Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Nach dieser Aschenputtel-Devise betreibt die Siemens AG seit vielen Jahrzehnten den Umbau des Konzerns. Man kauft andere Unternehmen, gliedert sie ein und hebt Synergien. Gleichzeitig löst man andere Sparten heraus, schickt sie in die Selbstständigkeit oder verkauft sie ganz. Die Übernahme der amerikanischen Altair Engineering sticht nur durch den außerordentlich hohen Preis von 10,6 Mrd. Dollar hervor.
So einen großen Brocken verleibte sich der Konzern zuletzt vor über zehn Jahren ein, als Dresser-Rand für rund 8 Mrd. Dollar den Besitzer wechselte. Der damalige Kauf des amerikanischen Turbinenherstellers löste einen ganzen Ringelrein von kleineren und größeren Abspaltungen und Verkäufen bei Siemens aus. Am Ende tauchte der Name Siemens gleich dreimal im Dax auf – und blieb dort bis heute. Neben der Siemens AG notieren nun an der Börse Siemens Energy und Siemens Healthineers.
Die Geschichte könnte sich wiederholen. Auf den Kauf von Altair dürften schon bald Verkäufe folgen – schon allein, um die Verschuldung von Siemens zu reduzieren. Am einfachsten lassen sich die Anteile zu Geld machen, die der Mutterkonzern immer noch an seinen beiden ehemaligen Sparten hält. Die Siemens-Energy-Aktien wäre die AG schon seit langem gern los. Zuletzt wanderte ein Teil der verbliebenen Beteiligung in den Pensionsfonds. An der ehemaligen Medizintechniksparte hält der Mutterkonzern immer noch eine satte Mehrheit, die sich ohne weiteres sanft reduzieren ließe, wenn es denn notwendig werden sollte. Über kurz oder lang macht es jedenfalls keinen Sinn, sie selbstständig zu führen, aber gleichzeitig doch eng an die Siemens AG zu ketten.
Was wird aus der Mobility-Sparte?
Doch nach der Übernahme von Altair geht es nicht nur um die Finanzen, sondern um die ganze Aufstellung des Konzerns. Die Siemens AG soll künftig noch stärker als Softwarehersteller für die Industrie ins Rennen gehen. Das ist der erklärte Wille des Vorstandsvorsitzenden Roland Busch. Nur mit einer neuen Börsenstory ließe sich die Bewertung der Siemens AG in die Liga von Konzernen wie SAP befördern. Doch dafür reicht es nicht aus, Unternehmen wie Altair zu integrieren. Zugleich muss Busch irgendwann die Sparten abspalten, die nicht zu dem Narrativ eines Softwareriesen passen. Das gilt vor allem für den Bereich Mobility, dessen Kern die alte Zugsparte bildet. Mit ihm lassen sich nicht Renditen erwirtschaften, wie man sie von einem Hochtechnologieunternehmen oder gar einem „deutschen Microsoft für die Industrie“ erwartet. Und zwischen den Geschäften, die man bei Altair und den entsprechenden Softwareeinheiten bei Siemens vorantreibt und dem Bau eines ICE, gibt es auch so gut wie keine Synergien.
Möglicherweise reicht das aber nicht aus. Aus Sicht vieler Investoren sollte sich Busch sogar von Teilen der zentralen Sparte Automatisierungstechnik trennen, die zuletzt nicht mehr so glänzte wie immer erwartet worden war. Das Geschäft mit digitalen Steuerungen für Maschinen aller Art, lange Zeit der Kern dieser Sparte, leidet unter dem Wettbewerb aus China. In einem Massengeschäft mit Billiganbietern aber lassen sich die alten Renditen nicht mehr erzielen.
Man kann daher die Prognose wagen: In zwei bis drei Jahren dürfte die Siemens AG ganz anders aussehen als heute. Mit dem Kauf von Altair beginnt der Reigen neu. Die einen (vor allem an den Kapitalmärkten) hoffen darauf, die anderen (vor allem die Beschäftigten) fürchten es.