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Kolumne Dieselskandal: das lange Pokerspiel der VW-Spitze

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Erst mauerten die Manager, jetzt streben sie auch in Deutschland einen Vergleich mit ihren betrogenen Dieselkunden an. Es geht um viel Geld, aber vor allem auch um den guten Ruf. Bernd Ziesemer über den unendlichen Dieselskandal

Der Dieselskandal bei VW geht in sein fünftes Jahr – und noch immer kann man kein Ende absehen. Seit der Konzern am 18. September 2015 zum ersten Mal weltweit wegen illegaler Motorsoftware in die Schlagzeilen geriet, gab es so gut wie keinen Monat ohne eine neue Windung und Wendung in der Affäre. Zahlreiche Spitzenmanager kamen und gingen, aber der Dieselskandal blieb. Und kostete den Wolfsburger Konzern bis heute, wenn man alle indirekten Kosten einrechnet, wohl eher 40 Milliarden Euro als die offiziell kolportierten 30.

Immer wieder musste der Konzern seine offizielle Verteidigungsstrategie im Lauf der letzten Jahre korrigieren. Erst wollte man zum Beispiel den Vorstand unbedingt aus der Schusslinie halten, dann musste man schwer belastete Topmanager wie Audi-Chef Rupert Stadler fallenlassen. Jetzt vollführt VW die nächste unerwartete Wende und nimmt Verhandlungen über einen Vergleich mit den 400.000 Kunden auf , die auf Schadenersatz fordern. Noch vor kurzem war aus Wolfsburg dagegen nur zu hören, es gebe keinen Grund für eine gütliche Regelung in Deutschland, obwohl sich amerikanische VW-Kunden schon vor längerem über eine großzügige Abfindung auf ihren Konten freuen konnten.

Spielen die Mehrheitseigentümer auf Zeit

Warum dauert das alles so lange bei VW? Sicherlich braucht die Aufarbeitung eines so großen Skandals ihre Zeit. Es gilt sehr viele juristische Fragen zu bedenken. Und auch die Managementkapazität reicht nicht aus, alles auf einmal zu erledigen. Trotzdem kann man sich des Gefühls nicht entledigen, dass hinter der schleichenden Bewältigung des Dieselskandals Kalkül steckt.

Die VW-Mehrheitseigentümer des Porsche-Piëch-Clans glauben offenbar, dass die Zeit in mehrfacher Hinsicht für sie spielt: Erstens könnte so gerade ihre eigene Mitverantwortung für das ganze Desaster allmählich in Vergessenheit geraten; zweitens könnte irgendwann das Interesse der Öffentlichkeit erlahmen; und drittens fallen möglicherweise sogar niedrigere Kosten an als bei einer schnellen und konsequenten Lösung vor zwei Jahren – allein schon deshalb, weil viele Ansprüche weltweit und durchaus nicht nur in Deutschland verjähren.

Der Konzern erodiert von oben

Normalerweise bemühen sich Vorstände und Aufsichtsräte, einen Skandal in ihrem Unternehmen möglichst schnell aus der Welt zu schaffen, um sich wieder ganz ihrer normalen Arbeit zu widmen. Selbst wenn es ein ganzes Stück teurer wird, setzt man gewöhnlich in Großkonzernen auf Schnelligkeit. Die VW-Eigentümer und ihre angestellten Manager spielen dagegen im Dieselskandal ein langes, langes Pokerspiel. Und vielleicht gewinnen sie es sogar: Die VW-Aktie hat sich im Verlauf des letzten Jahres um fast ein Drittel erholt, die Absatzzahlen erweisen sich als erstaunlich robust, die Gewinne laufen nicht schlecht und das Image der Konzernmarken leidet kaum unter den vielen Negativmeldungen im Zuge des Dieselskandals.

Doch man sollte der Zweckpropaganda aus Wolfsburg nicht auf den Leim gehen: Natürlich lasten die Milliardensummen, die VW immer noch und immer weiter im Zuge des Dieselskandals ausgeben muss, in Wahrheit doch schwer auf dem Konzern. Und natürlich leidet die ganze Kultur des Unternehmens. Die Folgen stellen sich nicht kurz-, sondern erst langfristig ein: Bei vielen neuen Modellen (besonders bei Audi) sieht man, wie buchstäblich überall auf Gedeih und Verderb gespart wird. Der Konzern erodiert von oben – aus dem gehobenen Modellsegment. Nur der Konzernmarke Porsche ist es gelungen, sich bisher einigermaßen aus dem Trend nach unten herauszuhalten. Man verbindet sie auch am wenigsten mit dem Skandal – ob zu Recht oder zu Unrecht, darüber kann man allerdings streiten.

Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de . Hier können Sie ihm auf Twitter folgen .

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