Siemens-Chef Roland Busch verkündete in der vorigen Woche Quartalszahlen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Im Bereich Digital Industries, der eigentlich als wichtigstes Zukunftsfeld gilt, fielen die Auftragseingänge um sechs Prozent, der Umsatz um 18 Prozent, die Gewinnmarge um fast acht Prozentpunkte und der freie Mittelzufluss sogar um 20 Prozent. Setzt sich diese verheerende Entwicklung im neuen Geschäftsjahr fort, das bei Siemens traditionell am 1. Oktober begonnen hat, dann rutscht der Gesamtkonzern in große Probleme. Genau entgegengesetzt das Bild bei Smart Infrastructure: ein Plus von 14 Prozent bei den Aufträgen, von neun Prozent beim Umsatz, von 2,6 Prozentpunkten bei der Gewinnmarge und von sechs Prozent beim Cashflow. Setzt sich dieser Trend vor, dann wird die Sparte von Vorstandsmitglied Matthias Rebellius zum neuen Aushängeschild des Konzerns.
Wer hätte diesen Favoritenwechsel vor einigen Jahren erwartet? Lange Zeit galt die Sparte, die ganze Städte elektrifiziert und Datencenter in aller Welt baut, eher als ungeliebtes Kind im Konzern. Erst 2011 hatte Siemens mehrere Kompetenzfelder zu einem neuen Bereich zusammengelegt – unter der Ägide eines Vorstandschefs, der inzwischen weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis der Siemensianer getilgt worden ist: Peter Löscher. Sein Nachfolger Joe Kaeser, dessen Erbe den Konzern immer noch prägt, kümmerte sich zunächst kaum um seine Fortentwicklung. Nun kann der heutige CEO Busch froh sein, dass es den Bereich gibt.
Rebellius gilt inzwischen als so wichtiger Mann im Konzern, dass sein Vertrag noch einmal um ein Jahr verlängert wird bis September 2026. Danach will der studierte Elektrotechniker seine operative Karriere beenden und als Aufsichtsrat weiter wirken – obwohl er eigentlich nach den Siemens-Regeln noch einige Jahre weiter machen könnte. Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe überschüttete Rebellius in der vergangenen Woche geradezu mit Lob: Der 59-Jährige habe eine „starke Säule“ im Konzern geschaffen und führe sie mit „ruhiger Hand“, „Leidenschaft“ und „viel Erfahrung“. Die Entwicklung des Bereichs sei „außergewöhnlich gut“. So spricht man eigentlich über Leute, mit denen man noch viel vorhat.
Nicht immer erklimmt der Kronprinz den Thron
Ruhig geworden ist es dagegen um Cedrik Neike, den Chef von Digital Industries. Der 51-Jährige galt bis vor kurzem als quasi gesetzt, wenn es um die Nachfolge von CEO Busch geht. Ob das so bleibt, hängt von der Entwicklung seiner Sparte ab. In der Geschichte von Siemens gab es immer wieder Kronprinzen, die den Thron dann doch nicht erklimmen konnten. Buschs Vertrag läuft bis 2030 – und sechs Jahre sind eine elend lange Zeit in einem Konzern, der sich in den nächsten Jahren weiter radikal verändern dürfte.
Der Favoritenwechsel unter den Sparten zeigt, dass selbst ein so planungswütiger Konzern wie Siemens die Zukunft nicht wirklich planen kann. Busch hat in der vergangenen Woche die Parole in die Welt gesetzt, der Konzern müsse sich in eine „One Tech Company“ verwandeln. Wobei man „one“ gerne mit Großbruchstaben schreiben soll, wenn es nach Busch geht. Was das aber genau heißt, bleibt offen.