Es ist das erste Mal, dass sich der Bundesgerichtshof zu Cum-Ex-Geschäften äußert – und zwar deutlich: Die Geschäfte sind strafbar und illegal erwirtschaftete Gewinne können vom Staat wieder eingezogen werden . Der Bundesgerichtshof bestätigte damit am Mittwoch ein Urteil des Bonner Landgerichts aus dem vergangenen Jahr , bei dem zwei Ex-Börsenhändler aus London zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt wurden. Einer von beiden sollte seinen Anteil an den Profiten durch Cum-Ex-Geschäfte zurückzahlen – ganze 14 Mio. Euro. Von der Privatbank M.M. Warburg wurde die Einziehung von 176 Millionen angeordnet. Die Angeklagten gingen in Revision.
Bei Cum-Ex-Geschäften hatten sich Finanzmarktakteure vor allem zwischen 2001 und 2011 durch Aktienhandel rund um den Dividendenstichtag Steuern gleich mehrfach zurückerstatten lassen und so Expertenschätzungen zufolge einen Schaden von insgesamt 10 Mrd. Euro verursacht.
Konrad Duffy hat zwei Jahre in der Abteilung für Geldwäschebekämpfung bei der Deutschen Bank gearbeitet und ist nun Referent für Finanzkriminalität der Bürgerbewegung Finanzwende. Er hält das Urteil für ein wichtiges Signal.
Herr Duffy, der Bundesgerichtshof hat heute bestätigt, dass Cum-Ex Geschäfte strafbar sind und es sich um strafbare Steuerhinterziehung handelt. Wie bewerten Sie das Urteil?
KONRAD DUFFY: Das Urteil ist ein extrem wichtiger Schritt und ein Zeichen, dass der Rechtsstaat die vermasselte Arbeit der Politik der letzten Jahre korrigiert. Es zeigt, dass sich die Täter nicht verstecken können und sie nicht mit der Beute davonkommen. Das Urteil stellt fest: Cum-Ex ist nicht nur illegal, sondern auch kriminell.
Das Gericht hat darüber hinaus festgestellt, dass Gewinne aus Cum-Ex-Geschäften eingezogen werden können, von der M.M. Warburg zum Beispiel ein dreistelliger Millionenbetrag. Wie wichtig ist dieser Teil der Entscheidung?
Das ist sehr wichtig. Die Sprache, die die Täter am besten verstehen, ist, wenn das Geld weg ist und die illegalen Profite wieder eingezogen werden. Hier wurden Steuern geklaut und jetzt ist höchstrichterlich geklärt, dass die gestohlenen Steuern wieder zurück an den Staat fließen. Der Auftrag an die Politik ist nun noch klarer, die Ermittlungsbehörden und Gerichte mit ausreichenden Kapazitäten für die Aufklärung auszustatten. Und alle ermittelnden Parteien sollten die Prozesse auf den Weg bringen, damit alle ausstehenden Gelder zurückgefordert werden können. An alle Gelder zu kommen, ist eine Mammutaufgabe. Aber das Urteil ist Rückenwind für die Ermittler.
Das Urteil ist also der erste Schritt, die Gelder aus den Cum-Ex-Geschäften wieder zurückzubekommen. Was muss darüber hinaus passieren?
Es drohen Verjährungsfristen. Deswegen hat Finanzwende im letzten Jahr eine Kampagne gestartet, um dafür zu sorgen, dass genug Personal da ist, um diese Prozesse vorzubereiten und auf den Weg zu bringen. Wir hatten teilweise schon Erfolg: Die Anzahl der Ermittelnden wurde in NRW deutlich erhöht und es wurde versprochen, dass weitere Stellen besetzt werden. Das muss bei weiterem Bedarf und auch in anderen Bundesländern fortgesetzt werden. Denn nur wenn die Strafverfolgungsbehörden gut ausgestattet sind, können Gesetze durchgesetzt werden und die, die sie brechen, zur Rechenschaft gezogen werden.
In Cum-Ex-Verfahren gibt es mehr als 1000 Beschuldigte und die Behörden haben, wie Sie erwähnt haben, vergleichsweise wenig Personal für die Verfolgung. Wie können sie diese große Menge an Verfahren überhaupt bewältigen?
Bei Cum-Ex war einer der Fehler, dass anfangs nur sehr wenige Ermittler an der Thematik gearbeitet haben. Deswegen hat es nach dem Ermittlungsstart nochmal acht Jahre gedauert, bis es zum ersten strafrechtlichen Prozess vor dem Landgericht Bonn kam. Das hat auch mit der Komplexität der Materie zu tun, aber eben nicht nur. Die Ausweitung der Personalkapazitäten kam aus unserer Sicht viel zu spät. Nun ist sie im Gange. Was wichtig bei einem solch komplizierten Komplex ist, dass Staatsanwälte, Steuerfahnder und Kripo-Beamte zusammenarbeiten. Deswegen haben wir von Anfang an eine Soko Cum-Ex gefordert, die übergreifend über unterschiedliche Behörden zusammenarbeitet. Das beginnt nun ebenfalls und das muss weiter ausgebaut werden, sodass gut qualifiziertes Personal aus unterschiedlichen Behörden miteinander kooperiert, damit diese sehr komplizierten Fälle jetzt vor Gericht kommen.
Ein erstes höchstrichterliches Urteil in Sachen Cum-Ex ist jetzt gefallen. Wo stehen wir insgesamt in der Aufklärung und Strafverfolgung der Cum-Ex-Geschäfte?
Wir befinden uns auf jeden Fall noch am Anfang der juristischen Aufarbeitung von Cum-Ex. Es gibt inzwischen drei Urteile, eine Gefängnisstrafe, zwei Bewährungsstrafen wurden jetzt bestätigt vom BGH. Wir haben also noch einen sehr weiten Weg vor uns. Es gibt rund 90 Verfahrenskomplexe mit über 1000 Beschuldigten. Da kommt noch sehr viel Arbeit auf die Staatsanwaltschaft und alle Ermittelnden zu und das Thema wird uns noch über viele Jahre begleiten. Den Rückenwind von heute gilt es nun also mitzunehmen.
Hanno Berger, einer der Köpfe hinter den Cum-Ex-Geschäften, wurde vor Kurzem in der Schweiz festgenommen, seine Auslieferung nach Deutschland wird damit wahrscheinlicher. Was bedeutet das für die Aufklärung der Cum-Ex-Geschäfte?
Ein Prozess gegen Berger wäre aufgrund seiner wichtigen Rolle bedeutend für die Cum-Ex-Aufklärung. All diese Schritte – die Inhaftierung von Hanno Berger und die Bestätigung des Urteils heute durch den Bundesgerichtshof – sind Zeichen, dass das Gesetz auch vor Anzugträgern nicht Halt macht, dass Finanzkriminalität kein Kavaliersdelikt ist und dass der Rechtsstaat aktiv wird. Das ist vielen unterschiedlichen Akteuren zu verdanken, die hart daran arbeiten, um diesen Komplex aufzuklären. Aber es ist erschreckend, wie lange es dauert, so etwas aufzuklären. Das zeigt, welchen Gegenwind die ermittelnden Personen von der Finanzlobby oder von den Beschuldigten bekommen.
Sie haben die langwierige Aufklärung angesprochen. Warum dauert Aufklärung gerade im Bereich der Finanzkriminalität, speziell bei Cum-Ex, so lange?
Am wichtigsten sind auch hier wieder die Ressourcen für die Strafverfolgungsbehörden. Sie brauchen Kapazitäten, um sich in diese Komplexe einzuarbeiten. Sonst können wir nicht sicherstellen, dass die Gesetze eingehalten werden und im Zweifel Zuwiderhandlung verfolgt wird. Dafür wird natürlich der politische Wille benötigt und daran hat es leider in Deutschland viel zu oft gemangelt. Die Politik muss klar formulieren, dass Finanz- und Wirtschaftskriminalität keine Kavaliersdelikte sind und dass gegen sie genauso hart vorgegangen wird wie gegen andere Delikte. Angesichts der Summen, um die es dabei oft geht, würde sich hier eine strengere Verfolgung auch finanziell lohnen.
Die Ermittlungsbehörden schreiten erst ein, wenn das Delikt schon passiert ist. Wie konnte es überhaupt zu Cum-Ex-Geschäften kommen?
Die Finanzlobby spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie hat Anfang der 2000er-Jahre einen Gesetzesvorschlag eingereicht, der später fast Wort für Wort umgesetzt wurde. Er hat die Cum-Ex-Geschäfte befeuert, statt sie zu beenden. Gleichzeitig hat die Finanzlobby einen Maulwurf im Finanzministerium platziert, der Kritik abgewiesen und mehrmals im Sinn der Lobby agiert hat. Das zeigt, wie wichtig ein legislativer Fußabdruck ist oder ein Lobbyregister, um sich einen Überblick zu verschaffen, welchen Einfluss die Finanzlobby wirklich hat und den dann zurückzudrängen. Später war es auch ein Problem, dass die Aufarbeitung auf politischer Ebene immer weiter weggeschoben wurde. Keiner wollte hier politische Verantwortung übernehmen, das ist auch heute noch ein Problem. Ganz zum Schluss kam die juristische Aufarbeitung, die wirklich Fortschritte macht und dieses ganze Drama hoffentlich zu einem etwas versöhnlichen Ende führt. Die Gründe für Cum-Ex sind also vielschichtig: von den sehr mächtigen Akteuren, die davon profitieren, über eine Politik, die sich vor der Verantwortung weggedrückt hat und Verfahrenslücken nicht schloss, bis zu Behörden, die entweder Hinweise nicht ernst nahmen oder zur Lösung beitragen wollten, aber nicht von Anfang an richtig unterstützt wurden.
Die Verfahrenslücke, die Cum-Ex ermöglicht hat, ist inzwischen geschlossen. Ist damit sichergestellt, dass so etwas nicht nochmal passiert?
Nein, wir können nicht ausschließen, dass Cum-Ex-ähnliche Geschäfte noch immer passieren. Das ist ein gravierendes Problem. Dafür gibt es Lösungsvorschläge, um mit einem leichten Datenabgleich auszuschließen, dass es zu dieser Mehrfach-Erstattung oder zu einer Steuererstattung kommt, auf die man gar kein Anrecht hat. Das wird aber noch immer nicht umgesetzt. Es ist unverständlich, wieso immer noch der politische Wille fehlt, einmal richtig aufzuräumen, um vor die Bürger treten und sagen zu können: „Das passiert so nicht nochmal“. Das kann derzeit noch kein Politiker tun.
Würden Sie also sagen, wir haben aus Cum-Ex nicht genug gelernt?
Absolut nicht. Das sieht man gut an Cum-Cum-Geschäften, wo der geschätzte Schaden sogar über dem der Cum-Ex-Geschäfte liegt. Bei Cum-Cum gibt es praktisch keine politische oder juristische Aufarbeitung. Es ist nirgendwo der Wille zu sehen, das Thema richtig anzugehen. Man hat das Gefühl, jetzt, wo Cum-Ex in der Öffentlichkeit ist und es erste Erfolge für den Rechtsstaat gibt, ruht die Politik sich darauf aus. Dabei ist es genauso wichtig, dass wir uns mit Cum-Cum befassen.
Welchen Effekt erhoffen Sie sich von dem heutigen Urteil?
Ich hoffe, dass Gefängnisstrafen für Beteiligte folgen werden. Denn es geht hier um den größten Steuerraub Deutschlands und bisher ist niemand rechtskräftig zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Das heutige Urteil stärkt die ermittelnde Staatsanwaltschaft, wirklich gegen die Beschuldigten vorzugehen. Deswegen hat es eine wichtige Signalwirkung: Es zeigt einmal, dass sich Finanzkriminalität nicht lohnt. Und es zeigt, dass Finanzkriminalität auch Freiheitsentzug bedeuten kann. Es ist also ein wichtiges Zeichen, gerade ein Jahr nach Wirecard, dass sich in Deutschland etwas im Kampf gegen Finanzkriminalität tut.

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