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Kommentar Der Weckruf des VW-Chefs

VW-Konzernchef Herbert Diess
VW-Konzernchef Herbert Diess
© SvenSimon | Annegret Hilse / Picture Alliance / Sven Simon
Herbert Diess malt ein düsteres Szenario an die Wand: 30.000 Stellen könnten bei VW wegfallen. Nur eine Drohung? Wohl kaum, denn der Maßstab für Effizienz wird von Tesla gesetzt – und das bald auch vor der Haustür des deutschen Autobauers

Es ist noch gar nicht so lange her, da galten Elektroautos in deutschen Autokonzernen als ein Nischenprodukt, als etwas, das vielleicht einmal interessant werden könnte, aber das nur wenige so richtig ernst nahmen. Zu viel Geld wurde noch mit den angestammten Verbrenner-Modellen verdient, zu gut verkauften sich die Benzin-schluckenden SUVs, die auch in Großstädten zum Inventar gehören. Auch bei Volkswagen, dem Autoriesen, der mit dem Tiguan einen der in Deutschland meistverkauften Geländewagen im Programm hat.

Als es daher vor einigen Jahren um die Frage ging, welche Werke des Konzerns künftig auf Batterie-Fahrzeuge umgerüstet werden sollten, da winkte der damalige Betriebsratschef Bernd Osterloh für den Stammsitz in Wolfsburg ab. Das Werk war ja gut ausgelastet. Stattdessen wurde Zwickau ausgewählt, um dort den ID.3 zu bauen – das erste voll als Elektroauto konzipierte Fahrzeug unter der Marke der VW. Auch das Nachfolgemodell, der ID.4, rollt in Zwickau vom Band.

Diese Entscheidung fällt den Wolfsburgern nun auf die Füße – und sorgt für Aufruhr im Konzern. Denn seit spätestens letztem Jahr und infolge üppiger staatlicher Förderung sind Elektroautos kein Nischen-Ding mehr, sondern werden wirklich gekauft. Reine Stromer hatten im September dieses Jahres bundesweit schon an einen Anteil von über 17 Prozent an allen Neuzulassungen, zusammen mit den Plug-in-Hybriden geht es in Richtung 30 Prozent. Die Nachfrage brummt also. In Wolfsburg hingegen, wo vor allem Golf und Tiguan gefertigt werden, ist immer weniger los. Statt wie einst geplant fast eine Million Autos wurden 2020 im Stammwerk nur noch 500.000 gebaut, und die Tendenz weist eher nach unten.

Daran ist nicht nur der Wandel hin zum Elektroauto schuld, auch Covid-19 und der Chipmangel spielen eine Rolle. Allerdings fehlt Wolfsburg, diesem Giganto-Werk, das oft wie eine eigene Stadt daherkommt, nun eine Alternative. Die Folge: Kurzarbeit. Seit Monaten.

Daniela Cavallo, die Nachfolgerin Osterlohs, hat daher unlängst Alarm geschlagen. Am 12. November beugt sich der Volkswagen-Aufsichtsrat in Wolfsburg über die Investitionsplanung für die kommenden vier Jahre. Für alle, die im Konzern etwas reißen wollen, ist es wichtig, da einen Fuß in die Tür zu bekommen. Als klar gilt bereits, dass die nächste Generation Elektroautos, das groß angekündigte Projekt „Trinity“, in Wolfsburg stattfinden soll. Das aber wäre erst im Jahr 2026. Cavallo aber will nicht so lange warten, bis das Stammwerk wieder ausgelastet ist. Sie würde gerne sehen, dass schon vorher Produktion von Batteriefahrzeugen in das Riesenwerk mit seinen rund 60.000 Beschäftigten verlegt wird – zum Beispiel der geplante ID.5.

Dieser Wunsch führte in einer Aufsichtsratssitzung Ende September zu einem waschechten Eklat. Wie zuerst das „Handelsblatt“ berichtete und aus Teilnehmerkreisen bestätigt wird, ergriff Konzernchef Herbert Diess dabei das Wort und entwarf für die meisten völlig überraschend ein Horrorszenario. Im Vergleich zur Konkurrenz, so der Volkswagen-Chef, sei die Produktion im Stammwerk und andernorts nicht effizient genug, ja bald nicht mehr wettbewerbsfähig. Ein Umbau bei der Kernmarke könne zu einem Abbau von bis zu 30.000 Stellen führen. „Danach hat der Raum geraucht“, sagt jemand, der Einblick in den Verlauf der Sitzung hatte. Mit einer solchen Ansage hatte niemand in Wolfsburg gerechnet.

Tesla zeigt, wie es geht

Natürlich geht es Diess auch darum, Druck aufzubauen und dem Betriebsrat Zugeständnisse abzuringen. Es ist auch nicht das erste Mal, dass der als Kostendrücker von BMW gekommene Österreicher sich mit den Arbeitnehmervertretern angelegt. Im Grunde gehört es in Wolfsburg, wo der Betriebsrat mit dem Land Niedersachsen im Rücken so viel Macht hat wie in keinem anderen deutschen Konzern, schon fast zum guten Ton, dass es immer wieder zu solch massiven Krächen kommt. Ein Konzernchef, der nicht versucht, in dieser außergewöhnlichen Konstellation eine Machtposition aufzubauen, würde wohl kaum ernst genommen.

Allerdings hat Diess ein Argument im Köcher, das in Wolfsburg für gequälte Gesichter sorgt – und das über den üblichen Zwist hinausgeht. Im brandenburgischen Grünheide, nur etwa zweieinhalb Autostunden von Wolfsburg entfernt, hat der Elektroautohersteller Tesla gerade ein Werk errichtet, das den deutschen Autobauern in Sachen Effizienz die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Tesla-Chef Elon Musk will dort, zumindest ist das die großspurige Ankündigung, Autos etwa dreimal so schnell fertigen lassen, wie es VW mit seinen Elektroautos hinbekommt. Von den deutlich aufwändigeren Verbrenner-Modellen ganz zu schweigen. Das ist der Wettbewerb, in dem sich Diess sieht, und Tesla ist der Branchenstreber, mit dem die Wolfsburger zu mehr Reformeifer getrieben werden sollen.

Nun wartet die Autostadt in banger Erwartung auf den 12. November, an dem die Karten für die Investitionen im Konzern neu verteilt werden. Und am Tisch, so scheint es, werden nicht nur Diess und Betriebsratschefin Cavallo sitzen. Mit dabei ist in der deutschen Autoindustrie mittlerweile immer auch Elon Musk.

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