Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.
Wenn der BASF-Konzern gegenwärtig neue Geschäftsdaten veröffentlicht, dann sieht man fast nur Minuszahlen. So auch letzte Woche bei der Präsentation für das zweite Quartal: Umsatz minus 24 Prozent, Betriebsergebnis minus 16 Prozent, Cash-Flow minus 17 Prozent. Unter all den Negativposten sticht vor allem einer hervor, der viel über die gewaltigen Herausforderungen für Deutschlands größtes Chemieunternehmen erzählt: BASF muss immer mehr produzieren und verdient trotzdem immer weniger Geld. Die verkauften Volumina stiegen im zweiten Quartal um zwei Prozent, aber die Preise sanken gleichzeitig um sieben Prozent. Schaut man sich einzelne Sparten an, dann ist die Misere noch viel größer. Bei Massenchemikalien stiegen die Volumina um vier Prozent, während die Preise um 17 Prozent nachgaben.
Solche Zahlen kennt man sonst nur aus der deutschen Stahlindustrie. Geht die deutsche Chemie etwa den gleichen Weg? Auf den ersten Blick mutet dieser Vergleich absurd an: BASF verdient immer noch sehr gutes Geld, die Kapitalstruktur und Finanzkraft sind gesund. Und trotzdem gibt es einige Gemeinsamkeiten mit der Stahlindustrie. Die wichtigste: Mit einfachen Produkten kann man auf lange Sicht kaum noch Geld verdienen. In Asien, vor allem in der Volksrepublik China, gibt es mittlerweile viele starke Wettbewerber – sowohl für Basischemikalien als auch für Stahl. Sie machen BASF heute das Leben genauso schwer wie Thyssen-Krupp. Und das Beispiel des deutschen Stahlkonzerns zeigt eindrücklich, wie schwer man gegen fallende Preise ankommt. Dort fährt die Unternehmensspitze ein Sparprogramm nach dem anderen, kommt aber trotzdem nicht auf die Beine.
Deutschen Staatsanwälte oft überfordert
Diesen Teufelskreis kann man nur durch Innovationen durchbrechen. Thyssen-Krupp versucht es beispielsweise mit neuen Komponentenwerkstoffen für die Autoindustrie. Auch BASF fährt mit seinen Spezialchemikalien wachsende Gewinne ein – und gleicht damit die schlechten Ergebnisse bei Basischemikalien zum Teil aus. Theoretisch ist die Lösung also relativ einfach: BASF müsste die Produktion von Basischemikalien so schnell wie möglich zurückfahren und verstärkt auf neue Produkte und Spezialchemikalien setzen. Der integrierte Produktionsverbund der BASF macht diese Lösung in der Praxis jedoch unmöglich. Auch hier gibt es Gemeinsamkeiten mit der Stahlindustrie: Auch Thyssen-Krupp redet gern über neue Stahlprodukte, die riesigen Hochöfen kann man damit aber bisher nicht annähernd auslasten.
Strategisch am gefährlichsten für die BASF wäre es, den Grundfehler der deutschen Stahlindustrie zu wiederholen: auf eine nachhaltige Stabilisierung der Preise zu hoffen. Die chinesische Chemieindustrie steht noch am Anfang ihrer Entwicklung. Die Kapazitäten wachsen – zum Teil mit der Hilfe der deutschen Konkurrenz. Noch drücken die Kapazitäten gar nicht in voller Wucht auf den Weltmarkt, weil der Chemiebedarf in der Volksrepublik China selbst so hoch ist. Doch die Entwicklung der chinesischen Stahlindustrie zeigt: Dieser Tag wird kommen. Bis dahin muss sich BASF ein Stück neu erfinden. Über die finanziellen Mittel dazu verfügt der Ludwigshafener Konzern. Fragt sich nur, ob das jetzige Spitzenmanagement auch die Bereitschaft dazu mitbringt.
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