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Kolumne Der vorsichtige Kurswechsel der Siemens AG

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Der neue Siemens-Chef Roland Busch erhöht die Ziele für den Konzern – aber nicht kräftig genug, um die Finanzmärkte zu beeindrucken

Kapitalmarkttag – das war früher bei Siemens die ganz große Stunde von Joe Kaeser. Der frühere Vorstandsvorsitzende liebte den Dialog mit den Finanzexperten noch viel mehr als seine Auftritte vor den Aktionären oder gar der Belegschaft des Konzerns. Sein Nachfolger Roland Busch legte sich am vergangenen Donnerstag bei seinem ersten Kapitalmarkttag ziemlich ins Zeug, um es Kaeser nachzutun. Aber die Reaktionen fielen eher verhalten aus: Die meisten Analysten bekräftigen lediglich ihre Prognosen und die Aktie bewegte sich kaum – jedenfalls nicht nach oben.

Schon vor dem Kapitalmarkttag meldete das „Handelsblatt“ die Entscheidung des neuen Chefs, die Ziele für den Konzern hochzusetzen. So stieg die Spannung, aber sie wurde eher enttäuscht. Statt vier bis fünf Prozent Wachstum verspricht Busch nun fünf bis sieben Prozent. Und das Margenziel für zwei von insgesamt vier Geschäftsbereichen steigt um jeweils einen Prozentpunkt. Zu wenig, um die Finanzszene in Euphorie zu versetzen. Zumal Busch, anders als Kaeser bei seinem Amtsantritt, auch kein neues Umbau- und Kostensenkungsprogramm lostritt.

Und doch sollte man mit Vorwurf, es fehle dem neuen Mann an Ehrgeiz, lieber etwas vorsichtig sein. Siemens will sich unter Busch von einem reinen Industriekonzern in ein Unternehmen verwandeln, das künftig immer größere Teile seines Umsatzes mit Dienstleistungen für die Kunden verdient. „Software as a Service“ lautet die Zauberformel, die auf Sicht von zwei, drei Jahren deutlich höhere Margen verspricht als heute. Aber der Umbau gilt als sehr komplex – vielleicht sogar als zu komplex für die spezifische Siemens-Ingenieur-Kultur.

Busch geht bei Siemens behutsam vor

Eigentlich könnte man erwarten, dass der Konzern seine kurzfristigen Ziele eher zurücknimmt, um seine langfristigen Ziele zu erreichen. Aber darauf verzichtet Busch aus gutem Grund. Bei Siemens haben sich die Finanzmärkte in den letzten Jahren daran gewöhnt, dass die Margen praktisch permanent steigen. Kaeser erreichte das mit einem Trick: Der Konzern trennte sich immer wieder von weniger profitablen Bereichen und erhöhte so unterm Strich seine Durchschnittsrendite. Busch lehnt diesen Weg ausdrücklich ab: Der Konzern soll die Umstellung in seiner jetzigen Form schaffen. Und nur so viel investieren, wie der normale Geschäftsverlauf hergibt.

Als warnendes Beispiel gilt SAP. Der Softwarekonzern verkündete im Oktober 2020 heftige Zusatzinvestitionen in das sogenannte Cloud-Geschäft und vorübergehend sinkende Gewinne – und schickte seine Aktie damit auf eine steile Talfahrt. Erst allmählich berappelt sie sich wieder.

Siemens setzt dagegen offensichtlich auf einen vorsichtigen Kurswechsel. Das entspricht dem Naturell des neuen Chefs, der hohe Risiken auch sonst scheut und im Zweifel lieber etwas mehr Zeit einplant für Veränderungen. Nach innen befriedet Busch damit einen Konzern, der zuletzt unter Kaeser zerrissen erschien. Aber ob die Finanzmärkte auch die Geduld aufbringen, Roland Busch zu folgen, wird sich im nächsten oder spätestens im übernächsten Jahr entscheiden.

Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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