Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.
Ob ein Automanager einen guten Job macht oder nicht, sieht man in der Regel immer erst fünf Jahre später. Die neuen Modelle, die man jetzt entwickelt, kommen erst dann auf den Markt. Die Fabriken, die man jetzt baut, müssen dann mit voller Auslastung fahren. Das Geld, das man jetzt in die Marke investiert, muss sich dann auszahlen. Dieses eiserne Gesetz der Autoindustrie gilt natürlich auch für VW: Die wirklichen Folgen des schweren Betrugsskandals bekommt der Konzern erst in einigen Jahren zu spüren. Deshalb liegen auch alle falsch, die jetzt schon Entwarnung geben. Selbst wenn die Wolfsburger die meisten direkten Kosten der Affäre in den Bilanzen von 2015 und 2016 verdauen, kommt ihnen die ganze Sache in einigen Jahren noch teuer zu stehen.
Dafür gibt es mindestens fünf Gründe. Erstens (und vielleicht am wichtigsten): Wie stark die Marke VW wirklich beschädigt ist, kann noch niemand sagen. Die Verkaufszahlen allein sagen dabei wenig. Wahrscheinlich muss der Konzern noch viele Jahre in vielen Ländern höhere Rabatte geben, um seine Modelle an den Mann zu bringen. Die finanziellen Folgen sind enorm. Zweitens fehlen die Milliarden, die VW heute für Strafzahlungen und Rückrufaktionen ausgibt, für Investitionen. Der Konzern streicht die Zahl neuer Modelle zusammen und kann sich vieles nicht mehr leisten, was Konkurrenten wie Toyota ausgeben. Die finanziellen Folgen kann man in einigen Jahren besichtigen. Drittens muss sich VW nach dem Skandal technisch völlig neu positionieren. Kein großer Konzern setzte so stark auf den Diesel-Motor wie VW, kein großer Konzern liegt so weit zurück bei Elektro- und Hybrid-Motoren. Doch der Diesel spielt künftig auf keinen Fall mehr die große Rolle, die ihm die VW-Manager zugedacht hatten. Viertens lag die Profitabilität bei VW schon vor dem Skandal viel zu niedrig, um langfristig gegen den großen Rivalen Toyota zu bestehen. Um fünf Millionen Autos zu bauen beschäftigt VW rund 600.000 Mitarbeiter weltweit, Toyota nur etwas mehr als die Hälfte. Jetzt muss VW auf Teufel heraus sparen – und macht dabei möglicherweise die gleichen Fehler wie früher General Motors. Sinkt die Qualität, dann ruiniert VW den guten Ruf der Vergangenheit endgültig. Fünftens: VW braucht eine neue „corporate story“, ein neues Image. Der Konzern muss viele hunderte Millionen für Werbung und Kommunikation einsetzen in den nächsten Jahren. Doch woher soll das Geld kommen, wenn eisern gespart werden muss?
Es wird Jahre dauern
Ob der Kurs des jetzigen VW-Chefs Matthias Müller erfolgreich sein wird oder nicht, zeigt sich in Wahrheit erst in einigen Jahren. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der 63jährige dann selbst bereits in Pension. Bisher ist es Müller nicht gelungen, im Konzern wirklich schnell aufzuräumen. Die Auseinandersetzungen um die Diesel-Affäre dürften sich bis weit ins nächste Jahr hineinschleppen. Anhänger Müllers verbreiten die These, er kümmere sich deshalb so wenig um die kurzfristige Aufarbeitung des Skandals, weil er sich ganz auf die langfristige Strategie des angeschlagenen Konzerns geworfen habe. Wenn das stimmt, gibt es vielleicht auf Sicht von fünf Jahren Hoffnung für den Konzern. Aber wer, wenn nicht der Chef selbst, kümmert sich dann jetzt um einen wirklichen Neuanfang?
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