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Interview „Die Fußballbranche braucht einen Kulturwandel“

Ex-Twitter-Manager Paul Keuter ist seit 2016 Mitglied der Geschäftsleitung bei Hertha BSC und unter anderem verantwortlich für digitale Transformation und Markenführung
Ex-Twitter-Manager Paul Keuter ist seit 2016 Mitglied der Geschäftsleitung bei Hertha BSC und unter anderem verantwortlich für digitale Transformation und Markenführung
© William Minke
Wie schlägt sich die Bundesliga bei der Digitalisierung? Hertha-Digitalchef Paul Keuter über Start-up-Kultur im Fußballbusiness, neue Erlösmodelle – und was die Branche von seinem ehemaligen Arbeitgeber Twitter lernen kann

Sie waren drei Jahre lang bei Twitter, zuletzt verantwortlich für die globale Sportstrategie. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Bei Twitter habe ich in einem Unternehmen arbeiten dürfen, das rasant gewachsen ist. Als ich anfing, hatte Twitter knapp über 1 000 Mitarbeiter. Als ich drei Jahre später ging, waren es 4 500. Es gab ständig Umstrukturierungen, das Unternehmen war extrem flexibel. In meine Zeit fiel auch der Börsengang, deshalb entstand schnell enormer Druck von der Wall Street. Twitter musste um jeden Preis wachsen, neue User gewinnen und sich von einer reinen Plattform zu einem profitablen Inhalteanbieter wandeln. Damals haben wir auch angefangen, den Sportbereich auszubauen und mit der NBA über Übertragungsrechte zu sprechen. Die Zeit bei Twitter war für mich eine energiereiche, tolle Erfahrung.

Und dann kamen Sie zu Hertha BSC, einem Unternehmen aus der Old-Economy-Branche Profifußball. Ein Kulturschock?

Ja. Hertha ist ein großartiger Verein, aber auch ein Unternehmen, in dem Innovationsfreude und der Mut, Dinge anders zu machen, aus verschiedensten Gründen nicht besonders stark ausgeprägt waren. In der alten Unternehmensstruktur gab es viel Silo- und Abteilungsdenken und wenig Lust auf Neues. Es war schnell klar, dass es viel Modernisierungsbedarf gibt: intern und in der Kommunikation nach außen.

Nach Ihrem Antritt als Mitglied der Geschäftsleitung haben Sie Hertha als Berlins „ältestes Start-up“ positioniert. Der Verein wurde 1892 gegründet – da geht alt durchaus in Ordnung. Aber ein Fußballclub als Start-up...

Wir wissen selbst, dass wir bei Hertha bis heute noch keine reine Start-up-Kultur haben. Daher haben wir auch immer über eine Ziel-Positionierung gesprochen, keine Ist-Positionierung. Und wir sind auf einem sehr guten Weg. Ich bin damals jedenfalls nicht gekommen, um noch ein paar E-Commerce-Projekte anzuschieben. Mir geht es bei der digitalen Transformation um drei Punkte: Wir wollen im Unternehmen ein anderes Führungsmodell umsetzen, weg von den bisherigen Strukturen, hin zu mehr projektbezogenen und abteilungsübergreifenden Strukturen. Zweitens wollen wir auf Basis eines klar definierten Markenkerns und unserer clubeigenen Grundwerte einen Kulturwandel in der Mentalität und in unserer Geschäftsstelle eine Start-up-Kultur entwickeln. Und drittens wollen wir unser Digitalgeschäft ausbauen.

Ähnliche Pläne hört man auch von anderen Bundesligaclubs. Wie weit ist die Fußballbranche bei der Digitalisierung?

Die Digitalisierung verändert den Fußball sehr umfassend und nachhaltig – und zwar in ausnahmslos allen Bereichen. Und auch wenn es einige Clubs und natürlich auch die DFL gibt, die mittlerweile Initiative übernommen haben, so muss man doch feststellen, dass wir in Deutschland nach wie vor sehr viel zu tun haben. Und das sollte in unser aller Interesse jetzt auch schnell gehen. Wir brauchen dringend einen Kulturwandel in der gesamten Branche, sonst werden wir es alle zukünftig sehr schwer haben.

Ein wichtiger Bereich der Digitalisierung sind die vereinseigenen digitalen Kanäle. Wie kann ein Bundesligaclub davon profitieren?

Als ich bei Hertha anfing, hatten wir auf Facebook, Instagram und Twitter zusammen nur etwa 500 000 Follower, deutlich weniger als viele andere Bundesligaclubs. Daher geht es uns im ersten Schritt darum, unsere digitale Reichweite und die Interaktionen mit unseren Fans und Followern massiv zu erhöhen. Dafür haben wir untern anderem eine Reihe neuer interaktiver Live-Features eingeführt. Zum Beispiel haben wir es vor einiger Zeit als erster Verein in der Bundesliga den Fans ermöglicht, über Facebook an den Pressekonferenzen mit unserem Trainer Pal Dárdai und Manager Michael Preetz teilzunehmen und live Fragen zu stellen. Darüber hinaus gibt es weitere neue Bewegtbildformate, für die wir auch unsere Spieler einsetzen. Die Liste innovativer Maßnahmen ist lang.

Was haben Sie als Hertha-Geschäftsleitung davon? Lässt sich damit Geld verdienen?

Die Reichweite haben wir schon fast verdoppelt. Natürlich liegen wir in absoluten Zahlen hinter den Spitzenclubs wie dem FC Bayern oder Borussia Dortmund. Aber bei der Wachstums- und Interaktionsrate sowie beim Output erzielen wir inzwischen teilweise höhere Werte als unsere Benchmarks Bayern, Dortmund oder Mönchengladbach. Im zweiten Schritt wollen wir die Reichweiten natürlich monetarisieren – beispielsweise durch neue Angebote für Sponsoren und Partner. Das Ziel muss sein, mehr Erlöse zu generieren, um am Ende auch mehr in das Wachstum unseres Clubs investieren zu können. Das klappt langsam immer besser.

Seit einigen Monaten ist Hertha auch stark im E-Sports-Bereich aktiv und hat als erster Bundesligist eine E-Sports-Akademie gegründet. Machen Sie das aus Imagegründen? Oder kann das tatsächlich eine neue Erlösquelle sein?

Wir sind zwar nicht der erste Bundesligaclub, der in den eSport einsteigt, aber der erste, der einen anderen Weg geht. Wir haben für uns die Vision entwickelt, dass wir den kommenden FIFA-Weltmeister selber entdecken, ausbilden und entwickeln. Wir wollen die erfolgreiche Nachwuchsarbeit unseres Clubs aus dem Fußball auf den eSport übertragen und nicht einfach bereits erfolgreiche eSportler einkaufen. Wir sehen uns ja in erster Linie als Ausbildungsverein, und der eSport zahlt für uns auf den Fortschritt ein, dem wir uns bei Hertha BSC verschrieben haben. Aber natürlich sehen wir auch neue Erlöspotenziale durch den eSport, beispielsweise durch die Schaffung von innovativen Content-Formaten oder durch die Integration von Partnern.

Einige Fangruppen sehen Ihre digitalen Aktivitäten kritisch. In der vergangenen Saison hingen in der Ostkurve bei mehreren Spielen Plakate mit Parolen gegen Sie persönlich. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Zu unserer Wahrheit gehört sicherlich, dass ein Teil der Fans unsere Bemühungen, die Zukunft des Vereins zu sichern, nicht nur kritisch betrachtet, sondern den Wandel im Kern ablehnt. Es erfordert ein hohes Maß an Transparenz und Überzeugungsarbeit, möglichst viele Menschen mit auf den Weg zu nehmen. Auch das ist eine Herausforderung der Digitalisierung. Wichtig ist, dass wir verstanden haben, dass die Digitalisierung kein Trend ist, der nur eine bestimmte Abteilung betrifft. Und es geht auch nicht nur um ein neues Marketingformat. Es geht um viel mehr: Die ganze Organisation muss lernen, anpassungsfähig zu sein und in jedem Bereich digitale Trends für sich zu nutzen. Dazu müssen alle an einem Strang ziehen. Jeder einzelne, der glaubt, den Weg nicht gehen zu müssen, hält die gesamte Organisation auf oder verlangsamt diese zumindest sehr stark. Bei dem Tempo, mit dem der digitale Wandel voran schreitet, können wir uns das nicht leisten. Ob es den Fans nun gefällt oder nicht.

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