Fordern kann man viel, wenn der Tag lang ist. Bei der Thyssenkrupp AG verlangen die Betriebsräte und Funktionäre der IG Metall immer lauter nach Hilfen vom Staat. Und auch unter manchen Managern des Konzerns macht sich die Hoffnung breit, Bund und Land könnten den tiefroten Stahlbereich des Unternehmens retten. In Wahrheit geht das jedoch gar nicht – und die tiefsitzenden Probleme der Sparte kann der Staat schon gar nicht lösen.
Die bevorzugte Lösung der Gewerkschaft, eine Beteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen an der Thyssenkrupp Steel Europe AG, trifft auf unüberwindliche rechtliche Hürden. Der Wirtschaftsminister des Landes, der FDP-Politiker Andreas Pinkwart hat es gerade in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen“ zu Recht noch einmal betont. Eine Beteiligung des Bundes, ähnlich wie bei der Lufthansa, erscheint auf den ersten Blick möglich. Ist es aber nicht: Die Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz müsste nachweisen, dass das Stahlgeschäft vor dem Ausbruch der Corona-Krise wettbewerbsfähig war, um an die Milliarden aus dem einschlägigen Hilfsfonds der Regierung zu kommen. Die Lufthansa flog vor Corona tatsächlich hohe Gewinne ein, Thyssenkrupp aber steckte 2019 schon tief in der Misere. Deshalb ist ein entsprechender Nachweis so gut wie unmöglich.
Und selbst, wenn die Bundeskanzlerin bereits wäre, die eigenen Richtlinien bis an die Sollbruchgrenze zu verbiegen, käme dann immer noch Brüssel ins Spiel. Alle staatlichen Beihilfen bedürfen der Genehmigung durch die EU-Kommission. Und die dürfte schon aus Gründen der Gleichbehandlung aller ums Überleben kämpfender Stahlkonzerne in Europa nicht zu bekommen sein.
Staatshilfe nicht nur für Thyssenkrupp
Man kann nur sehr schwer begründen, warum ein Konzern ohne Beihilfen nicht überlebensfähig sein soll, der nach dem Verkauf der Aufzugssparte momentan praktisch schuldenfrei dasteht und über ein Nettoguthaben von 5 Mrd. Euro verfügt. Das können viele Konkurrenten in Europa nicht von sich behaupten. Deshalb muss sich die EU-Kommission speziellen Programmen allein für Thyssenkrupp auf jeden Fall widersetzen. Alles andere führte zu einem Subventionswettlauf in Europa, wie es ihn schon lange nicht mehr gab.
Bleibt realistischerweise nur eine einzige Möglichkeit: Der Bund kann Thyssenkrupp ein paar Milliarden Euro für die geplante Umstellung auf „grünen Stahl“ überweisen, ohne mit der EU in Konflikt zu geraten. Im Prinzip liegt ein Beschluss zur Förderung von Wasserstoffanlagen für die Hochöfen ja auch bereits vor. Doch auch dabei gibt es ein paar Einschränkungen: Wenn Geld an Thyssenkrupp für diese Zwecke fließt, dann muss es im gleichen Maße auch an alle anderen Stahlhersteller in der Bundesrepublik fließen. Und zwar völlig unabhängig davon, ob sie deutschen Eigentümern gehören oder ausländischen. Genau darauf spekuliert der Brite Sanjeev Gupta mit seinem Angebot, die Stahlsparte von Thyssenkrupp ganz zu übernehmen.
Wichtiger aber noch: Die Staatsmilliarden für den Umbau der Hochöfen wirken nur sehr langfristig und lösen kein einziges akutes Problem von Thyssenkrupp. Für andere Zwecke ausgeben können die Stahlhersteller keinen Cent aus dem Klimaschutz-Programm. Und wenn die Anlagen zur Produktion von „grünem Stahl“ in einigen Jahren stehen, gibt es den Essener Konzern gar nicht mehr, wenn es mit seinen Verlusten auch nur annähernd so schlimm weiter geht wie bisher.
Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.