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Kolumne Die verlorene Contenance des Continental-Vorstands

Bernd Ziesemer
Bernd Ziesemer
© Copyright: Martin Kress
Die Querelen bei der Continental AG bieten ein Lehrstück für die Verzettelung eines Konzerns. Und für die völlig falsche Reaktion einer Führungsspitze darauf. Bernd Ziesemer über die Fehler des Conti-Vorstands

Reifen. Die meisten Deutschen verbinden den Namen Continental immer noch mit Auto und Gummi. Doch der Dax-Konzern aus Hannover produziert längst auch ganz andere Sachen – vom digitalen Buscockpit bis zur Eisenbahntechnik, vom Förderband für den Tagebergbau bis zum Gleichstrommotor für die Industrie. Und vieles, sehr vieles mehr. Acht Vorstände wachen weltweit über nicht weniger als 27 Geschäftsbereiche und Dutzende von Marken. Wer sich das globale Conti-Reich mit seinen 240.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 46 Milliarden Euro anschaut, kann beim besten Willen keine Linie mehr in diesem Konzern entdecken. Continental ist in den letzten zehn Jahren durch immer neue Großinvestitionen und zahlreiche Übernahmen wild in alle möglichen Richtungen gewachsen. Die Gesellschaft kann mittlerweile als Musterbeispiel für die Verzettelung eines Konzerns gelten. Und irgendwann geht dabei eben die Übersicht des Managements verloren.

Genau das konnte man in den letzten Monaten beobachten. Gleich zweimal mussten Conti-Chef Elmar Degenhart und sein Finanzvorstand Wolfgang Schäfer Gewinnwarnungen herausgeben. Und sogar eine dritte könnte folgen, wenn man sich in den letzten Tagen das Geraune aus Hannover anhört. Das „Handelsblatt“ zitiert jedenfalls aus „Conti-Kreisen“, die Krise des Konzerns sei auch nach der zweiten Gewinnwarnung „noch unterschätzt worden“. Vielleicht wackelt sogar der geplante Teilbörsengang des Bereichs Antriebe (neudeutsch: Powertrain). Könnte gut sein. Doch das alles ist nur die Spitze des Eisbergs. Vor allem muss man dem Vorstand vorwerfen, die notwendige Aufräumarbeit im Konzern zu lange vor sich her geschoben zu haben.

Milde Panik bei Degenhart

Kein Zweifel: Degenhart war in den letzten zehn Jahren, insgesamt gesehen, ein überaus erfolgreicher Manager. Nach der großen Krise von 2008 programmierte der gelernte Ingenieur das angeschlagene Unternehmen auf Wachstum und eine deutlich höhere Profitabilität. Continental ist auch jetzt mit einer Bruttogewinnmarge von 8 bis 9 Prozent kein Sanierungsfall. Allerdings verpasste der Chef den richtigen Moment, die Strukturen des Konzerns rechtzeitig an die neue Größe und Komplexität des schnell gewachsenen Geschäfts anzupassen. Deshalb steht das Unternehmen jetzt vor schweren Zeiten.

Dafür kann man niemand anderen verantwortlich machen als Degenhart und Schäfer. Die beiden reichen die Schuld jedoch mit einem billigen Manöver nach unten. Degenhardt schickte letzte Woche einen Drohbrief an seine 400 obersten Führungskräfte, der mit markigen Worten glänzte, aber wenig Analyse: „Auf diesem Gleist fahren wir keinen Meter mehr: Dieser Zug stoppt genau hier und jetzt!“ Da sich die Philippika des Chefs anderentags gleich in mehreren Medien fand, kann man getrost davon ausgehen, dass sie von seinen Mitarbeitern gestreut worden war.

Wahr ist: Natürlich tragen die Manager der Geschäftsbereiche, die seit langem ihre Ziele verfehlen, die unmittelbare operative Verantwortung für ihre Misere. Wahr ist aber auch: Wenn gleich ein halbes Dutzend von Geschäftsbereichen nicht mehr so arbeitet, wie man es früher gewohnt war, kann ein Vorstand nicht seine Hände in Unschuld waschen. Das Vorgehen Degenharts zeigt Anflüge einer milden Panik – offenbar unter dem Eindruck der anstehenden Verlängerung seines Vertrags. Ein Chef, der mitten in einer Krise seine Contenance verliert, stellt sich aber selbst zur Disposition.

Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen .

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