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Bernd Ziesemer Der neue Subventionswettlauf beim Stahl

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Thyssenkrupp freut sich über die Freigabe von staatlichen Milliardenbeihilfen. Ob sie sich wirklich auszahlen, kann noch niemand sagen

2 Mrd. Euro für Thyssenkrupp, 1 Mrd. Euro für die Salzgitter AG, 850 Mio. Euro für Arcelor-Mittal. Die EU-Kommission hat in der vergangenen Woche die letzten Weichen für ein riesiges Programm zur ökologischen Wende in der Stahlproduktion gestellt. Und man kann getrost davon ausgehen, dass sie mit der Genehmigung der Hilfen in Deutschland und Frankreich eine weitere Runde im globalen Subventionswettlauf für „grünen Stahl“ auslöst. Wer am Ende als Sieger aus dem Rennen hervorgeht, kann heute noch niemand sagen.

Bei Thyssenkrupp soll die neue Anlage für die Direktreduktion von Eisenerz 2026 fertig sein, aber zunächst allein mit Erdgas arbeiten. Erst ab 2029 fließt Wasserstoff in großen Mengen – und der Ausstoß von Kohlendioxid sinkt massiv. Aber kann man dann wirklich von grünem Stahl sprechen? Das hängt von mehreren Faktoren ab – vor allem von der Frage, ob der Wasserstoff tatsächlich mit Sonne, Wind oder Wasser produziert wird. Bisher fehlt eine klare Definition des Worts „grüner Stahl“ – und alle Hersteller vermeiden klare Ansagen, wie es um ihre eigenen Produkte wirklich steht.

Der größte deutsche Stahlhändler Klöckner & Co unterscheidet zwischen vier Kategorien von grünem Stahl. Bis 2025 sollen über 30 Prozent Klöckner-Produkte bereits aus den zwei nachhaltigsten Segmenten stammen. Schon jetzt wird damit deutlich: Die Nachfrage nach dem allergrünsten Grünstahl dürfte am Anfang die höchsten Preise erzielen. Und wer zu spät kommt, wie wahrscheinlich Thyssenkrupp, den bestraft das Leben.

Ob sich die Milliardeninvestitionen auch betriebswirtschaftlich rechnen, entscheidet sich im globalen Wettbewerb. Grüner Stahl konkurriert weltweit auch weiterhin mit traditionellem Stahl. Und seine Produzenten brauchen deutlich höhere Absatzpreise, um die höheren Kosten wieder einzufahren und profitabel zu arbeiten. Bei manchen Kategorien von grünem Stahl könnte es gelingen, tatsächlich einen merklichen Aufschlag durchzusetzen. Aber gerade die unteren Kategorien mit nur leicht gesenktem CO2-Fußabdruck könnten es im Wettbewerb schwer haben. Bevor die Anlagen überhaupt stehen, ruft die Branche deshalb schon nach einem „Schutz“ ihrer nationalen Märkte.

Hält Thyssenkrupp bis 2029 durch?

Wenn alle in die gleiche Richtung laufen, wie es die europäischen Stahlkonzerne gegenwärtig wieder einmal tun, gewinnt am Ende der Kräftigste und Schnellste. Thyssenkrupp gehört nicht zu ihnen. Und der Konzern sollte aus seiner bitteren Vergangenheit beim Bau von Stahlwerken in Brasilien und den USA gelernt haben, dass sich die Fertigstellung komplizierter technischer Anlagen nicht unbedingt nach den vorgegebenen Planungen richtet. Für die Aktionäre gibt es deshalb vorläufig noch keinen Grund zum Jubeln. Auf die Nachricht von der Genehmigung der Milliarden-Beihilfen reagierte die Aktie deshalb auch keineswegs positiv. Und in der Branche fragt man sich, ob der Essener Konzern überhaupt bis 2029 durchhält.

Das größte Risiko gehen, wieder einmal, die Steuerzahler ein. Sie geben am Ende das Geld für ein Abenteuer mit relativ bescheidenen Erfolgsaussichten aus. Das Triumphgeschrei der NRW-Regierung über die „größte Hilfe in der Geschichte des Landes“ wirkt vor diesem Hintergrund merkwürdig deplatziert.

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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