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Kolumne Die Tsipras-Rezession

Der Kurs von Regierungschef Tsipras führt Griechenland in die Katastrophe: Rezession und Staatspleite. Von Holger Schmieding
Griechenlands Regierungschef Tsipras bei einem Besuch in Brüssel (Foto: European Union)
Griechenlands Regierungschef Tsipras bei einem Besuch in Brüssel (Foto: European Union)
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen.

Armes Griechenland. Selten hat eine neue Regierung in so kurzer Zeit einen so großen Schaden angerichtet wie die radikal-nationale Populistenschar, die dort vor sieben Wochen an die Macht gekommen ist. Obwohl die Athener links-rechts Koalition bereits von einem Teil ihrer unmöglichen Wahlversprechen abgerückt ist, steht Griechenland am Rande einer Katastrophe: Während dem Staat langsam das Geld ausgeht, fällt die Wirtschaft zurück in die Rezession.

Noch vor knapp vier Monaten war Griechenland auf dem richtigen Weg. Nahezu alle Daten wiesen in die gewünschte Richtung. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2014 hatte die Wirtschaft die tiefe Anpassungskrise hinter sich gelassen und um insgesamt 1,7 Prozent zugelegt. Auf das Jahr hochgerechnet entsprach das einem Wachstum von 2,3 Prozent, deutlich über dem deutschen Tempo zur gleichen Zeit. Die erschreckend hohe Arbeitslosigkeit ging endlich zurück, die Beschäftigung lag im Herbst 2014 um 1,6 Prozent höher als im Jahr zuvor, die Reallöhne überschritten ihr Vorjahresniveau sogar um 2,8 Prozent. Getrieben vor allem durch die Schifffahrt und andere Dienstleistungen legten die Ausfuhren real um sieben Prozent zu. Der Staatshaushalt wies - bereinigt um Zinszahlungen - einen Überschuss von etwa ein Prozent der Wirtschaftsleistung auf.

Nach einer langen und tiefen Rezession, zu der die öffentlichen Gläubiger mit ihrem übertriebenen Beharren auf immer neuen Einschnitten im Staatshaushalt beitrugen, hatte Griechenland im Jahr 2014 endlich den Tiefpunkt des Tals der Tränen durchschritten. Es fand sogar wieder Zugang zum Kapitalmarkt mit der Platzierung einer fünfjährigen Anleihe.

Alle Wirtschafts- und Finanzdaten deuteten darauf hin, dass Griechenland bald dem Vorbild Spaniens, Portugals und Irlands folgen und wieder auf eigenen Füssen stehen könnte. Nach dem Stand von November 2014 hätte es ausgereicht, Griechenland Anfang 2015 nach dem Abschluss des aktuellen Hilfsprogramms lediglich durch eine vorsorgliche Kreditlinie abzusichern, ohne neue öffentliche Hilfskredite auszahlen zu müssen.

Die Wirtschaft schrumpft wieder

Dann kamen die Populisten. Anfang Dezember sah sich die bis dahin recht erfolgreiche Regierung von Antonis Samaras gezwungen, die anstehenden Präsidentschaftswahlen vorzuziehen. Da die Populisten von links und rechts sich weigerten, einem Kandidaten zur notwendigen 60 Prozent Mehrheit im Parlament zu verhelfen, musste das Parlament aufgelöst und neu gewählt werden. Mit den völlig unbezahlbaren Versprechen, Steuern zu senken, viele unpopuläre Einschnitte der Vorjahre im Staatshaushalt zurückzunehmen sowie die unbequemen Reformen am Arbeitsmarkt und im öffentlichen Dienst zurückzudrehen, gewann das „Bündnis der radikalen Linken“ (Syriza) die Wahl, um sofort mit üblen Nationalpopulisten eine absonderliche Koalition zu bilden. Auf deutsche Verhältnisse übertragen entspräche das etwa einem Bündnis zwischen einer von Sahra Wagenknecht geführten Linkspartei und Alexander Gaulands pro-Putin Flügel der AfD.

Der Schaden ist immens. Seit dem Aufkommen des politischen Risikos bröckeln die Zahlen. Als Folge eines schwachen Dezembers ist die Wirtschaft in Griechenland im vierten Quartal 2014 bereits wieder leicht geschrumpft, um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Der Einbruch des Geschäftsklimas in den letzten drei Monaten deutet auf einen weiteren Rückgang Anfang 2015 hin. Griechenland steckt offenbar in einer Tsipras-Rezession.

Aus Angst vor einem möglichen Austritt aus dem Euro haben viele Griechen ihr Geld von der Bank abgehoben, die Bankeinlagen sind um gut 20 Mrd. Euro geschrumpft. Das griechische Bankensystem wird nur noch durch kurzfristige Notliquidität der Europäischen Zentralbank am Leben gehalten. An neue Kredite, die viele griechische Kleinbetriebe und vor allem Unternehmensgründer dringend brauchen, ist da kaum zu denken. Stattdessen könnte dem Land eine neue Pleitewelle bevorstehen.

Griechenlands explodierende Fehlbeträge im Target2-Verrechnungssystem der Euro-Zentralbanken weisen auf eine Kapitalflucht von insgesamt mindestens 50 Mrd. Euro seit Anfang Dezember hin. Das entspricht fast 30 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des kleinen Landes. Die wenig wirtschaftsfreundliche Radikalrhetorik der neuen Regierung sowie die schiere Angst vor der Zukunft lasten auf den Investitionen.

Steuereinnahmen brechen ein

Gleichzeitig verschlechtert sich die Finanzlage des Staates. Da die Linkspopulisten im Wahlkampf versprochen haben, einige besonders unpopuläre Steuern zu senken oder sogar abzuschaffen und kleine Steuersünder künftig milde zu behandeln, sind die Steuereinnahmen bereits im Januar um 18 Prozent gegenüber Vorjahr eingebrochen. Bei schwächerer Konjunktur dürfte es in den kommenden Monaten weitere Fehlbeträge geben.

Mit unbezahlbaren Wahlversprechen und absonderlichen Kapriolen danach hat die neue griechische Regierung ihre offiziellen Kreditgeber massiv verärgert und viel Vertrauen zerstört. Gleichzeitig braucht die Regierung Tsipras als Folge der von ihr ausgelösten Rezession und der massiven Kapitalflucht wesentlich mehr Hilfe, als ursprünglich vorgesehen war.

Offiziell hat Athen mit der unausweichlichen Kehrtwende bereits begonnen. Am 20. Februar hat der griechische Finanzminister Varoufakis in Brüssel unterschrieben, dass seine Regierung allen Verpflichtungen aus den beiden bisherigen Reformprogrammen nachkommen werde. Aber bisher bleiben die Vorschläge aus Athen für solche Reformen weit hinter dem notwendigen Mindestmaß zurück. Noch schlimmer ist, dass Athen weiterhin darauf beharrt, am Arbeitsmarkt einige wichtige Reformen zurückzudrehen.

Griechenlands Regierung will nicht aus dem Euro aussteigen. Damit liegt sie völlig richtig. Auch 70 bis 80 Prozent der Griechen möchten Umfragen zufolge im Euro bleiben. Ein Euro-Ausstieg könnte das Land in eine noch tiefere Krise stürzen. Die Banken wären fast alle pleite, neben dem Staat müssten auch viele Unternehmen, die außerhalb Griechenlands Verbindlichkeiten in Euro haben, sofort Konkurs anmelden. Sollte Griechenland den Euroraum verlassen, könnte es zu einer Art Venezuela verkommen, nur ohne Öl. Venezuela ist das Beispiel, wohin Populismus auf Dauer führt. Einer der Vorzüge des Euro ist ja gerade, dass schwache Mitglieder sich einer gemeinschaftlichen Kontrolle unterwerfen müssen und somit im Euro keinen Spielraum für radikal-populistische Politik haben. Außerhalb des Euro wäre die Gefahr groß, dass Tsipras und sein rechtsradikaler Koalitionspartner ihre populistischen Neigungen ungehemmt ausleben und so das Land nach venezolanischem Vorbild völlig ruinieren könnten.

Tsipras ist ein abschreckendes Beispiel für andere Populisten

Heute leidet Athen unter einem schweren Realitätsschock. Premierminister Tsipras muss langsam lernen, dass die Welt nicht so funktioniert, wie ein charismatischer Populist à la Wagenknecht/Lafontaine sich das so vorstellt. Die eigenen Wähler zu täuschen, ist ihm im Wahlkampf gelungen. Sich von Europa die Rechnung bezahlen zu lassen, gelingt ihm nicht. Ich erwarte, dass Tsipras Schritt für Schritt und unter manchen Turbulenzen in der Wirklichkeit ankommt und Griechenland letztlich auf den international überwachten Reformkurs zurückführt, den bereits die Vorgängerregierung eingeschlagen hat. Aber das Risiko, dass seine Regierung daran zerbrechen könnte, ist erheblich. Insgesamt sehe ich ein Risiko von 25 Prozent, dass Tsipras sich letztlich der Wirklichkeit verweigert und Griechenland doch aus der Gemeinschaftswährung herausfällt. Es wäre wirklich schade.

Sollte Tsipras auf den Reformpfad zurückfinden, wird Europa Griechenland weiter stützen, auch wenn dies im Sommer ein drittes Hilfsprogramm erfordern dürfte, dass Griechenland und Europa sich ohne den Aufstieg der Populisten hätten sparen können.

Zum Glück ist die Gefahr gering, dass Turbulenzen im kleinen Griechenland (zwei Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone) auf den gesamten Euroraum übergreifen könnten. Mit ihren Anleihekäufen verhindert die Europäische Zentralbank eine ansonsten denkbare Kettenreaktion auf den Rentenmärkten. Da Banken außerhalb Griechenlands kaum noch griechische Werte halten, ist eine europäische Bankenkrise unwahrscheinlich. Und schließlich hat Europa mit der Bankenunion und dem Hilfsfonds ESM für den Notfall einige wirksame Instrumente in der Hand, um Ansteckungsgefahren schnell zu begegnen. Die Tsipras-Rezession ist eine Tragödie für Griechenland aber keine echte Gefahr für Europa.

Aus europäischer Sicht können wir dem griechischen Trauerspiel vielleicht sogar Trost abgewinnen. Tsipras’ Bruchlandung zeigt, welchen Schaden Populisten anrichten können. Ob Athens charismatischer Premierminister jetzt eine Kehrtwende zu einer vernünftigen Politik hinlegt oder ob er sein Land doch aus dem Euro krachen lässt, er wird anderen Populisten in Europa kaum als Vorbild dienen können. Auch in Deutschland kann sich jeder Wähler, der mit unseren eigenen Links- oder Rechtspopulisten liebäugelt, mit einem Blick auf den griechischen Absturz darüber informieren, welche Schäden solche Populisten mit ihren irrsinnigen Versprechen anrichten könnten, wenn sie jemals an die Schalthebel der Macht im Lande kommen würden.

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