Schneller, komfortabler, billiger in der Anschaffung und sparsamer im Verbrauch. Siemens wirbt für den neuen Schnellzug Velaro Novo mit Superlativen aller Art. Mit 360 Stundenkilometern soll der neue Zug schon bald über die Schienen jagen, wie der Münchner Konzern vergangene Woche stolz verkündete. Allerdings wohl kaum in Deutschland: Die Bahn wartet aus leidvoller Erfahrung erst einmal ab – und setzt lieber auf die Vorgängergeneration des neuen Superzugs. Und aus Sicht der Kunden kann man sie in dieser zögerlichen Haltung nur unterstützten.
In den letzten Jahrzehnten konnte man es beim ICE immer wieder erleben: Die ersten Züge einer neuer Generation kamen stets mit technischen Fehlern aller Art auf den Markt. Siemens setzt die Bahnfahrer in Deutschland als eine Art Betatester ein. Erst im normalen Bahnbetrieb gelingt es dem Hersteller nach und nach, aus einem Prototyp einen alltagstauglichen Zug zu entwickeln. Das kann Jahre dauern, wie man in der Vergangenheit gesehen hat. Und einige Probleme bekommt Siemens bis heute nicht in den Griff.
Es gibt keinen Grund darauf zu vertrauen, dass es bei dem neuen Superzug ganz anders sein wird. Je anspruchsvoller die Technik, umso mehr Probleme dürfte es im Normalbetrieb geben. Und 360 Kilometer pro Stunde schaffen die Züge bei uns sowieso nicht: Die meisten deutschen Strecken sind dazu schlicht nicht geeignet. Ein Vergleich mit Japan erklärt auch, warum das so ist: Dort verkehren die Shinkansen-Züge seit Jahrzehnten mit Höchstgeschwindigkeiten, von denen man in Deutschland nur träumen kann. Aber die Japaner haben eben auch von Anfang an separate Gleise für ihre Schnellzüge gebaut, ohne die ein störungsfreier Betrieb nicht möglich wäre. In Deutschland fehlen sie. Schnellere Züge helfen bei uns deshalb wenig, wenn es um Pünktlichkeit und erst recht um Verlässlichkeit geht.
Was geschieht nach der Siemens-Alstom-Fusion?
Im Fall Siemens kommt noch ein anderes Argument ins Spiel: Die Bahnsparte des Konzerns steht vor der Fusion mit dem französischen Konkurrenten Alstom, der mit dem TGV ein ganz anderes Konzept verfolgt als die Deutschen beim ICE. Wenn alles nach Plan läuft, sollen die beiden Hersteller ab 2019 zusammenwachsen. Und es ist kaum wahrscheinlich, dass beide Entwicklungslinien auf Dauer nebeneinander weiter existieren werden. Das wäre auch betriebswirtschaftlich wenig vernünftig – geht es doch gerade darum, durch die Fusion Synergien zu heben.
Technisch aber dürfte die Fehlerhäufigkeit im neuen Siemens-Alstom-Reich auf jeden Fall zunächst wachsen, wenn man gemeinsame Plattformen schafft. Möglich auch, dass sich auf Dauer die französische Technik durchsetzt – für die deutsche Bahn wäre das allerdings ein Problem. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, erst einmal abzuwarten, was aus der Fusion in der Praxis folgt. Bei der Siemens-Show mit dem Velaro Novo gehören die Manager der Bahn deshalb wohl eher zu den skeptischen Zuschauern.