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Gastkommentar Die überschätzte Macht der Fed

Mit ihrer Geldpolitik heizen die Zentralbanken den Börsen-Hype an. Aber sie haben ihn nicht ausgelöst, denn der Privatsektor hat massenhaft Kapital angehäuft. Es droht eine Blase. Von Herbert Walter
Herbert Walter führte von 2003 bis 2009 die Dresdner Bank. Vorher war er bei der Deutschen Bank für Privat- und Geschäftskunden verantwortlich. Heute arbeitet er als selbstständiger Berater. Ferner engagiert er sich beim Finanzportal WhoFinance.de
Herbert Walter

Herbert Walter, 60, führte von 2003 bis 2009 die Dresdner Bank. Vorher war er bei der Deutschen Bank weltweit für Privat- und Geschäftskunden verantwortlich. Heute arbeitet Walter als selbstständiger Berater. Unternehmerisch engagiert er sich beim Finanzportal WhoFinance.de.

Das Signal war klar: US-Präsident Barack Obama wollte Kontinuität an der Spitze der amerikanischen Notenbank. Deshalb berief er im vergangenen Jahr nach monatelangen Spekulationen Janet Yellen zur Präsidentin der Federal Reserve, die Stellvertreterin von Amtsvorgänger Ben Bernanke. Ihren neuen Job trat die 68-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin mit dem markanten Pagenschnitt am 1. Februar an. Kürzlich hatte sie ihren ersten Auftritt im Kongress im Ausschuss für Finanzdienstleistungen. Fast sechs Stunden beantwortete sie geduldig die Fragen der Abgeordneten von Demokraten und Republikanern.

Yellen ließ keinen Zweifel daran, was sie auf ihrem neuen Posten ändern möchte – nämlich nichts. Sie will die Niedrigzinspolitik der vergangenen Jahre fortsetzen. Das Anleihekaufprogramm, in Fachkreisen auch bekannt unter der Bezeichnung „quantitative easing“, läuft weiter und wird nur sehr sachte reduziert. Sollte der gegenwärtige Konjunkturaufschwung der US-Wirtschaft allerdings ins Stocken geraten, ist Yellen bereit, die Geldschleusen sofort wieder zu öffnen. Und mit Blick auf mögliche Zinserhöhungen machte sie klar, dass vor 2015 hier nichts zu erwarten sei.

Fed-Sitz in Washington
Fed-Sitz in Washington
© Mauritius Images

Die Geldflut der Notenbanken in der westlichen Welt geht also weiter, genauso wie die Unsicherheit, ob aus dieser Flut nicht irgendwann ein Tsunami werden wird, der die Weltwirtschaft und das Finanzsystem in die nächste schwere Krise stürzt. Denn an den Börsen steigen die Aktienkurse fast unaufhaltsam. Mehr und mehr stellt sich deshalb die Frage, ob sich mittlerweile an vielen Stellen nicht bereits neue, gefährliche Blasen gebildet haben. Das müsste den Notenbankern eigentlich zu Denken geben. Aus der Finanzkrise 2008 haben sie schließlich gelernt, dass sie nicht nur den Preisanstieg von realen Waren und Dienstleistungen im Blick haben sollten, sondern auch den von Vermögenswerten wie Aktien und Immobilien.

Einfluss der Notenbanken ist begrenzt

Mit Blick auf den Boom an den Aktienmärkten müssten Janet Yellen und ihr Alter Ego von der EZB, Mario Draghi, die Zinsen also erhöhen. Das trauen sie sich aber nicht, weil der Konjunkturaufschwung in den USA und in Europa weiterhin auf wackligen Füßen steht. Die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und die Nachfrage auf Verbraucherseite ist weiterhin mau. Die Teuerungsrate liegt schon seit Jahren unter der Zielmarke von zwei Prozent, die sich sowohl die EZB als auch die Fed gesetzt haben. Viele Ökonomen sehen deshalb auch eine Deflation als das viel größere Risiko an als eine Inflation. Nur mit niedrigen Zentralbankzinsen kann es nach Ansicht der Zentralbanker gelingen, die Kreditvergabe anzukurbeln und die Wirtschaft auf Trab zu bringen bzw. den zarten Aufschwung, den wir momentan erleben, nicht wieder abzuwürgen.

So weit so gut oder so schlecht, je nach Sichtweise. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Macht und Einfluss der Notenbanken dabei nicht völlig überschätzt werden. Meine Antwort lautet ganz klar: ja. Seit den 90er-Jahren haben die G7-Länder im Privatsektor Sparüberschüsse von mehr als 2000 Mrd. US-Dollar angehäuft. Dafür gibt es eine Reihe von Ursachen: Die Menschen in der westlichen Hemisphäre legen aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung mehr Geld fürs Alter zurück. Der technologische Fortschritt in der Wirtschaft hat außerdem zu enormen Effizienzsteigerungen geführt, so dass Unternehmen für dieselbe Wirtschaftsleistung heute viel weniger Kapital brauchen als früher. Und schließlich hat die Finanzkrise dafür gesorgt, dass viele Staaten, Unternehmen und Verbraucher sich mit Ausgaben zurückhalten und eher im Spar- als im Konsum- und Investitionsmodus sind.

Der Zahltag wird kommen

Wir haben es also mit einer Kombination zu tun aus reichlich vorhandenem Geld mit einer starken Neigung zum Sparen. Das drückt auf der einen Seite die Zinsen an den Märkten sowie die Preissteigerungen in der Realwirtschaft. Und es pusht auf der anderen Seite Vermögenswerte wie Aktien und Immobilien. Jeder, der darauf angewiesen ist, von seinen Kapitaleinkünften zu leben, Vermögen fürs Alter zu bilden oder für seine Kunden Rendite aufs Ersparte zu erwirtschaften, meidet in einem solchen Umfeld deshalb zinsabhängige Anlagen wie der Teufel das Weihwasser. Er setzt stattdessen auf steigende Börsenkurse oder Immobilienpreise.

Die Notenbanken verstärken mit ihrer Geldpolitik diesen ohnehin schon vorhandenen Trend zusätzlich. Sie fürchten offenbar einen Rückfall in Deflation und Rezession mit Massenarbeitslosigkeit und sozialen Verwerfungen mehr als die Bildung neuer Vermögensblasen an den Finanzmärkten. Also lassen sie in ihrer Geldpolitik alles so wie es ist.

Es spricht vor diesem Hintergrund einiges dafür, dass wir das zyklische Hoch der Börsenkurse noch nicht gesehen haben. Früher oder später aber wird der Zahltag kommen. Die Pessimisten glauben, dass die Zentralbanken die Entwicklung schon lange nicht mehr im Griff haben und wir auf einen neuen Crash zusteuern, der noch verheerender wird als der von 2008. Die Optimisten erwarten, dass es an den Märkten vielleicht immer wieder zu kleineren und mittleren Verwerfungen kommt, wie zurzeit in einigen Schwellenländern, wir uns aber langsam und mit einigen Schmerzen aus der Krise herausarbeiten. Sprich: Die Realwirtschaft schon bald so robust ist, mögliche Rückschläge an den Börsen gut wegzustecken. Wir können davon ausgehen, dass Yellen, Draghi und andere zu den Optimisten gehören. Hoffentlich behalten sie Recht.

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