40 Jahre war die Welt von ungewöhnlich niedrigen Kapitalkosten geprägt. Heute haben wir eine Kombination aus hoher Inflation (wie in den 1970er-Jahren), hoher Staatsverschuldung (wie in den späten 1940er-Jahren) und hohen Bewertungen oberhalb historischer Normen (wie in den späten 1920er- oder 1990er-Jahren).
Vier Megatrends – Wirtschaft vor Umwelt, asymmetrischer Kapitalismus, demografische Dividende und Globalisierung – haben die Voraussetzungen für niedrige oder negative Realzinsen in den USA und Europa geschaffen. Diese Bedingungen scheinen sich nun umzukehren. Dies könnte bedeuten, dass die nächsten zehn Jahre ganz anders aussehen könnten.
Das außergewöhnliche Paradigma, das die Weltwirtschaft und die weltweiten Aktien- und Schuldenmärkte (vor allem in den USA und Europa) in den letzten vier Jahrzehnten beherrscht hat, sieht sich vor einer großen Herausforderung. Bereits vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine war dies der Fall, und der Konflikt könnte nun als noch unmittelbarerer Katalysator wirken.
Zum ersten Mal in den letzten 100 Jahren erleben wir eine hohe Staatsverschuldung, eine sich beschleunigende Inflation und ungewöhnlich hohe Bewertungen - alles zur gleichen Zeit. Die Inflationsrate klettert allmählich mit deutlich über fünf Prozent wieder auf das Niveau der 1970er-Jahre. Die Verschuldung im Verhältnis zum BIP ist ähnlich hoch wie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (im Durchschnitt über 100 Prozent des BIP), als die Länder nach einem verheerenden sechsjährigen Konflikt ihre Ausgaben für den Wiederaufbau tätigten.
Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse sind nach wie vor hoch, insbesondere bei Wachstumswerten (auch wenn sie in letzter Zeit etwas gesunken sind), wobei die Bewertungen für unrentable Unternehmen, mit denen auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase in den 1990er-Jahren vergleichbar sind. Die Marktkapitalisierung der USA und Europas in Prozent des BIP ist weiterhin auf dem höchsten Stand der letzten Jahrzehnte. Die realen Negativzinsen der letzten zwei bis drei Jahre führten dann zu den niedrigsten Kapitalkosten der letzten 50 Jahre, während die Kreditrisikoprämien ebenfalls massiv gesunken sind.
Notenbank-Chef Volcker gab Starthilfe
Die Entstehung dieses langen Zyklus' der letzten Jahrzehnte geht auf das Jahr 1981 und die Maßnahmen des ehemaligen US-Notenbankchefs Paul Volcker zurück.
Mit der Absicht, die Ära der hohen Inflation der 1970er-Jahre zu beenden, erhöhte Volcker die Zinssätze auf einen Rekordwert von 20 Prozent. Damit war der Grundstein für eine jahrzehntelange Desinflation gelegt. Sowohl die nominalen als auch die realen Zinssätze wiesen nur in eine Richtung – nach unten. Dieser Trend beschleunigte sich nach der weltweiten Finanzkrise vor 13 Jahren drastisch und erreichte seinen Höhepunkt während der Corona-Krise in den letzten zwei Jahren, als die Realzinsen weiter in den negativen Bereich (zwischen zwei Prozent und drei Prozent) abrutschten.
All dies wäre ohne die Maßnahmen der Regierungen und Zentralbanken in den Industrieländern nicht möglich gewesen. Sie versuchten, eine Rezession nach der anderen und das Risiko eines Abschwungs wie in den 1930er Jahren, der in Deflation und Depression endete, zu vermeiden. Mit einer Kombination aus immer extremeren fiskalpolitischen Maßnahmen (Konjunkturpakete) und geldpolitischen Maßnahmen (Null- und bzw. oder negative Nominalzinsen und quantitative Lockerung) haben sie die Sympthome dadurch gelindert. Und zwar indem sie den Konsum angekurbelt haben, dessen Anteil am BIP kontinuierlich gestiegen ist und in den USA und Europa bei 70 Prozent oder mehr liegt.
Die Folgen sind eine vollständige Komprimierung der Zinssätze auf den Kreditmärkten, schnell steigende Aktienbewertungen, insbesondere für Wachstumsunternehmen (z.B. unrentable Tech- und Biotech-Unternehmen), eine reale Stabilität der Währungen (US-Dollar, Euro, Yen, Britisches Pfund und Schweizer Franken) und eine anormale Performance von Multi-Asset-Strategien (Aktien und Anleihen).
Wirtschaft vor Umwelt
Es war die Kombination von vier langfristigen Trends, die die Bedingungen für ungewöhnlich niedrige bzw. negative nominale bzw. reale Zinssätze, niedrige Inflation und geringe Währungsvolatilität geschaffen haben.
Das gesamte globale Wirtschaftssystem beruht auf der Ausbeutung von Naturkapital, das einen unendlichen Wert, aber keinen Marktpreis hat. Rund 50 Prozent aller Wirtschaftstätigkeiten hängen von gesunden und reichlich vorhandenen Böden, Wäldern, Wasser und Ökosystemleistungen ab. Durch den Missbrauch der Natur konnte das globale BIP in den letzten Jahrzehnten wachsen und gleichzeitig die Inflation eingedämmt werden. Das liegt daran, dass das Naturkapital und die negativen und positiven Umwelteffekte nie richtig bepreist wurden und sich in den BIP-Messungen nicht widerspiegeln.
Asymmetrischer Kapitalismus
Die Fiskalpolitik und die Geldpolitik der Zentralbanken haben in den vergangenen 15 Jahren erheblich zugenommen, während Covid sogar noch mehr. In den größten Volkswirtschaften der westlichen Welt belaufen sich die staatlichen Interventionen inzwischen auf über 50 Prozent des BIP - und erreichen in Ländern wie Frankreich und Italien ein ähnliches Niveau wie in Kuba (fast 60 Prozent)!
Da niedrige oder negative Zinssätze die Gewinne an den Anleihe- und Aktienmärkten angeheizt haben, sind die Kapitalbesitzer sehr viel reicher geworden, während diejenigen, die sich nur auf ihre Gehälter verlassen, relativ ärmer geworden sind. Dieser asymmetrische Kapitalismus ist in der Wirtschaftsgeschichte ungewöhnlich. Es wäre naheliegend anzunehmen, dass mehr staatliche Eingriffe die Ungleichheiten verringern würden, doch das Gegenteil ist der Fall.
Demographische Dividende
In den letzten 30 bis 40 Jahren gab es drei wichtige demografische Faktoren, die dazu geführt haben, dass das BIP-Wachstum weltweit höher war als das Lohnwachstum: Erstens, seit den 1980er-Jahren sind jedes Jahr zahlreiche Frauen in den Arbeitsmarkt eingetreten; zweitens, das Ende des Kommunismus Anfang der 1990er-Jahre und die Aufnahme Chinas in die WTO 2001 haben weltweit 1,5 Milliarden Menschen ins Erwerbsleben gebracht. Deren Löhne liegen weit unter denen der westlichen Welt. Und drittens, die Einwanderungsströme waren in Europa und den USA konstant und haben folglich die Löhne in diesen Regionen unter Druck gesetzt.
Globalisierung
Die USA und Europa haben nicht nur von billigen Arbeitskräften profitiert, sondern auch ihre globalen Produktionskapazitäten umstrukturiert, um die Inflation von Gütern so weit wie möglich zu reduzieren, wobei die drei großen Blöcke - Nordamerika, Europa und Nordasien - immer stärker miteinander verbunden sind. Hauptnutznießer war China, das innerhalb von erstaunlichen 20 Jahren von 4 Prozent des Welt-BIP auf 18 Prozent gewachsen ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vier langfristigen, säkularen Trends die Voraussetzungen für eine lange Periode der Desinflation sowohl bei Waren als auch bei Dienstleistungen geschaffen haben, wodurch die Zinssätze niedrig oder, wie in jüngster Zeit, negativ bleiben konnten und die Währungsstabilität begünstigt wurde. Sie haben jedoch auch zu Anomalien geführt, die Folgen für unsere Wirtschafts- und Sozialsysteme sowie für unser globales Umfeld haben. Dieser Trend könnte sich nun umkehren.
Zerstörung von Naturkapital und soziale Ungleichheit
Die Temperaturen sind auf gefährliche Werte gestiegen, und in vielen Teilen der Welt gibt es Wasserknappheit und andere Bedrohungen. Außerdem haben staatliche Eingriffe zu massiven sozialen Ungleichheiten geführt. Von der Nachkriegszeit bis in die 1990er-Jahre stiegen die Löhne um acht Prozent pro Jahr, während der Wert des Kapitals um sechs Prozent zunahm. Seit 2010 hat das Kapital fast neun Prozent zugelegt, während die Gewinne der Arbeit auf weniger als vier Prozent geschrumpft sind.
Das beeindruckendste Wachstum der Erwerbsbevölkerung in der Geschichte des Kapitalismus hat dazu geführt, dass es kaum notwendig war, mehr zu zahlen, um Arbeitskräfte anzuziehen. Das wiederum führte zu stagnierenden Löhnen. Gleichzeitig ist der Anteil der Ersparnisse am BIP überproportional gestiegen (von 40 Prozent im Jahr 1950 auf 65 Prozent im Jahr 2021 in den USA). Diese enormen Ersparnisse haben dazu beigetragen, die Zinssätze nach unten oder in den negativen Bereich zu drücken.
Die Globalisierung hat auch zu einer wesentlich geringeren Währungsvolatilität geführt (fünf Prozent im letzten Jahrzehnt gegenüber mindestens zehn Prozent in den 70er- und 80er-Jahren). Die Wirtschaftspolitik der wichtigsten Blöcke hat sich stark angeglichen. In diesem Zeitraum gab es wenig geopolitische Spannungen, was die finanzielle Integration zwischen den Ländern erleichterte und die Devisenschwankungen begrenzte.
Ökologischer Wandel
Die für den Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft erforderlichen Investitionen könnten die Einsparungen verschlingen. Wir schätzen, dass die USA, Europa und Asien zusammen 5 Billionen US-Dollar für Infrastruktur und Produktion ausgeben müssen, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und die Temperaturen auf 1,5 bis 2 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu halten.
Die erforderlichen Investitionen werden überschüssige Ersparnisse aufzehren und die Wareninflation fördern. Auch die Erhaltung der biologischen Vielfalt wird jährliche Investitionen in Höhe von 400 Mrd. US-Dollar nach sich ziehen. Die nächsten 10 bis 20 Jahre werden zeigen, dass externe Effekte ihren Preis haben und der Markt die Kosten der Naturzerstörung in seine Entscheidungen einbeziehen muss.
Das extreme Wohlstandsgefälle erhöht das Risiko sozialer und politischer Unruhen. Auch die Gewinnspannen und Gewinne der Unternehmen sind so hoch wie nie zuvor. Steuereinnahmen sind jetzt nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern auch ein politisches Instrument, um die Exzesse des Kapitalismus auszugleichen. Arbeit muss belohnt und die Möglichkeiten globaler Unternehmen, sich die niedrigsten Steuersysteme zu suchen, einschränkt werden.
Wettlauf um Arbeitskräfte beginnt
Wir schätzen, dass die weltweite Erwerbsbevölkerung in den nächsten fünf Jahrzehnten alle fünf Jahre um durchschnittlich vier bis fünf Prozent schrumpfen wird. Dies wird die Unternehmen zu einem Wettlauf um qualifizierte Arbeitskräfte zwingen und die Löhne weltweit in die Höhe treiben.
Jeder Block (Nordamerika, Europa, Nordasien) wird nun wahrscheinlich nach seinen eigenen strategischen und wirtschaftlichen Prioritäten handeln. Die Globalisierung hat die Lieferketten in der ganzen Welt verlängert. Die politischen Krisen und jetzt der Krieg in der Ukraine machen die Schwächen dieser Praktiken deutlich, indem sie zu Engpässen und Unterbrechungen in verschiedenen Regionen führen und vor allem die strategische Abhängigkeit in bestimmten Sektoren (Arzneimittel, Energie, Lebensmittel usw.) aufzeigen.
Regierungen und Unternehmen werden wahrscheinlich den Kompromiss zwischen Effizienz und Sicherheit bei der Versorgung in Schlüsselbereichen überdenken. Regionale Unabhängigkeit und Selbstversorgung werden mit höheren Kosten einhergehen, da Umweltbelange in den Mittelpunkt rücken.
Das nächste Jahrzehnt wird wahrscheinlich sowohl Schocks als auch Chancen für die Anleger bringen, die darauf vorbereitet sein müssen, sich an das neue Paradigma anzupassen.