Hoffnung ist, dass die Unternehmen von ihren Lieferanten entsprechende Preisnachlässe verlangen. Es geht dabei vor allem um energieintensive Branchen wie Stahl, Aluminium, Eisen und Düngemittel.

Nicht nur Freunde in der Industrie

Das Gesetz ist unter dem komplizierten Namen CO₂-Grenzausgleichmechanismus (CBAM) bekannt und soll ab dem kommenden Jahr greifen. Derzeit gilt noch eine Übergangsphase, in der die Unternehmen unter anderem Daten zur Produktion im EU-Ausland eintragen können. Geht es nach EU-Kommissar Hoekstra werden bis zu 200.000 Unternehmen von den Zöllen befreit. Zuerst hatte die „Financial Times“ darüber berichtet. 

Tatsächlich hat der CBAM in der Industrie nicht nur Freunde. „In der Wirtschaft sind die Verunsicherung und der Beratungsbedarf angesichts der übereilten CBAM-Einführung extrem hoch“, schrieben der Bundesverband der deutschen Industrie und die Deutsche Industrie- und Handelskammer in einer Stellungnahme im August. „Eine 'Light'-Version des CBAM erscheint dringend nötig, um Mittelstand und Familienunternehmen bei der Umsetzung der CBAM-Vorgaben nicht zu überfordern.“

Die Verbände kritisierten unter anderem komplexe Berechnungs- und Nachweismethoden, etwa für den CO₂-Ausstoß der Produktion. Es liege auf der Hand, dass das Vorgehen der EU teilweise als Bevormundung abgelehnt werde. 

Die Idee, einen großen Teil der Unternehmen von den Zöllen zu befreien, reiht sich in das Vorhaben der Kommission ein, Bürokratie für Unternehmen großflächig abzubauen. In einem „Wettbewerbskompass“ hat die Behörde von Ursula von der Leyen (CDU) angekündigt, Unternehmen von 25 Prozent aller Berichtspflichten zu befreien. Kleinere und mittlere Unternehmen dürfen sogar auf 35 Prozent hoffen.

Zickzackkurs der EU mache es für Unternehmen schwerer 

Bei dem Europaabgeordneten Peter Liese (CDU) stieß Hoekstras Vorstoß auf Zustimmung. Dem „Handelsblatt“ sagte er: „Wir müssen CBAM im Kern unbedingt erhalten, aber wenn 95 Prozent der Emissionen nur von etwa 20 Prozent der Unternehmen verursacht werden, gibt es gute Gründe dafür, die anderen 80 Prozent der Unternehmen erst mal freizustellen.“

Bei den Grünen dagegen warnt man vor den Konsequenzen der 80-Prozent-Schere: „Es gibt Möglichkeiten, die Regeln zu vereinfachen. Aber einfach 80 Prozent der Unternehmen zu sagen, dass sie die Regeln nicht einhalten müssen, schafft Schlupflöcher“, sagte der Europaabgeordnete Michael Bloss zu Capital. „Dieser Zickzackkurs der Kommission macht es für die Industrie auch nicht einfacher zu planen.“

Bloss befürchtet, dass die Firmen, die die Zölle zahlen müssen, einfach kleinere Unternehmen beim Import dazwischenschalten: „Als Resultat hätten wir dann zum Beispiel billigen, aber dreckigen Stahl in Europa, was die deutsche Stahlindustrie in Bedrängnis bringen würde. Damit schädigen wir diejenigen, die wir mit der Abgabe eigentlich schützen wollen“, sagt Bloss. Dann laufe es auf einen Konflikt zwischen Importeuren und Stahlindustrie hinaus. „Entbürokratisierung führt nicht automatisch zu mehr Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Bloss.

In der Stahlindustrie selbst sieht man beide Gefahren: „Der EU-Grenzausgleichsmechanismus CBAM ist für die Stahlindustrie unverzichtbar, um ein Level Playing Field herzustellen mit internationalen Wettbewerbern, die keine CO₂-Zusatzkosten zu schultern haben“, sagt Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl auf Anfrage zu Capital. Die EU-Kommission habe das Instrument zu Recht entwickelt, um die Stahlindustrie zu schützen. „Leider hatte der CBAM von Anfang an Lücken und Schwachstellen. So fehlen bisher Entlastungen für die von CO₂-Kosten belasteten EU-Exporte in Drittländer sowie wirksame Maßnahmen gegen Umgehungsstrategien.“

Den CBAM jetzt zu entschärfen sieht Rippel kritisch: „Auch wenn die Sorge vor zu viel Bürokratie absolut verständlich ist, darf es nicht zu einer Aufweichung des CBAM kommen. Gerade in Zeiten, in denen China die EU mit Billigimporten flutet und sich die Situation unter Trump 2.0 weiter zu verschärfen droht, muss die Industrie in Europa geschützt werden!“ Sie fordert von der Kommission, zunächst bestehende Schwachstellen zu beheben.

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