Es ist eigentlich schwer vorstellbar, dass man sich über einen Verlust von über 5 Mrd. Euro freuen kann. Aber Christian Sewing gelingt das . Zumindest sagt der Vorstand der Deutschen Bank das, als er an diesem Donnerstag vor die Mikrofone und Kameras tritt. Ihn stimme dieser Verlust freudig: „Sie erleben mich hier sehr zuversichtlich.“ Ja, auch sehr zufrieden, denn seine Bank, die sich nun schon seit Jahren im Dauerkrisenmodus befindet und unter zunehmender Bedeutungslosigkeit leidet, habe sich im vergangenen Jahr „ziemlich gut geschlagen“. Mehr noch: „Wir haben all unsere Ziele erreicht.“ Ein Verlassen der Verlustzone gehörte jedoch im abgelaufenen Jahr nicht dazu. Eine Steigerung der Erträge offenbar auch nicht.
Was stattdessen die Ziele von 2019 waren : Massive Kosteneinsparungen. Und der Abbau von zunächst 4000 Stellen. Insgesamt verlassen rund 18.000 Beschäftigte über die Jahre das Unternehmen. Zudem trennte sich die Bank von einigen Geschäftsfeldern, die künftig nicht mehr zu ihrem Kerngeschäft gehören werden, darunter ist der Aktienhandel. Und sie erlegte sich im Juli 2019 das größte Restrukturierungsprogramm auf, das die Bank in den vergangenen 20 Jahren gesehen hat, damit sie endlich wieder aus dem Krisenmodus herauskommt. Um nach fünf Jahren mit Verlusten vielleicht irgendwann wieder eine schwarze Null zu schreiben. Wann es allerdings soweit sein soll, da will sich Sewing bisher nicht festlegen. Auch auf Nachfrage nicht.
Jedenfalls fühlt er sich und seine Bank aktuell glänzend für die Zukunft aufgestellt, so sagt er selbst. Es gebe jetzt „eine hervorragende Basis dafür, unser Geschäft auszubauen.“ Und die Kernbank, also jene Geschäftsbereiche, die weitergeführt werden, sei nicht nur profitabel – also wenn man die hohen Umbaukosten und andere außergewöhnliche Ausgaben abziehe – sondern auch profitabler als noch 2018. Was angesichts des schwachen Geschäfts des Vorjahres allerdings kein besonderer Grund zum Feiern ist. Zudem würde es erst recht zu denken geben, wenn sich die milliardenschweren Umbaukosten nicht irgendwie positiv bemerkbar machen würden. Dann stünde nämlich die gesamte Sewing’sche Strategie in Frage. Sind die Geschäftsergebnisse 2019 nun aber wirklich ein Grund zur Freude?
Ertragslage bleibt kritisch
Zählte man, wie oft er in seiner Rede bei der Präsentation des Geschäftsergebnisses 2019 Worte einstreute wie „zuversichtlich“, „konsequent“, „gesteigert“ oder „Wachstum“, könnte man denken, die Deutsche Bank sei plötzlich ein Hoffnungswert. Vielleicht sogar ein dynamisches Wachstumsunternehmen wie Amazon oder Apple. Oder sie spiele sogar in der Liga von internationalen Großbanken mit, wie JP Morgan oder Citigroup – in die sie schließlich einmal strebte. Und wenn nicht dort, dann doch zumindest ganz oben in der europäischen Top 10. Tatsächlich aber ist all das nicht der Fall. Im internationalen Vergleich ist Deutschlands letzte verbliebene Großbank weit abgesackt. Sogar in Europa rangiert sie nur noch abgeschlagen auf Platz 19 was die Marktkapitalisierung betrifft. Bei der Bilanzsumme belegte sie 2018 immerhin noch Platz fünf.
Und während ihre Konkurrenten in Amerika zweistellige Milliardengewinne einfahren (JP Morgan verbuchte für 2019 gerade erst rekordverdächtige 36 Mrd. Dollar Gewinn), und während selbst europäische Konzerne wie die UBS zumindest bei den Kapitalrenditequoten fast an die US-Konkurrenz heranreichten (dem Gesamtfeld europäischer Banken bescheinigten Analysten zuletzt zumindest eine solide Profitabilität) – ist vom großen Wiederaufstieg und Wachstum der Deutschen Bank bisher noch nicht viel zu sehen. Sondern nur die weiterhin hohen Verluste. Woran es liegt, dass die Konkurrenz so viel besser dasteht, erklärt die Strategieberatung Bain & Company so: Amerikanische Institute seien inzwischen mehr Techkonzerne als Banken. und aus den neuen digitalen Anwendungen machten sie viel Geld. Deutsche Banken dagegen hätten zwar viel Liquidität – aber kein Geschäftsmodell.
Im Detail sieht die Ertragslage des Deutsche-Bank-Konzerns auch wirklich nicht sehr rosig aus: Im Unternehmensgeschäft, also im Firmenkunden-Banking, blieben die Erträge im Vergleich zu 2018 allenfalls stabil. Man muss es als erstes Geschäftsfeld erwähnen und man sollte gerade diese Stagnation auch nicht als Zeichen der Stabilität missdeuten. Denn gerade vom Unternehmensgeschäft versprechen sich viele hiesige Institute überhaupt noch eine Steigerung ihrer Einnahmen. Direkter ausgedrückt: Es ist der einzige Bereich, in dem die Branche hierzulande derzeit überhaupt noch wachsen kann, sagen Unternehmensberatungen.
Wachstum klingt anders
Denn der deutsche Bankenmarkt gilt allgemein als „overbanked“ – also als zu kleinteilig, zu hart umkämpft und zu margenschwach. Deshalb wirft er in vielen anderen Geschäftsbereichen längst keine auskömmlichen Gewinne mehr für alle ab. Ausgerechnet beim Hoffnungsträger Unternehmensbanking ernüchtert daher ein Blick auf die aktuellen Zahlen der Deutschen Bank eher: Die Erträge aus Handelsfinanzierung und Zahlungsverkehr sanken zuletzt. Das Geschäft mit strukturierten Produkten ging zurück. Wachstum klingt anders.
Nun hätten sich aber die Zahlen im Investmentbanking im zweiten Halbjahr stabilisiert, sagt Sewing. Das sei erfreulich. Doch er weiß wohl, was er mit dieser Aussage auslösen könnte, deshalb schiebt er sofort hinterher: „Ich weiß, dass viele von Ihnen jetzt sagen werden: Aha, die Deutsche Bank setzt wieder aufs Investmentbanking!“ So will er es aber nicht verstanden wissen, sondern: Es seien keine zusätzlichen Kräfte in diesen Bereich geflossen, betont er eigens. Es sei nur so, dass einige „negative Effekte auf der Ertragsseite durch den Umbau ausgeblieben“ seien und somit zu diesem Ergebnis geführt hätten. Das klingt in der Tat schon weitaus mehr nach dem, was die Zahlen sagen: Nach Erträgen jedenfalls war auch das Investmentbanking rückläufig, sie nahmen um sieben Prozent ab.
Das Privatkundengeschäft verlor ebenfalls fünf Prozent an Erträgen. Den Grund dafür sieht der Konzernvorstand vor allem darin, dass die Margen im Einlagengeschäft geschrumpft seien. Dagegen seien die Kosten für die Refinanzierung gestiegen. Die Europäische Zentralbank und ihre anhaltenden Niedrig- und Negativzinsen, hat Sewing auch früher schon häufiger eine Mitschuld gegeben, dass sich das Geschäft mit den Privatsparern zunehmend weniger rechne: „Wir sind besonders getroffen von der Zinssituation, das ist klar“, sagt er auch an diesem Tag.
Deutsche Bank will „Kunden begeistern“
Nichtsdestotrotz schaffen es andere europäische und deutsche Banken dennoch, in dieser Lage Gewinne zu schreiben – vor allem die Genossenschaften und Sparkassen zeigten sich hier zuletzt recht profitabel. Die Deutsche Bank will hier die Flucht nach vorn antreten: Sie will über mehr Menge die verlorengegangene Marge wieder hereinholen. Sie hat mehr Kredite vergeben, besonders bei den Immobilienfinanzierungen in Deutschland legte sie zu. Inwiefern das nachhaltiges Wachstum verspricht, angesichts vieler Warnungen, der Immobilienboom könne demnächst an seinen Zenith geraten, muss man abwarten.
Und sie hat die Preise im Privatkundengeschäft erhöht und die Kontoführung teurer gemacht. Das wird sie in der kommenden Zeit nicht allzu oft als Ertragsmodell wiederholen können. Sonst kommen ihr sicher etliche Kunden auch ganz schnell abhanden. Etwas kurios wirkt an dieser Stelle, dass sich Sewings Mannschaft für die Zukunft vor allem eines auf die Fahnen geschrieben hat: „Kunden begeistern“, steht auf einem Flipchart als primäres Ziel. Inwiefern die höheren Preise dazu beitragen, sei mal dahin gestellt.
Und dann ist da noch die Fondsgesellschaft DWS: Sie ist tatsächlich der einzige Bereich, in dem der Konzern wirklich zulegte. Um rund sieben Prozent stiegen hier die Erträge, von rund 2,2 auf 2,3 Mrd. Euro. Diese Zahl hat manchen Marktbeobachter überrascht: Noch vor einem Jahr litt der Vermögensverwalter unter Mittelabflüssen und meldete einen Gewinneinbruch. Als Deutsche Bank und Commerzbank ihre mögliche Fusion durchdeklinierten, wurde sogar über einen Verkauf der DWS spekuliert. Die Fondsgesellschaft hatte schließlich mit genug eigenen Baustellen zu kämpfen. Zum Glück, so muss man sagen, wurde daraus nichts. Denn heute zeigt sich, was die DWS damals war und heute wieder ist: Ein verlässlicher Ertragsbringer für die Deutsche Bank. Sie verbuchte beachtliche Nettomittelzuflüsse.
Boni trotz hoher Verluste
Allerdings muss man auch hier im Hinblick auf die Zukunft einschränken: Denn ein Großteil der Zuflüsse kam von Konten der Deutsche-Bank-Kunden. Und die trieb wohl angesichts der Negativzinsen vor allem die Furcht vor dem Verfall ihrer Spareinlagen in die Fonds der DWS. Gepaart mit dem glänzend laufenden Aktienmarkt 2019, der einen echten Anreiz zum Umschichten gab. Was wird aber sein, wenn die Märkte dieses Jahr nicht zu gleicher Hochform auflaufen, wenn es große Kursausschläge gibt oder sogar eine Marktdelle kommt? Frühere Zeiten haben gezeigt, dass viele Investoren dann nicht die Ruhe besitzen, ihr Geld auch weiter am Aktienmarkt investiert zu lassen. Es könnte daher auch sein, dass die DWS als Gewinnbringer nur so lange trägt, wie die Aktienhausse läuft.
Man kann es also so sehen wie Christian Sewing, der findet, „wir haben alle unsere Ziele erreicht“. Deshalb sei auch gerechtfertigt, dass sich der Vorstand insgesamt Boni in Höhe von 13 Mio. Euro auszahle – trotz der 5 Mrd. Euro Verluste. Das sei immerhin auch nur die Hälfte dessen, was laut Beschlussfassung der Hauptversammlung an Boni möglich gewesen wäre. Man demonstriere also trotz großen Erfolgs bereits Bescheidenheit, so sehen die Vorstände das selbst.
Man kann es aber auch so sehen: Der Umbau bei der Deutschen Bank läuft – aber wirklich zufrieden kann der Vorstandschef eigentlich erst sein, wenn er auf die Frage „wann wird die Deutsche Bank denn endlich wieder in die Gewinnzone zurückkehren?“ antworten kann: Wir haben es geschafft. Bis dahin bleibt aber noch viel zu tun.