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Bernd Ziesemer Der Fluch des Gemischtwarenladens Thyssenkrupp

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Der Essener Konzern sortiert sich mal wieder neu. Erst mal löst das kein einziges der vielen großen Probleme bei Thyssenkrupp

Besser als mit diesem Namen kann man den Zeitgeist nicht bedienen: „Decarbon“ nennt Thyssenkrupp eine neue Sparte, die im Oktober an den Start gehen soll. Der Konzern „bündelt seine grüne Kraft“, titelte das „Handelsblatt“ letzten Freitag schon einmal in vorauseilender Bewunderung. Doch in Wahrheit entsteht mal wieder, wie so oft bei Thyssenkrupp, eine Art Mini-Konglomerat, dessen Teile nicht so recht zusammenpassen und kaum Synergien abliefern dürften. Unter dem Dach des neuen Bereichs versammeln sich der Großanlagenbauer Uhde, der Hersteller von Zementwerken Polysius, ein Zulieferer für Windkrafträder und eine Wasserstoff-Tochter. Das Management so heterogener Geschäftsfelder bleibt also auch in der neuen Sparte komplex, um es vorsichtig zu sagen. Und dass der neue Thyssenkrupp-Chef Miguel Lopez selbst die Leitung der neuen Sparte übernimmt, wird die Führungsprobleme eher potenzieren als sie zu reduzieren.

Eine neue Sparte entsteht und deshalb müssen zwei alte Sparten gehen. Der Konzern löst die Bereiche Industrial Solutions und Multi Tracks wieder auf, die erst unter der Vorgängerin des jetzigen Chefs zusammengewürfelt worden waren. Der eine Bereich sollte, wie es damals hieß, Synergien im Anlagenbau heben. Der andere den schnellen Verkauf von Einheiten vorantreiben, die künftig keinen Platz mehr im Konzern haben sollten. Jetzt kriechen die immer noch nicht verkauften Konzernteile vorläufig im Automobilsektor unter.

Alte Probleme werden durch neue ersetzt

Das alles kann man sinnvoll finden oder auch nicht: Die großen Probleme des Konzerns löst die Neuordnung auf jeden Fall nicht. Und das kann man Lopez nicht einmal vorwerfen. Er hat eine Misere übernommen, für die es möglicherweise gar keine Rettung mehr gibt.

Erst einmal schafft die neue Organisation wieder einmal Unruhe und Ablenkung im Management. Die neue Sortierung der Sparten gehört seit nunmehr anderthalb Jahrzehnten zum Alltag eines Konzerns, der sich vom Gemischtwarenladen zu einem schlanken Spezialanbieter mausern möchte, dabei aber immer wieder nur alte Probleme durch neue Probleme ersetzt. Man könnte es als Fluch bezeichnen, der bisher noch jeden Vorstandschef erwischt hat. Wer will ernsthaft behaupten, der Konzerne stehe heute besser dar als zu den Zeiten, als noch die hoch profitable Aufzugssparte für Hoffnungen sorgte? Ihr Verkauf sollte die notwendigen Mittel für den Umbau von Thyssenkrupp in die Kassen schwemmen. Inzwischen ist das Geld weitgehend weg, ohne dass man von neuer Schlagkraft reden könnte.

In Wahrheit hängt das Überleben des Konzerns nach wie vor und noch immer an der Frage, ob sich eine Lösung für die allein nicht überlebensfähige Stahltochter findet oder nicht. Auch der neue Chef Lopez hält an dem Plan fest, sie irgendwie aus der Bilanz zu bekommen. Nur wie das passieren soll, weiß niemand. Immer mal wieder taucht in den Medien der Namen eines wirklichen oder vielleicht auch nur angeblichen Käufers auf. Doch warum sollte jetzt klappen, was bisher gescheitert ist?   

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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