Ines Zöttl schreibt jeden Mittwoch über internationale Wirtschafts- und Politikthemen.
Wir sind im dritten Satz der nordkoreanischen Symphonie, die ihre eigenen musikalischen Regeln hat: Der große Paukenschlag ist in einer kleinen Pause ausgeklungen, nun tänzelt die Melodie leichtfüßig durch das Scherzo. Doch bald wird es wieder von vorne losgehen: Langsam baut sich darin das Crescendo auf, wird immer wilder bis es im nächsten Paukenschlag gipfelt.
Die Paukenschläge, das sind die regelmäßigen Drohungen aus Pjöngjang mit dem dritten Weltkrieg, der Vernichtung des Nachbarn Südkorea. Ihnen voraus gehen stets die anschwellenden Drohungen des Diktators, gefolgt wird der Lärm von Stille. Und dann dem Tänzeln zurück in die Normalität.
Im April war es wieder so weit, Kim Jong-un erklärte den „Kriegzustand“ und riegelte diesmal sogar die gemeinsame Wirtschaftszone Kaesong ab. Das schien umso dramatischer, als der einzige, der dieses Gewerbegebiet wirklich dringend braucht, das verarmte Nordkorea selbst ist. War der Neue durchgedreht, stand er mit dem Rücken an der Wand, würde er diesmal wirklich zuschlagen? Tagelang hielt die Welt den Atem an, ob es zum militärischen Konflikt zwischen Nord und Süd kommt, der am Ende Amerika und China mit erfassen könnte.
Doch dann verhallte der Ton, und gerade hat Nordkorea nolens volens die Fabriken wieder geöffnet. Ganz nebenbei hat die Führung aber nach Beobachtungen von US-Experten auch den abgeschalteten Atomreaktor Yongbyon wieder hochgefahren. 2007 hatte Nordkorea in langwierigen internationalen Verhandlungen zugesagt, sein Atomprogramm im Austausch für Geld zu beenden. Seitdem ging es munter vor und zurück, parallel dazu wurde der damals zerstörte Kühlturm wieder aufgebaut. Offenbar hat sich das Regime entschieden, das Pfand lieber nicht aufzugeben. Wer ein paar Atombomben im Keller hat, kommt ohne einen großen Bruder aus. Nur für den – unwahrscheinlichen – Fall, dass China mal die Nase voll von den Sperenzchen hat.
Keiner beherrscht das Katz-und-Maus-Spiel mit dem Westen so gut wie die Kims. Schon Vater Kim Jong-il hielt sich die lästige Weltgemeinschaft erfolgreich vom Leib. Immer, wenn es ganz eng zu werden drohte, und die Geduld der USA erschöpft war, offerierte er Zugeständnisse. Dann fand er bald einen Grund, sich daran nicht zu halten. Die „Irren von Pjöngjang“ sind in Wirklichkeit geschickte Taktiker. Ihre scheinbare Unberechenbarkeit garantiert eine umso stärkere Zurückhaltung des Westens. Wer will schon riskieren, einen Verrückten in die Enge zu treiben? Da geht man doch lieber nach dem Motto vor: „Der Klügere gibt nach“.
Die Abschottung des Landes verhindert zugleich, dass allzu viel Schreckliches nach außen dringt, was die westliche Öffentlichkeit aufschrecken und deren Regierungen zum Handeln zwingen könnte. Und die regelmäßigen Paukenschläge sorgen dafür, dass alle erleichtert sind, wenn auch nur die aktuelle Kriegsgefahr wieder einmal gebannt ist. Denn sowieso ist die Katze erst einmal aus dem Haus: Die USA haben genug mit Syrien und dem Iran zu tun.
Das Spiel wird weitergehen, der nächste Paukenschlag kommt bestimmt.
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