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Gastkommentar Die Eurozone braucht eine neue Schuldenpolitik

Yanis Varoufakis fordert einen neuen Ansatz für den Umgang mit Schulden in der Eurozone.
Yanis Varoufakis
Yanis Varoufakis
© Getty Images

Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister von Griechenland, ist Abgeordneter der linken Syriza-Partei und Professor für Ökonomie an der Universität von Athen

Die griechischen Staatsschulden sind wieder auf der europäischen Tagesordnung gelandet. Während der lähmenden fünfmonatigen Hängepartie mit ihren Gläubigern war das vielleicht die Haupterrungenschaft der griechischen Regierung: Nach Jahren des „Verlängerns und Vortäuschens“ sind sich heute fast alle einig, dass eine Umstrukturierung der Schulden nötig ist. Am wichtigsten ist, dass das nicht nur für Griechenland gilt.

Im Februar schlug ich der Eurogruppe (den Finanzministern der Euro-Staaten) mehrere Optionen vor, darunter BIP-indizierte Anleihen, für die sich Charles Goodhart kürzlich in der Financial Times eingesetzt hatte, unbefristete Anleihen zur Begleichung der Altschulden in den Büchern der Europäischen Zentralbank und so weiter. Hoffentlich ist jetzt der Weg dafür bereitet, solche Vorschläge anzunehmen, bevor Griechenland noch tiefer im Treibsand der Insolvenz versinkt.

Aber die interessantere Frage ist, was all das für die Eurozone als Ganze bedeutet. Die in weiser Voraussicht getätigten Forderungen von Joseph Stiglitz, Jeffrey Sachs und vielen anderen nach einem anderen allgemeinen Ansatz für Staatsschulden müssen so angepasst werden, dass sie den besonderen Merkmalen der Eurozonenkrise gerecht werden.

Regeln wurden verletzt – auch von Deutschland

Unter den Währungsräumen nimmt die Eurozone eine Sonderstellung ein: Ihre Zentralbank hat keinen Staat im Rücken, der ihre Entscheidungen unterstützt, und ihre Mitgliedstaaten haben keine Zentralbank, die ihnen in schwierigen Zeiten zur Seite steht. Die europäischen Politiker haben versucht, dieses institutionelle Vakuum mit komplexen, unglaubwürdigen Regeln zu füllen, die oft nicht bindend sind und trotzdem auf hilfsbedürftige Mitgliedstaaten eine lähmende Wirkung haben.

Eine dieser Regeln ist die Grenze von 60 Prozent des BIP, die im Maastricht-Vertrag als Grenze für die Staatsschulden der Mitgliedstaaten vorgegeben ist. Eine weitere ist die „No-Bailout“-Klausel. Die meisten Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland – haben die erste Regel verletzt, auch wenn dies oft verschleiert wurde. Die zweite Regel wiederum wurde häufig durch teure Finanzierungspakete außer Kraft gesetzt.

Das Problem der Schuldenumstrukturierung in der Eurozone ist von entscheidender Bedeutung, steht aber gleichzeitig zur der impliziten Verfassung im Widerspruch, die der Währungsunion zu Grunde liegt. Wenn die Regeln einer Institution mit der Ökonomie in Konflikt geraten, müssen die Politiker entweder kreative Wege finden, die Regeln zu ändern, oder ihren Institutionen beim Kollabieren zuschauen.

Hier folgt eine Idee (aus A Modest Proposal for Resolving the Euro Crisis, verfasst gemeinsam mit Stuart Holland und James K. Galbraith), um die Regeln neu zu kalibrieren, ihren Geist zu verbessern und das dahinter liegende wirtschaftliche Problem zu lösen.

Schuldenkonto bei der EZB

Kurz gesagt, könnte die EZB sofort ankündigen, dass sie fortan sämtlichen Mitglieder, die teilnehmen wollen, ein Umschuldungsprogramm anbietet. Die EZB kauft keine Schulden mehr auf, sondern bedient stattdessen entsprechend dem im Maastrichter Vertrag angegebenen Prozentsatz einen Teil der bald fälligen Staatsanleihen des Mitgliedslandes. Im Fall von Mitgliedstaaten mit BIP-bezogenen Verschuldungsquoten von beispielsweise 120 oder 90 Prozent würde die EZB dann entsprechend 50 oder 66,7 Prozent jeder bald fälligen Staatsanleihe bedienen.

Um die Schuldenablösungen einzelner Mitgliedstaaten zu finanzieren, könnte die EZB auf eigenen Namen Anleihen ausgeben, für die nur sie bürgt, die aber vollständig vom jeweiligen Mitgliedstaat zurückgezahlt werden. Gleichzeitig zur Ausgabe einer solchen EZB-Anleihe würde die Zentralbank für den entsprechenden Mitgliedstaat ein Schuldenkonto eröffnen.

Der Mitgliedstaat wäre dann gesetzlich verpflichtet, auf dieses Konto Einzahlungen zu tätigen, die die Zinsen und Tilgungen der EZB-Anleihen decken. Darüber hinaus hätten die Schulden des Mitgliedstaates bei der EZB absoluten Rückzahlungsvorrang und wären beim Europäischen Stabilitätsmechanismus gegen das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit abgesichert.

Fünf Vorteile

Ein solches Umschuldungsprogramm hätte fünf Vorteile: Erstens würde dazu im Gegensatz zur aktuellen EZB-Politik der quantitativen Lockerung keine Schuldenmonetarisierung nötig. Also bestände keine Gefahr, das Risiko von Vermögensblasen zu erhöhen.

Zweitens würde das Programm die Gesamtzinszahlungen in der Eurozone massiv senken. Der Maastricht-kompatible Teil der Staatsschulden ihrer Mitglieder würde (entsprechend der Fälligkeit der EZB-Anleihen) auf längere Laufzeiten umgeschichtet und zu den extrem niedrigen Raten verzinst, die nur die EZB auf den internationalen Kapitalmärkten erzielen kann.

Drittens wären die Langfristzinssätze Deutschlands nicht betroffen, da das Land weder für das Umschuldungsprogramm bürgt, noch für die Anleihenausgabe der EZB.

Viertens würde der Geist der Maastricht-Regel für Staatsschulden gestärkt und fahrlässiges Verhalten aufgrund von „moral hazard“ verhindert. Immerhin würde das Programm den Zinsunterschied deutlich vergrößerm zwischen Maastricht-kompatiblen Schulden und denjenigen, die in den Händen der Mitgliedstaaten verbleiben (und die ihnen vorher nicht erlaubt waren).

Und schließlich könnten BIP-indizierte Anleihen und andere Werkzeuge für den vernünftigen Umgang mit übermäßigen Schulden auf diejenigen Anleihen der Mitgliedstaaten beschränkt werden, die nicht unter das Programm fallen – entsprechend den internationalen Qualitätsstandards für Staatsschuldenmanagement.

Europas Wunden heilen

Die naheliegende Lösung der Eurokrise wäre eine föderale Lösung. Aber durch die Krise, die auf tragische Weise stolze Nationen gegeneinander aufgebracht hat, ist eine Föderalisierung nicht wahrscheinlicher, sondern unwahrscheinlicher geworden.

In der Tat wäre jede Art politischer Union, die die Eurogruppe heute vorschlagen würde, autoritär und ineffektiv. Selbst eine Umstrukturierung der Schulden, nach der die Eurozone – und nicht nur Griechenland – momentan ruft, scheint im aktuellen politischen Klima nicht akzeptabel zu sein.

Aber es gibt Wege für eine vernünftige Umschuldung ohne Kosten für die Steuerzahler und auf eine Art, die die Europäer näher zusammen bringt. Einer davon ist das Umschuldungsprogramm, das hier vorgeschlagen wurde. Seine Durchführung würde dazu beitragen, die Wunden Europas zu heilen und den Weg für eine Debatte über die Art politischer Union zu bereiten, die die Europäer verdienen – eine Debatte, die die Europäische Union dringend benötigt.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Copyright: Project Syndicate, 2015 
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