Wer zu spät kommt, orakelte einst Michail Gorbatschow, den bestraft das Leben. In der Industrie aber gilt auch das genaue Gegenteil, wie man in den letzten Jahren bei dem bayerischen Autohersteller BMW beobachten konnte: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben auch. Es geht um das Thema Elektromobilität: 2013 brachte der Konzern den BMW i3 auf den Markt, als die Hauptkonkurrenten Mercedes und Audi noch nichts Vergleichbares zu bieten hatten. Eine neue Sub-Marke, eine neue Konstruktion, eine neue Fahrgastzelle aus Kohlenstofffasern, neue Materialien auf Sitzen und Türen, ein Auto aus einer ganz neuen Fabrik: BMW verwandelte sich in relativ kurzer Zeit in den Elektropionier der deutschen Autoindustrie.
Doch heute, sechs Jahre später, steht fest: BMW konnte das damalige Momentum nicht halten. Auf der Hauptversammlung in der letzten Woche musste sich Vorstandschef Harald Krüger die harsche Kritik seiner Aktionäre an der lauen E-Auto-Strategie seines Konzerns anhören und viele böse Seitenhiebe wegstecken, in denen der Name des größten Herausforderers Tesla vorkam.
Wie konnte das passieren? Bis heute rächen sich bei BMW die Fehler aus der Entwicklungsphase des i3. Der Konzern wollte zu viel gleichzeitig und erreichte deshalb am Ende zu wenig. Der neue Werkstoff Kohlenstofffaser erwies sich als eine teure technologische Sackgasse. Die ersten Modelle kamen mit einer lächerlichen Batteriereichweite auf den Markt, die im Winter kaum für die beliebte Strecke von München zum Tegernsee und wieder zurück langte. Man enttäuschte die ersten Käufer statt sie zu den ersten Stammkunden der E-Ära zu machen. Der i3 und sein teurer Bruder i8 kamen nie aus der kleinen Nische heraus, in die sie BMW positioniert hatte. Viele Neuentwicklungen erwiesen sich als nicht kompatibel mit der normalen Modellpalette des Konzerns, die in den nächsten Jahren nun ganz elektrifiziert werden soll. Und an den Konkurrenten Tesla kamen (und kommen) die Münchner nicht heran.
Mercedes ist BMW enteilt
Natürlich leidet BMW heute keineswegs nur unter der fehlerhaften E-Strategie. Der Konzern schwächelt auch auf anderen Gebieten. Nichts deutet daraufhin, dass BMW in absehbarer Zeit wieder zum allerwichtigsten deutschen Wettbewerber aufschließen könnte: Mercedes. Die Stuttgarter bieten inzwischen billigere, besser designte und auch technisch innovativere Einsteigermodelle an als die Münchner. Und in der Oberklasse, mit der man am meisten Geld verdient, kommt BMW ohnehin nicht an Mercedes vorbei. Nicht einmal die Schwäche des anderen wichtigen Konkurrenten Audi konnte der Konzern nutzen. Auf allen Gebieten bekommt man den Eindruck: Irgendwie geht den Münchnern die Puste aus, es herrscht eine Müdigkeit auf vielen Ebenen.
Die Aktionäre laden die Schuld dafür vor allem bei BMW-Chef Krüger ab. Doch die Probleme reichen viel weiter zurück. Viele falsche Entscheidungen gehen auf das Konto seines Vorgängers Norbert Reithofer, der jetzt als Aufsichtsratschef als der eigentlich starke Mann im Konzern gilt und offenbar nach wie vor das volle Vertrauen der Geschwister Quandt genießt, die als Großaktionäre das Wohl und Wehe des Konzerns bestimmen. Was über lange Strecken als Garant für die Stabilität des Konzerns galt, erweist sich jedoch mittlerweile als Hemmschuh. Wie viele andere deutsche Konzerne bracht auch BMW dringend mehr Impulse von außen.