Auf der 68. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die am 17. September begann, legen die führenden Politiker der Welt die Grundlage einer Entwicklungsagenda, die den 2015 auslaufenden Millennium-Entwicklungszielen (MEZ) nachfolgen soll. Diese Ziele nachhaltiger Entwicklung beruhen auf dem Verständnis, dass der Schlüssel für die Verbesserung des menschlichen Wohlergehens und die Sicherung der Rechte der Schwächsten in der wirtschaftlichen Entwicklung liegt. Um aber echte Fortschritte zu erzielen, müssen die Politiker die Entwicklungshindernisse berücksichtigen, insbesondere Gewalt und Konflikte.
Dem Global Peace Index zufolge kostete die Eindämmung von Gewalt – einschließlich interner und externer Konflikte sowie Gewaltverbrechen und Morde – die Welt im letzten Jahr fast 9500 Mrd. Dollar oder elf Prozent des globalen BIP. Das ist das 75-fache der offiziellen Überseeentwicklungshilfe von 2012 in Höhe von 125,6 Milliarden USD und fast das Doppelte des Wertes der jährlichen landwirtschaftlichen Produktion weltweit. (Ein weiterer Vergleich: Die weltweite Finanzkrise nach 2008 verursachte einen Rückgang des globalen BIP von 0,6 Prozent.)
Wenn die Welt also ihre Kosten zur Eindämmung der Gewalt um etwa 50 Prozent senken würde, könnten damit sowohl die gesamten Schulden der Entwicklungsländer (4100 Mrd. Dollar) zurückgezahlt, als auch genug Geld für den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (900 Mrd. Dollar) bereitgestellt und der zum Erreichen der MEZ zusätzlich erforderliche Betrag von 60 Milliarden USD aufgebracht werden.
Riesiges Potential
Eine Verringerung der durch Gewalt verursachten Kosten um nur zehn Prozent würde 473 Mrd. Dollar sparen und so das Produktionswachstum um zusätzliche 473 Mrd. Dollar erhöhen – Geld, das in die Infrastruktur, das Gesundheitswesen und die Ausbildungssysteme gesteckt werden könnte. Diese Zahlen sind konservativ und beinhalten noch nicht die Kosten von Eigentumskriminalität, Einbruch, Autodiebstahl, häusliche Gewalt, Überwachungstechnik, Einkommenseinbußen und Produktivitätsverlust, da dazu noch keine präzisen Daten verfügbar sind.
Ebenso wie langfristige wirtschaftliche Entwicklung auf politische Stabilität angewiesen ist, kann Frieden nur in einem Umfeld wirtschaftlichen Fortschritts und Wohlstands erreicht werden. Externe Schocks wie plötzliche Preisschwankungen für Nahrungsmittel können die Spannungen innerhalb menschlicher Gemeinschaften steigern – insbesondere in solchen ohne adäquate soziale Sicherheitssysteme – und sogar zu Konflikten führen. Dies geschah in den 1990er Jahren in Kolumbien, wo ein unerwarteter Verfall der Kaffeepreise zu niedrigeren Löhnen und zur Intensivierung von Konflikten in Kaffee produzierenden Regionen führte.
Der Frieden wird auch durch anhaltende oder steigende Arbeitslosigkeit unterminiert, da diese zur Ausbreitung von kriminellen Netzwerken, Banden oder Rebellengruppen führt. Tatsächlich nennen im Weltentwicklungsbericht der Weltbank von 2011 junge Menschen in Konfliktländern Arbeitslosigkeit und Müßiggang als Hauptgründe für ihren Beitritt zu solchen Organisationen. Angesichts dessen müssen die Regierungen ihre Bemühungen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Verbesserung von Einstellungsmöglichkeiten – sowie zur Finanzierung entsprechender Maßnahmen und Programme – verstärken.
Dazu könnten sie damit beginnen, die Effizienz von Ausgaben gegen Gewalt zu verbessern. In den Vereinigten Staaten beispielsweise fanden Forscher des Instituts für Wirtschaft und Frieden heraus, dass dort mehr als jeder siebte Dollars zur Verhinderung von Gewalt oder zur Abmilderung von Gewaltfolgen aufgewendet wird – im Jahr 2010 insgesamt beinahe 2200 Mrd. Dollar und erschütternde 37 Prozent des Jahreshaushalts. Anders ausgedrückt: Die gewaltbezogenen Kosten in den USA sind beinahe so hoch wie die gesamte Leistung der britischen Wirtschaft (2400 Mrd. Dollar). Ebenso wie sich die aktuellen Gesundheitsdebatte um die Senkung von Kosten bei gleichzeitiger Verbesserung der Ergebnisse dreht, sollte auch eine öffentliche Diskussion über die Kosten und Effizienz von Gewaltvorbeugung und Resozialisierungsprogrammen ins Leben gerufen werden.
Kreislauf von Wohlstand zu Frieden
Nach sorgfältiger Analyse könnten Regierungen zusätzliche Mittel für Entwicklungszwecke aufbringen und damit die Produktivität steigern, die menschliche Lebensqualität verbessern und die Grundlage für eine friedliche Gesellschaft legen. Beispielsweise könnte durch eine jährliche Reduzierung der US-Staatsausgaben gegen Gewalt um nur fünf Prozent das gesamte Schulsystem des Landes saniert werden.
Dieser positive Kreislauf von Wohlstand zu Frieden, der wiederum größeren Wohlstand bringt, ist auch in Investitionen für Ausbildungszwecke sichtbar. Bessere Ausbildung führt zur Verbesserung der Fähigkeiten, des Wissens und des Verhaltens von Arbeitnehmern und damit zu höherer Produktivität. Daraus entsteht Stabilität und sozialer Zusammenhalt, was wiederum stärkere Widerstandskraft gegenüber wirtschaftlichen, geopolitischen und natürlichen Katastrophen zur Folge hat. Ein Beispiel dafür sind die friedlichen und wohlhabenden skandinavischen Länder, deren Ausbildungsqualität sehr hoch ist.
Aber der Kreislauf kann auch abwärts führen. In Griechenland beispielsweise hat der jüngste wirtschaftliche Niedergang, der durch strenge Sparmaßnahmen ausgelöst wurde, zu gewalttätigen Demonstrationen geführt. Und im Irak hatten die andauernden Konflikte einen verheerenden Einfluss auf die Wirtschaft. Vor drei Jahrzehnten, nach dem Ausbruch des Krieges gegen den Iran, fiel das jährliche Pro-Kopf-BIP des Irak von 5374 Dollar im Jahr 1980 auf 1253 Dollar 1991.
Umkehr ist schwierig
Der Teufelskreis von wirtschaftlichem Niedergang und Konflikten lässt sich leicht fortsetzen – tatsächlich ist dazu nur das Nichtstun der Politiker erforderlich. Den Kreislauf umzukehren ist hingegen ein schwieriges Unterfangen – es erfordert sorgfältig gestaltete Maßnahmen, effektive Programme und beträchtliche Investitionen.
Bei der Gestaltung der Entwicklungsagenda über das Jahr 2015 hinaus müssen die Politiker der Welt erkennen, welchen enormen Effekt harmonische und weniger gewalttätige Gesellschaften auf die wirtschaftliche Entwicklung haben. Indem sie einen positiven Kreislauf von Frieden und Wohlstand fördern, können sie zur Lebensqualität der Menschen in aller Welt entscheidend beitragen. Das ist wirklich ein Ziel, das wir anstreben sollten.
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff
© Project Syndicate, 2013 www.project-syndicate.org