Jan-Egbert Sturm leitet die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (Foto). Alexander Rathke ist dort Senior Researcher. Die KOF ist das renommierteste Schweizer Konjunkturforschungsinstitut. In Deutschland ist sie gemeinsam mit dem ifo Institut an der Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute beteiligt
Die Aufhebung des Franken-Mindestkurses gegenüber dem Euro am Mitte Januar hat die Welt stark überrascht. Obwohl schon bei der Einführung des Mindestkurses am Anfang September 2011 klar war, dass die Untergrenze eine zeitlich begrenzte Maßnahme darstellen wird, waren doch viele Beobachter davon ausgegangen, dass die Untergrenze so lange bestehen würde, wie die Inflation in der Schweiz auf tiefem Niveau verbliebe und der Euroraum nicht aus der Krise käme. Zentral für die Zukunft der Schweizer Volkswirtschaft wird sein, auf welchem Niveau sich der Wert des Frankens in den nächsten Wochen und Monaten einpendelt.
Seit Dezember hat sich der Druck wegen der in Aussicht stehenden Lockerung der Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank (EZB) und der Verunsicherung im Vorfeld der Wahlen in Griechenland und der Rubelkrise verstärkt. Die EZB hat am 22. Januar auch ein lang erwartetes und umfassendes Anleihenkaufprogramm von März 2015 bis September 2016 angekündigt. Innerhalb eines Jahres hat der Euro nach mehreren Lockerungsschritten handelsgewichtet um zehn Prozent an Wert verloren. Diese Entwicklungen trugen sicherlich zur Entscheidung der Nationalbank bei, den Mindestkurs aufzuheben und über Negativzinsen die Zinsdifferenz zum Euroraum wieder zu erhöhen. Kurzfristig führte dies zu einer fast 20-prozentigen Aufwertung des Frankens.
Außergewöhnlicher Aufwertungsschock
Zwar hat der Franken über Jahrzehnte hinweg gegenüber einem Korb von 41 Währungen von Handelspartnern stetig nominell aufgewertet. Gleichzeitig war aber auch die Inflationsrate in der Schweiz meistens tiefer als jene in den Partnerländern. Somit blieb der real effektive Wert – abgesehen von den Krisenperioden in den 1970er-Jahren und nach der Finanz- und Wirtschaftskrise – trotz Schwankungen über längere Zeiträume hinweg recht stabil.
Während internationaler Krisenzeiten, die gleichzeitig auch Kapitalfluchtzeiten sind, legt der Schweizer Franken inflationsbereinigt beinahe traditionell deutlich an Wert zu. Derzeit befinden wir uns wiederum in so einer Phase: Nach dem Schock der Aufgabe der Untergrenze liegt der reale Wert des Frankens so hoch wie nie zuvor. So haben wir es mit einem auch für die Schweiz außergewöhnlichen Aufwertungsschock zu tun.
Der Franken ist beim augenblicklichen Wert von etwa einem Franken je Euro aus kaufkraftparitätischer Sicht klar überbewertet und mittel- und bis längerfristig müsste eine Abwertung möglich sein. Dies kann aber wegen der EZB-Politik und der „Safe Haven“-Eigenschaft des Frankens noch einige Zeit dauern.
Rezession im Sommer ist wahrscheinlich
Die Frage ist, wie sich eine andauernde Frankenstärke auf die Schweizer Wirtschaft auswirken wird. Eine KOF-Umfrage zeigt, dass der Effekt von „Wechselkursschocks“ stark von der Branchenzugehörigkeit abhängt. So hat wenig überraschend die Tourismusbranche deutlich an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Die export-orientierten Industrieunternehmen sind ebenfalls stark betroffen und erwarten deutliche Umsatzrückgänge. Derartige Auswirkungen sind weitaus geringer im Baugewerbe.
Auch wenn viele Unternehmen den negativen Effekt abdämpfen können, indem sie Vorleistungen importieren, wird die Schweizer Wirtschaft gemäß unserer jüngsten Institutsprognose vom 28. Januar in diesem Sommerhalbjahr eine Rezession durchmachen, wenn der Wechselkurs weiterhin nahe der Parität verbleibt. Der Wechselkursschock wird kurzfristig vor allem die Exporte stark belasten. Wir erwarten jedoch, dass diese dann dank eines günstigeren internationalen Umfelds von einem tieferen Niveau aus langsam wieder wachsen werden. Die eingetrübten Aussichten sorgen allerdings dafür, dass die Investitionen deutlich geringer ausfallen werden, als noch vor kurzem gedacht.
Durch den Kaufkraftgewinn wird sich der Konsum anfänglich zwar halten, doch unter den zunehmend stagnierenden Einkommen und die verschlechterte Arbeitsmarktbedingungen leiden im Laufe der Zeit auch die Ausgaben der privaten Haushalte. Die Gewinn- und Einkommensrückgänge drücken schließlich auch auf die öffentlichen Finanzen. Insgesamt dürften deutlich weniger Arbeitsplätze neu geschaffen werden als in den letzten Jahren; in den export-orientierten Sektoren werden Stellen abgebaut werden müssen. Die Arbeitslosenquote dürfte 2016 auf fast fünf Prozent steigen, eine für die Schweiz im historischen Vergleich sehr hohe Rate.
Nach einer dreieinhalbjährigen „Ruhephase“ unter dem Schirm des Mindestkurses, in der sie die vorherige starke Aufwertungsphase zu verdauen hatten, muss sich die Schweizer Wirtschaft jetzt wieder, möglicherweise heftigen, Wechselkursschwankungen stellen. Bleibt der Franken so stark, stellt dies viele Firmen vor große Herausforderungen. Sie werden sich nochmals einer Rosskur unterziehen und sich den neuen Bedingungen anpassen müssen. Die Frage lautet letztlich: Wie schnell gelingt ihnen das?