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Bürokratieentlastung Brorhilker warnt vor Gesetz: „Die Täter werden die Schredder anschmeißen“

Anne Brorhilker
Nach dem Jurastudium in Bochum ging Anne Brorhilker 2002 zur Staatsanwaltschaft Köln, wo sie 2009 in den Bereich Steuer- und Wirtschaftskriminalität wechselte. 2013 rollte sie – zuerst ziemlich allein – den Cum-ex-Skandal auf
© Alexandra Polina
Die Bundesregierung will Unternehmen und Bürgern erlauben, Steuer- und Buchungsbelege bald schneller wegzuwerfen. Davon könnten vor allem Steuerhinterzieher profitieren – und die Aufklärung von illegalen Cum-cum-Geschäften erschwert werden, warnt Ex-Staatsanwältin Anne Brorhilker

Mit einem neuen Gesetz, das kommende Woche im Bundestag verabschiedet werden soll, will die Bundesregierung die Wirtschaft von Bürokratie entlasten. Eine der zentralen Maßnahmen im Gesetzesentwurf des Bürokratieentlastungsgesetzes: Die Aufbewahrungsfrist für Steuer- und Buchungsbelege soll von zehn Jahren auf acht Jahre verkürzt werden. Das soll Papierberge vermeiden, Archivierungskosten sparen und die Wirtschaft um geschätzt rund 626 Mio. Euro pro Jahr entlasten.

Weniger erfreulich könnte der geplante Bürokratieabbau für Finanzbeamte, Steuerfahnder und Staatsanwälte sein. Denn das Gesetz könnte die Aufklärung von Steuerhinterziehung erschweren oder gar verhindern, fürchtet die Lobbyorganisation Finanzwende. Buchungsbelege und Rechnungen gelten zum Beispiel bei der Ermittlung von Steuerbetrügereien wie Cum-Cum oder Cum-Ex als wichtige Beweismittel. Geht das Gesetz durch, dürften Steuerstraftäter quasi nach acht Jahren legal Beweismittel vernichten, sagt Anne Brorhilker, Co-Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende. „Wenn die Unterlagen weg sind, sind auch die Milliarden aus Cum-Cum und Cum-Ex verloren, weil einfach nicht mehr ermittelt werden kann ohne Beweismittel.“

Währenddessen läuft die Verjährungsfrist für schwere Steuerstraftaten fast doppelt so lang: Erst 2020 wurde die Frist für die Strafverfolgung von zehn auf 15 Jahre angehoben – eine Folge aus den zähen Cum-Ex-Untersuchungen. Die Verlängerung sollte den Ermittlern die nötige Zeit verschafft, um Steuerstraftäter wirksam verfolgen zu können. „Es ist schon absurd, dass Aufbewahrungsfristen und Verjährungsfristen nicht im Gleichlauf sind“, so Brorhilker. „Aber dass jetzt noch die Aufbewahrungsfristen für wichtige Beweismittel verkürzt werden sollen, ist der falsche Weg.“

Gerade im Cum-Cum-Skandal ziehe das schwerwiegende Konsequenzen nach sich, erklärt die ehemalige Oberstaatsanwältin, denn hier stünde die Aufklärung noch ganz am Anfang. „Die Ermittlungen wären faktisch schon gestorben, bevor sie überhaupt richtig angefangen haben.“

Cum-Cum: größerer Schaden als Cum-Ex

Cum-Cum beschreibt im Börsensprech eine Aktie mit Anspruch auf Dividende. Wenn deutsche Aktiengesellschaften Dividenden ausschütten, müssen ihre Investoren aus dem In- und Ausland in Deutschland grundsätzlich Kapitalertragsteuer zahlen. Banken aus Deutschland allerdings können sich diese Steuer anschließend vom Finanzamt zurückholen.

Ausländische Großaktionäre verleihen darum gern ihre Aktien vor dem Dividendenstichtag an eine deutsche Bank und schicken sie in „dividend holidays“, einen Dividenden-Urlaub. Das deutsche Institut kassiert dann am Stichtag die Dividende, zahlt darauf 25 Prozent Kapitalertragsteuer – und lässt sich diese anschließend vom Fiskus zurückerstatten. Kurz nach dem Dividendenstichtag gibt sie dem ausländischen Aktionär die Aktien plus Dividende dann zurück – den Steuergewinn teilen sich die Beteiligten. Lange haben bei diesen Konstrukten auch viele kleine Regionalbanken mitgemischt, darunter Sparkassen und Volksbanken. Schon 2015 urteilte der Bundesfinanzhof, Deutschlands oberstes Finanzgericht, dass solche Cum-Cum-Geschäfte unzulässig sind. Trotzdem konnten die Finanzbehörden bislang nur einen Bruchteil der dadurch hinterzogenen Steuern zurückholen, und die Deals laufen weiter, wie Anne Brorhilker kürzlich im Interview mit Capital bestätigte.

Grafik Cum-cum-Deals
© Capital

Wenn das Gesetz beschlossen würde, sei damit zu rechnen, „dass die Täter die Schredder anschmeißen“, befürchtet Brorhilker. Dann wären weder weitere Ermittlungen möglich noch ließen sich die hinterzogenen Milliarden zurückfordern. Der Steuerschaden aus Cum-Cum-Geschäften wird auf fast 30 Mrd. Euro geschätzt und ist damit dreimal so hoch wie der Schaden aus Cum-Ex-Deals. Diese Steuerausfälle stünden in keinem Verhältnis zur geschätzten Entlastungswirkung, die die Bürokratieabbaumaßnahme verspricht.

Selbst die Bundesregierung rechnet damit, dass verkürzte Aufbewahrungsfristen zu einem Steuerausfall führen, „da ein Hinterziehungstatbestand nach neun beziehungsweise zehn Jahren ohne Buchungsbelege nicht mehr nachgewiesen werden kann“, heißt es im Gesetzesentwurf. Die Höhe des erwarteten Steuerausfalls beziffert sie aber lediglich mit etwa 200 Mio. Euro pro Jahr.

Experten bezweifeln Entlastungswirkung

Wie stark die Wirtschaft überhaupt von verkürzten Aufbewahrungsfristen profitiert, steht auch bei anderen Experten in Frage. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bezweifelt, „ob durch die bloße Verkürzung von Fristen um wenige Jahre wirklich eine spürbare Entlastung für die Unternehmen und Betriebe geschaffen werden kann“. Zwar führe die Änderung zu freiwerdenden Ablage- und Speicherkapazitäten, so der Verband in einer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, sie mindere aber nicht den Aufwand.

Ähnlich sieht es die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DSTG), die die Interessen der deutschen Finanzbeamten vertritt: Angesichts des Digitalisierungsgrades in den Unternehmen halte man die Verkürzung um lediglich zwei Jahre „für wenig zielführend und die Entlastungswirkung für überschätzt“. Die neuen Aufbewahrungsfristen machten es dagegen schwieriger, Steuerhinterziehung aufzudecken. „Es ist nicht hinnehmbar, dass in Zeiten eines Sparhaushaltes hunderte Millionen Euro bewusst verschenkt werden, beziehungsweise auf die Möglichkeit, diese Gelder einzutreiben, bewusst verzichtet wird“, heißt es in einer Stellungnahme der DSTG zum Gesetzesentwurf. 

„Dieses sich so harmlos gestaltende Bürokratieentlastungsgesetz ist wirklich etwas, was nur die Steuerhinterzieher entlastet“, so Brorhilker. „Richtig wäre eigentlich, die steuerlichen Aufbewahrungsfristen und die Verjährungsfristen in eine Linie zu bringen“, fordert Finanzwende-Gründer Gerhard Schick – und damit die Frist eher zu verlängern als zu verkürzen.

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