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Kommentar Die tiefe Angst der CDU, eine zweite SPD zu werden

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und Generalsekretär Paul Ziemiak auf dem Parteitag in Leipzig
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und Generalsekretär Paul Ziemiak auf dem Parteitag in Leipzig
© dpa
Die Wähler der CDU wollen, dass die Partei den Laden im Griff hat. Nun hat sie sich selbst nicht mehr im Griff – in Leipzig geht es um mehr als die Frage der Kanzlerkandidatur

In der Wirtschaft haben viele Unternehmen Angst, ein „zweites Nokia“ zu werden. In der Politik hat die CDU Angst, eine zweite SPD zu werden. Eine Partei, die eine duale Selbstzerstörungsstrategie fährt: Zum einen demontiert sie regelmäßig ihre Führung, zum anderen beschädigt sie ihre Erfolge, in dem alles zum politischen Exorzismus erklärt wird: Die Agenda 2010 muss ausgetrieben werden.

In Zahlen ausgedrückt: Die SPD kämpfte lange mit den 20 Prozent, nun immer öfter mit den 10 Prozent. Die CDU kämpft noch mit den 30 Prozent und immer öfter mit den 20 Prozent.

Dabei ist die Selbsterhaltungsformel für die CDU im Grunde simpel: Ihre Wähler wollen, dass sie den Laden im Griff hat. Erhabener ausgedrückt: dass sie Wohlstand und Sicherheit in diesem Land bewahrt und mehrt. Von Adenauers „Keine Experimente“ bis zum verlachten „Land, in dem wir gut und gerne leben“ drückt sich die Sehnsucht nach Stabilität aus.

Stabilität von Adenauer bis zum Auenland

Die CDU sah sich als natürliche Regierungspartei, die diese Stabilität über Jahrzehnte bewahrt und gestaltet hat, vom Wirtschaftswunder bis zum Auenland der 2010er-Jahre, dessen steigender Wohlstand nun seit Jahren ernsthaft bedroht scheint.

Die CDU hat sich seit einiger Zeit nicht voll im Griff, und deshalb leidet sie. Die CSU hat sich wieder im Griff, deshalb ruht sie wieder. Sie war etwa nicht so dumm, sich bei der Grundrente zu verkämpfen. Wer den leicht ergrauten, nahezu präsidial entspannten Markus Söder beobachtet, der sich endlich nicht mehr mit Horst Seehofer bekriegen muss, sieht, wie Machtkämpfe Parteien fertig machen.

Von dem CDU-Parteitag 2003 in Leipzig ging damals ein Signal des Aufbruchs aus, dessen Radikalität die Partei 2005 fast den Wahlsieg kostete und sie in ihrem Aufbruchswillen verzagter hat werden lassen. Von diesem CDU-Parteitag, der erneut in Leipzig stattfindet, geht ein Signal der Verunsicherung und Orientierungslosigkeit aus. Friedrich Merz, vor einem Jahr als Hoffnungsträger gestartet, ist für die Partei zu einem Problem geworden – weil er von außen stört, und weder in der Partei noch in einer Regierung positive Energie erzeugen kann. Er wird viel eingeladen und redet viel, er begeistert viele und überzeugt sie noch immer – aber er hat keine Machtbasis, die er in politisches Kapital umwandeln kann.

Wir sind ratlos und ambivalent

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat die ersten Monate an der Basis viel zugehört, aber keine Sprache gefunden, die Sinn stiftet und erklärt, was sie möchte. Sie ist als Kanzlerin kaum vorstellbar. Ihre Krise ist zu einem Narrativ geworden, das sich permanent selbst steigert. Manchmal möchte man fast sagen: Jetzt mal langsam, so schlecht ist sie nun auch wieder nicht.

Wir schauen inzwischen recht oft mit einer ratlosen Ambivalenz auf die politische Führung, auf die Große Koalition, auf Angela Merkel, und auch auf die CDU und AKK. Das drückte sich auch im Elite-Panel aus, das Capital diese Woche veröffentlicht hat : Die Mehrheit ist enttäuscht von der Großen Koalition, möchte aber, dass sie die Legislaturperiode zu Ende regiert. Die Mehrheit wünscht eine Regierungsbeteiligung der Grünen, fürchtet aber die Unwucht Richtung Klimapolitik.

Ob die Führungsfrage der CDU auf dem Parteitag heute wirklich geklärt wird? Zumindest erleben wir historische Zeiten: Zum ersten Mal ist bei beiden Volksparteien völlig unklar, wer sie in eine mögliche Bundestagswahl führen wird.

Klarheit bei den Grünen, leider auch bei der FDP

Klarheit bei Programm und Führung gibt es nur bei den Grünen, ihre Pläne weisen Richtung Rot-Rot-Grün, beziehungsweise Grün-Rot-Rot. Was wirklich im ökologischen Umerziehungsprogramm der Partei schlummert, haben die meisten noch nicht realisiert. Klarheit gibt es leider auch bei der FDP – nämlich dass die Liberalen in einem Strategieloch sind und klären müssen, wofür sie eigentlich gebraucht werden sollen.

Dabei geht es um weitaus mehr, als um die Frage von Kanzlerkandidaten. Es geht auch um die Frage, ob und wie Deutschland künftig regierbar bleibt. Wir erleben das in anderen Ländern, ob in Spanien, Israel, Belgien oder Italien, die fast dysfunktionale Demokratien geworden sind. Mit zersplitterten Parteiensystemen, deren Parteien keine Regierung bilden können und sich von Neuwahl zu Neuwahl hangeln.

In Thüringen können wir ein Vorbeben beobachten – hoffen wir, dass es nicht das ganze Land erschüttert.

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