Erst die Forderung nach einer allgemeinen Kaufprämie für alle Pkws, dann nach höheren Hilfen für Elektroautos, schließlich nach Subventionen für Zulieferer und nun nach verbilligtem Strom für Ladestationen. Kein Monat vergeht ohne einen neuen Versuch der Autolobby, in die Kassen des Staats zu greifen. Das Kalkül lautet dabei offenbar so: Wenn man viel fordert, bleibt am Ende wenigstens ein Teil übrig. Bisher ging die Rechnung meist auf. Allmählich zeigt sich allerdings eine gewisse Ermüdung, wenn es um die fortlaufenden neuen Geldbitten des Verbands der Automobilindustrie (VDA) geht. Und das nicht nur in der Politik, sondern sogar in der Wirtschaft selbst. „Streckenweise unverschämt“ sei das Auftreten der VDA-Präsidentin Hildegard Müller, sagt der Spitzenmann eines anderen deutschen Industrieverbands im privaten Gespräch.
So ist es. Beispiel Zulieferer: Keine andere Industrie hat ihre Lieferanten in den letzten 20 Jahren so ausgepresst, geknechtet und von sich vollständig abhängig gemacht wie die Autoindustrie. Man muss sich einmal von einem betroffenen Unternehmen den brutalen Ablauf der „Jahresgespräche“ mit den Einkaufsabteilungen der großen Pkw-Hersteller schildern lassen, um nur eine milde Ahnung von der rücksichtslosen Ausbeutung gerade kleinerer Zulieferer zu bekommen. Jetzt aber beklagen dieselben Konzerne die elende Lage der armen Mittelständler, um damit Geld in Berlin loszueisen.
Die Autolobby hat ihren Zenit überschritten
Eine Industrie, die in den vergangenen Jahren so viel verdient hat wie kaum eine andere in Deutschland, gibt sich in diesen Monaten in der Heimat als bedürftiger Bittsteller, während sie in China bereits wieder neue Milliarden Euro verdient. Und zuletzt noch dreistelligen Millionenbeträge als Dividenden an reiche Familien wie die Porsches und Quandts ausschüttete. Das passt alles nur schwer zusammen – gerade, wenn man überzeugter Anhänger der Marktwirtschaft ist. Seit vielen Jahren lautet ein wichtiges Argument der linken Kapitalismus-Kritiker, der Staat privatisiere die Gewinne und sozialisiere die Verluste. Niemand liefert so viel Munition für diese Vorwürfe wie die Autolobby.
In der Vergangenheit gelang es dem VDA immer wieder, die Bundeskanzlerin für sich einzuspannen. So war es bereits unter dem früheren VDA-Vormann Matthias Wissmann, so sollte es auch unter seiner Nachfolgerin Hildegard Müller sein. Die Konzerne suchten sich beide ausdrücklich nach ihrer Nähe zu Angela Merkel aus. Die Biographien der beiden ähneln sich bis auf das i-Tüpfelchen: CDU-Abgeordnete, Ex-Bundesminister, Vertraute der Kanzlerin. Der zwischenzeitliche VDA-Präsident Bernhard Mattes, ein ehemaliger Ford-Chef, passte nicht in das Raster. Und wurde schnell entsorgt, als es ihm nicht gelang, so oft wie Wissmann an der Schreibtischecke Merkels herumzusitzen.
Inzwischen aber deutet sich an, dass die Lobby-Arbeit der Autoindustrie ihren Zenit überschritten hat. Nicht nur weil Merkel bald ihr Amt niederlegt, sondern auch weil sie sich mit übertriebenen Forderungen selbst ins Bein schießt. Vielleicht wäre künftig etwas weniger mehr.
Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.