Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen.
Griechenland braucht Geld. Aber es will auch den Euro behalten. Da liegt die Lösung doch nahe: Athen druckt sich eine neue Währung, bleibt aber gleichzeitig im Euro. Unter dem wissenschaftlich vornehm klingenden Stichwort „Parallelwährung“ macht dieser Vorschlag heute wieder die Runde, genau wie vor drei Jahren, als es in Athen schon einmal Spitz auf Knopf stand. Was ist davon zu halten? Kurze Antwort: gar nichts.
Die Idee bringt wenig, um es vornehm auszudrücken. Aber indem sie mit vielen Fachworten verbrämt eine Art Lösung vortäuscht, kann sie sogar schaden. Im schlimmsten Fall erhöht die absonderliche Diskussion das Risiko, dass die unerfahrenen Entscheidungsträger in Griechenland unter Zeitdruck letztlich das Falsche tun, nämlich weiter mit Tricks zu arbeiten, statt ihre Politik zu ändern und das Land zu sanieren.
Ganz grundsätzlich: Griechenland hat heute nicht die falsche Währung, es hat die falsche Politik. Weder der berüchtigte Grexit, also ein griechischer Euro-Austritt, noch eine Parallelwährung oder ein Schuldenschnitt oder sonst ein makroökonomisches Mätzchen würde etwas am grundlegenden Problem ändern: Das Land kann nur dann auf einen grünen Zweig kommen, wenn es eine vernünftige Wirtschaftspolitik betreibt. Sonst droht der Abgrund, ob mit oder ohne Euro, ob mit oder ohne eine Parallel-Drachme.
Mit Sysriza begann der Absturz
Wir erinnern uns: nach vielen Schmerzen und einer tiefen Anpassungskrise, zu der in den Jahren 2011 bis 2013 auch übertriebene Sparauflagen der internationalen Gläubiger beigetragen hatten, konnte Griechenland im Frühjahr 2014 endlich seiner tiefen Rezession entkommen. Im Herbst letzten Jahres standen die Signale auf Grün. In den ersten drei Quartalen 2014 legte die Wirtschaftsleistung auf Jahresrate hochgerechnet um 2,3 Prozent zu, die erschreckend hohe Arbeitslosigkeit ging endlich zurück, die Ausfuhren kamen in Gang mit einem Zuwachs von sieben Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal, der Staatshaushalt war weitgehend saniert.
Wie in Spanien deuteten die üblichen Konjunktur-Frühindikatoren für 2015 ein noch stärkeres Wachstum an. Griechenland konnte im Euro und ohne Abwertung einer nationalen Schwach- oder Parallelwährung zu Wachstum und Wohlstand zurückkehren unter der Maßgabe, dass die Regierung eine vernünftige Wirtschaftspolitik betrieb, wie das 2014 der Fall war.
Mit dem Griff der Linksradikalen von Syriza nach der Macht begann im Dezember 2014 der Absturz. Mittlerweile hat die links- und rechtsradikale Chaoskoalition, die sich aus den griechischen Ausgaben von Linkspartei und AfD zusammensetzt und Ende Januar mit logisch unmöglichen Wahlversprechen die Regierung übernommen hat, das arg gebeutelte Land in die Rezession zurückgeschubst. Dagegen erfreut sich Spanien eines immer robuster werdenden Wachstums.
Währung ohne Vertrauen ist nichts wert
Geld ist nichts anderes als geronnenes Vertrauen. Die Menschen halten und nutzen die bunt bedruckten Papierschnipsel oder deren elektronisches Abbild, weil sie darauf vertrauen, dass andere Menschen es künftig als Zahlungsmittel akzeptieren werden. Aber Vertrauen ist genau das, was die griechische Radikal-Koalitionäre so rasch zerstört haben wie kaum eine andere Regierung eines westlichen Landes zuvor. Ein neues Geld, das diese Regierung herausgeben würde, dürfte innerhalb kurzer Zeit den größten Teil seines Wertes verlieren. Jeder würde versuchen, das neue Geld abzustoßen, um stattdessen sicheres Geld zu halten.
Nur wenn sich die Regierung mit ausländischen Gläubigern auf ein sinnvolles Reformprogramm einigt, das von diesen Kreditgebern großzügig unterstützt und penibel überwacht werden muss, kann neues Vertrauen keimen. Dann könnte der Einbruch eines neuen Geldes vermieden oder zumindest nach einiger Zeit wieder rückgängig gemacht werden. Aber wenn sich Athen endlich auf ein solches Programm einließe, bräuchte es gar keine neue Währung. Dann könnte sich die Regierung hinreichend Euro leihen.
Um den Vorschlag einer Parallelwährung zu verstehen, müssen wir kurz darüber nachdenken, was Griechenland bei einem Ausstieg aus dem Euro blüht. Die neue Währung würde kräftig abwerten. Wer sein Einkommen im neuen Schwachgeld bezieht, aber Ausgaben in Euro hat, und wer Verbindlichkeiten in Euro bedienen muss, aber selbst vor allem Vermögenswerte in neuer Drachme hätte, wäre pleite. Inländische Zahlungen sowie Schuld- und Vermögenstitel könnte Athen auf neue Drachme umstellen, Verpflichtungen, die ausländischem Recht unterliegen, dagegen nicht. Griechenland könnte seine Einfuhren nicht mehr bezahlen und seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland nicht mehr bedienen. Kurz gesagt: Der griechische Staat, nahezu das gesamte griechische Bankensystem sowie viele Unternehmen wären schlagartig zahlungsunfähig.
Mit dem Absturz des Wechselkurses der neuen Drachme würde, angestoßen über die rasant steigenden Einfuhrpreise, eine Inflationswelle über das Land rollen. Rentner, Arbeitnehmer, Arbeitslose und all diejenigen, die ihr Vermögen nicht rechtzeitig ins Ausland in Sicherheit gebracht hätten, rutschten noch tiefer in die Armut. Und zwar in einem Ausmaß, die die Schmerzen der bisherigen Krise noch in den Schatten stellt. Angesichts der wahrscheinlichen finanziellen und politischen Turbulenzen bräuchte es lange Zeit, bis die schwache Währung schließlich die Ausfuhren beflügeln würde.
Zwischenstufe auf dem Weg zum Schwachgeld
Ändert eine Parallelwährung, die gleichzeitig mit dem Euro im Lande umläuft, statt den Euro als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel vollständig zu ersetzen, etwas an diesem Katastrophenszenario? Nein. Der Vorschlag einer Parallelwährung sieht vor, dass die griechische Regierung für diejenigen Zahlungen im Inland, für die es keine Euro mehr hätte, handelbare Schuldscheine herausgäbe. Diese Schuldscheine würden mit einem Abschlag gegenüber dem Euro in Güter und Dienstleistungen getauscht. Aber eingeführt in einer absoluten Notlage wären die Schuldscheine schnell nahezu wertlos.
Einem vagen Versprechen der Regierung, diese Schuldscheine dereinst vielleicht in Euro zu tauschen, glaubt wohl kaum jemand. Werden die Schuldscheine zum gesetzlichen Zahlungsmittel, mit dem Bürger auch Steuern bezahlen können, hätte Athen eine schwächliche Parallelwährung, die nicht mehr der Kontrolle der Europäischen Zentralbank unterläge. Damit könnte die EZB auch nicht mehr das griechische Banksystem stützen.
Da es großen Teilen der Bevölkerung und Wirtschaft unmöglich wäre, Steuern in Euro zu bezahlen, fielen - gemessen in Euro – auch die Steuereinnahmen der Regierung ins Bodenlose, verstärkt noch durch die allgemeinen Turbulenzen einer sich verschärfender Rezession. Nach kurzer Zeit könnte die Regierung kaum noch eine Zahlung in Euro leisten. Die Parallelwährung wäre nichts anderes als der zu Recht gefürchtete Grexit. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass rein formal die faktische Fremdwährung Euro gesetzliches Zahlungsmittel bliebe.
Eine „Parallelwährung“ wäre für Griechenland bestenfalls ein Wort für eine turbulente Zwischenstufe auf dem Weg zum neuen Schwachgeld. Aber keine Lösung.
Für Athen führt kein Weg daran vorbei. Um wieder auf einen grünen Zweig zu kommen, muss die Regierung sich von den radikalpopulistischen Ideen verabschieden, die bereits das langjährige Paradies der Linkspopulisten namens Venezuela in den Abgrund geführt haben. Wenn Athen sich wieder zu einer vernünftigen Wirtschaftspolitik bekennt und entsprechende Reformen nachprüfbar umsetzt, werden die internationalen Gläubiger das arg gebeutelte Land gerne großzügig unterstützen. Dann braucht es keinen Grexit, ob mit oder ohne Zwischenstufe einer Parallelwährung.