Es ging um unvorstellbare Summen. Allein in Deutschland sollen dem Fiskus mit Cum-Ex-Geschäften rund 30 Mrd. Euro entgangen sein. In Europa und den USA waren es alles in allem wohl bis zu 150 Mrd. Euro. Ein hübsches Sümmchen. Was hätten wir nicht alles mit dem Geld anstellen können: 10.000 Kindergärten oder Schulen für das notorisch darbende Bildungssystem. Kostenloser öffentlicher Nahverkehr für die nächsten zehn Jahre. Dutzende neue Hubschrauber für die Bundeswehr.
Ach, das Geld, es fehlt. Wo es jetzt steckt, lässt sich nur erahnen. Auf den Konten, in den Villen und Firmen jener Superreichen, die sich findige Berater wie Hanno Berger leisten konnten und wollten, die ihre Steuern so weit optimierten, bis sie nicht nur nichts mehr zahlten, sondern der Staat ihnen noch etwas obendrauf legte. Denn darum ging es bei den berüchtigten Cum-Ex-Geschäften: Die Beteiligten ließen sich Steuern erstatten, die sie gar nicht gezahlt hatten. Ein schwindelerregendes Spiel, bei dem Aktien vor und nach dem Dividendenstichtag kurzfristig die Besitzer wechselten, und der Fiskus den Durchblick verlor, wem wann was gehörte und wem er Steuer erstatten müsste.
Nun ist das Mastermind hinter der Betrugsbande verurteilt worden. Acht Jahre muss der Anwalt und einstige hessische Steuerprüfer Berger in Haft, weil er der Warburg-Bank geholfen hat, 278 Millionen Steuern zu hinterziehen. Schwere Steuerhinterziehung fängt in Deutschland ab 50.000 Euro an. Rein rechnerisch hat Berger mehr als 5000-mal eine schwere Straftat begangen. 15 Jahre wären dafür möglich gewesen. Den Straferlass hat er bekommen, weil er 72 Jahre alt ist, sein Ruf ruiniert und wohl kein Risiko besteht, dass er es wieder tut. Zudem muss Berger dem Fiskus 13,7 Mio. Euro zurückzahlen, Geld, das er selbst mit Cum-Geschäften verdient hat. Und das er wohl gut versteckt hat. Denn zurückzuzahlen kann er es angeblich nicht, sagt er.
Von Reue keine Spur
Das Urteil ist eine Erleichterung. Denn Berger blieb bis zum Schluss stur und uneinsichtig. Ein Geständnis misslang, von Reue acht Monate lang keine Spur. Jahrelange hatte er sich in der Schweiz verschanzt, hinter dicken Akten und dem Argument: „Es war alles legal.“ Sie hätten eine Lücke in den Steuergesetzen ausgenutzt und sich mit den Cum-Ex-Transaktionen nicht strafbar gemacht. Es war eine bequeme Position für alle Beteiligten. Börsenhändler, Banker, Anwälte und schwerreiche Privatkunden. Sie alle wussten, was sie taten. Den Fiskus, uns, schröpfen: Mit dem Bonner Urteil ist die Sache nun klar entschieden. Die Tricks, und um nichts anderes handelt es sich dabei, mögen den Buchstaben der Gesetze nicht widersprechen, doch die Legalität ist eine Frage der Auslegung. Wenn die Auslegung eines Gesetzes zu einem sinnwidrigen Resultat führt, kann sie nicht richtig sein.
Zu Fall kommt mit diesem Urteil auch ein seltsames Staatsverständnis, verbreitet in manch liberalen Kreisen, in denen Berger sich zu Hause fühlte. So sagte der Cum-Ex-Meister einst im Interview, dass es ja der Staat ist, „der mit den Steuern den Bürgern etwas wegnimmt“. Da wird die Steuerhinterziehung quasi zum Grundrecht des hart arbeitenden Bürgers, der sein Privateigentum vor dem Zugriff des unersättlichen Staates schützen will. Und die Banker und Anwälte üben eine noble Pflicht aus, wenn sie diesen rechtschaffenen Bürgern helfen, das letzte Quäntchen rauszuholen. Es ist diese unersättliche Gier und das fehlende Unrechtbewusstsein, die einen Keil in die Gesellschaft treiben.
Sechs Urteile sind nun in dem Skandal gesprochen. Bundesweit führen verschiedene Staatsanwaltschaften insgesamt mehr als 120 Cum-Ex-Verfahren mit mehr als 1600 Beschuldigten. Allein bei der Deutschen Bank gibt es fast 80 Beschuldigte, bis hinauf zum ehemaligen Co-Chef Jürgen Fitschen und Ex-Vorstand Garth Ritchie. Doch auch im Jahr elf nach Unterbindung der Cum-Ex-Geschäfte lassen sich Angeklagte an wenigen Händen abzählen. Wirklich Konsequenzen hatte die „bandenmäßige Steuerhinterziehung“ für so gut wie keinen Banker, Finanzaufseher, Börsenhändler, Wirtschaftsprüfer. Auch nicht für die Finanzminister Steinbrück, Schäuble und Scholz, die es allesamt lange Zeit versäumt hatten, die Schlupflöcher zu schließen.
Dass die Cum-Ex-Aufklärung nun an Tempo gewinnt, ist nur eine vage Hoffnung. Allzu viele kehren das Thema lieber unter den Teppich. Und so könnte es sein, dass der Fall Berger die Bande da draußen nicht bändigt.