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Restaurants Gastro-Krise: Alpenknödel in Folie statt Alpenrind vom Teller

Ein Fahrradkurier in Stuttgart. In der Corona-Krise verbuchen Lieferdienste wie Lieferando wegen geschlossener Restaurants steigende Umsätze
Ein Fahrradkurier in Stuttgart. In der Corona-Krise verbuchen Lieferdienste wie Lieferando wegen geschlossener Restaurants steigende Umsätze
© Arnulf Hettrich / IMAGO
Die Gastronomen waren die Ersten, die schließen mussten, und noch ist unklar, wann sie wieder öffnen dürfen. Nach der Reisebranche trifft sie die Krise am härtesten. Das Gastgewerbe fordert Nothilfe und einen Neustart

Wenn Iris Schmied davon hört, dass in Österreich bald Gaststätten und Gartenwirtschaften wieder öffnen, würde sie auch lieber heute als morgen wieder Gäste bewirten. Aber dann sagt sie, die Gesundheit geht vor. „Wir müssen doch alle einsparen jetzt, und wenn wir zu früh öffnen, kann uns das Ganze wieder einholen.“ Die Wirtin stellt sich darauf ein: In ihrem Berliner „Alpenstück“ werden noch eine Weile alpenländische Gerichte außer Haus verkauft und Wiener Saftgulasch im Glas aus den Regalen angeboten. Die stehen jetzt dort, wo sonst Tische eingedeckt sind.

Das Alpenstück war eines der ersten Restaurants in Berlin, die zwei Wochen nach dem Shutdown mit Tagesgerichten „to go“ wenigstens die Köche an der Stange und bei Laune halten. Die kochen nun Suppen, schweißen Maultaschen ein und backen Brot. Das freut die Nachbarschaft und deckt die laufenden Kosten. Iris Schmied war es wichtig, das Personal nach zwei Wochen Schließung nicht zu kündigen, wie das so mancher Kollege panisch getan habe. „Als sich abzeichnete, das dauert Monate, war mir klar, das fällt uns auf die Füße. Mit dem Plan B habe ich die Trübsal blasenden Mitarbeiter wieder eingefangen.“

Das Restaurant ist einer von knapp 20.000 gastronomischen Betrieben in der Hauptstadt, die längst international zum Gourmet-Ziel geworden war. Bundesweit erleben Gaststätten und Hotels einen Totalausfall, seitdem Ausgangsbeschränkungen, Gruppenverbote und soziale Distanz den Umsatz gegen Null drücken. Viele stehen vor dem Aus. Hotelzimmer als Homeoffice-Refugium vermieten, Essenslieferungen nachhause oder zum Abholen – damit lässt sich nur ein Bruchteil des Umsatzes machen. In Speiselokalen machen Getränke oft die Hälfte der Rechnung aus.

Jobmotor und Lieferketten stottern

Stand April droht drei von zehn Unternehmen wegen der Coronakrise der Ruin. Von 223.000 Betrieben des Hotel- und Gastgewerbes haben über 84.000 Kurzarbeit angemeldet: für mehr als eine Million Mitarbeiter im März und April, rechnet Ingrid Hartges vor. Die Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbands Dehoga hat sich umgehört: Gegen Monatsende hatten drei von zehn Betrieben noch für weniger als 20 Tage Liquidität. „Die Branche wird das aus eigener Kraft nicht schaffen“, sagt Hartges. Auch wenn die Beschränkungen allmählich gelockert werden, wird sie 2020 höchstens 30 bis 50 Prozent ihres Umsatzes vom Vorjahr erzielen.

Dabei trifft die Krise die Hotel-, Gaststätten-, Café- und Kneipenwirte – nach der Reisebranche – laut dem Münchner Ifo-Institut am härtesten – und damit einen beachtlichen Wirtschaftsfaktor. Die Branche mag kein Schwergewicht im Bruttosozialprodukt sein, aber wenn der hochtourige Jobmotor stottert, leidet der Arbeitsmarkt gewaltig.

Das Gastgewerbe zählte zuletzt 2,4 Millionen Erwerbstätige, das sind dreimal mehr als feste Angestellte deutscher Autobauer: Inhaber und Familienangehörige, rund 1 Million Minijobber, und 1,1 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, von denen jetzt 95 Prozent in Kurzarbeit sind. In den vergangenen zehn Jahren entstanden 300.000 neue Jobs. Ende April schnellte die Arbeitslosigkeit in der Branche um nie dagewesene 208 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat in die Höhe.

Protestaktion von Gastronomen und Hoteliers vor dem Brandenburger Tor: In Berlin erhielten Kleinunternehmer in der Corona-Krise so schnell Hilfen wie in keinem anderen Bundesland. Die Kehrseite: Auch Subventionsbetrüger profitierten von den Zuschüssen
Mit leeren Stühlen vor dem Brandenburger Tor in Berlin protestieren Gastronomen, Veranstalter und Hoteliers gegen die unzureichenden Corona-Hilfe.
© F Boillot / IMAGO

Mit den Gastronomen kommen auch ganze Wirtschaftskreisläufe aus dem Takt. Getränke- und Lebensmittelhändler, Landwirte, Brauereien, Molkereien – alle fragen nach und sehnen den Neustart herbei. Oft vergessen: die Wäschereien. Textildienstleister erleiden den Totalausfall, wenn sie nicht auch Kunden für die Reinigung von Berufskleidung haben. Auch hier wird von 16 Prozent drohenden Insolvenzen unter den Betrieben berichtet, 49 Prozent mit Liquiditätsnöten und 85 Prozent mit Kurzarbeit.

Der Lebensmittelgroßhandel wirft der Politik vor, die Brisanz der Lieferketten bei Frischware völlig außer Acht zu lassen. Schon beim Lockdown mussten die Großhändler der Gastronomie mangels Abnehmer verderbliche Frischwaren im Volumen eines dreistelligen Millionenbetrags vernichten, heißt es. Das Geschäft laufe über langfristige Kontrakte mit Bauern und der Lebensmittelindustrie. Ohne Planungssicherheit, könnte es ab dem Herbst einen Engpass bei wichtigen Waren, wie beispielsweise Kartoffeln geben. Insgesamt wird erwartet, dass vermutlich alle Großhändler, die die Gastronomie beliefern, in diesem Jahr tiefrote Zahlen schreiben werden, selbst wenn es zügig wieder losgehen sollte.

Staatsfonds soll mit Zuschüssen durch die Talsohle helfen

Fährt die Politik zur Eindämmung der Infektionszahlen auf Sicht, so fordern in der Branche mehr und mehr ein Stück weit Planungssicherheit. Aber erst einmal geht es um das nackte Überleben. Für das Gastgewerbe fordert Dehoga einen Rettungsfonds. Er sollte – wie für Dürreopfer in der Landwirtschaft 2019 und für Flutopfer 2013 – Finanzhilfen auszahlen. „Wir brauchen das schnell, unbürokratisch und gerecht“, sagt Hartge, also für kleine wie für große Betriebe. „Es ist elementar, dass dies noch im Mai geschieht, um die Branche zu stabilisieren. Das hat jetzt oberste Priorität.“

Bei einem Umsatz von 90 Mrd. Euro von Hotellerie, Gaststätten, Event-Caterern, Cafés, Bars und Clubs 2019 hat das Gewerbe in März und April mindestens 10 Mrd. Euro Ausfälle erlitten. „Notleidende Unternehmen brauchen jetzt dringend Hilfe“, betont die Geschäftsführerin. Es dürfe auch nicht bei Einmalzahlungen bleiben. „Das wäre kein kluges Modell.“ Die Zuschüsse müssten abhängig von der Dauer des Shutdowns ausgestaltet werden. „Es kann nicht sein, dass unsere Branche allein gelassen wird in einer Situation, in der Kreditanträge nicht bewilligt werden und Kurzarbeitergeld auf sich warten lässt.“

Davon berichtet auch Iris Schmied vom „Alpenstück“. Vier Wochen ist es her, dass sie für einige Mitarbeiter Kurzarbeit beantragt hat und bewilligt bekam, aber überwiesen ist noch kein Cent. „Ich bin für März und April komplett in Vorleistung gegangen“, sagt sie. Über ihre Hausbank hat sie einen Kredit bekommen, den sie im Herbst wieder reinholen will. Er ist so zinsgünstig wie auch die staatlich verbürgten Angebote der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

Acht von zehn Krediten abgelehnt

Damit hatte sie offenbar Glück. Viele ihrer Kollegen klopften scheinbar vergeblich bei ihren Banken an. Laut Dehoga wurden Anträge von Mitgliedern zu 80 Prozent ablehnend beschieden. Sie mögen Ende 2019 gesunde Unternehmen gewesen sein: Die Banken schauen auf die Zukunft, und im Gegensatz zu anderen Konsumgüterbranchen können Gastronomen und Hotelliers nicht auf Nachholeffekte zählen. Die Tische so eng wie möglich zu stellen, um eine hohe Pacht zu bezahlen, werden Gäste vermutlich auf absehbare Zeit nicht mehr akzeptieren.

In normalen Zeiten machen Miete oder Pacht schon mal 25 Prozent der Einnahmen aus. Wie steht es um eine Minderung, wenn Betriebe aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme geschlossen oder wesentlich eingeschränkt sind? Das ist rechtlich unklar. Seit März mahnt der Gewerbeverband daher eine Gesetzesänderung im Miet- und Pachtrecht an. Ein Anspruch auf Minderung soll im Gesetz verankert werden. „Wir erleben eine große Verweigerungshaltung bei Verpächtern und der Immobilienwirtschaft. Die stehen aber auch in der Pflicht“. Gerade Investmentfonds hätten jahrelang hohe Renditen erzielt. Vertragspartnerschaft heiße aber auch, dass man in dieser beispiellosen Krise zusammenstehe.

Magdeburger Gastronomen machen auf dem Domplatz mit leeren Stühlen und einem Sarg auf ihre Situation aufmerksam.
Magdeburger Gastronomen machen auf dem Domplatz mit leeren Stühlen und einem Sarg auf ihre Situation aufmerksam.
© Christian Schroedter / IMAGO

Politik zunehmend unter Druck

Dass die Gastronomie gerade gegen die Wand fährt, ist in der Politik längst angekommen. Eine als Teil des Corona-Hilfspakets der Bundesregierung verkündete befristete Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie von 19 auf 7 Prozent entlastet diese aber erst, wenn wieder Kunden kommen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier denkt allerdings nach eigenem Bekunden über einen Hilfsfonds für die besonders notleidenden Gewerbe nach, darunter die Gastbetriebe.

Auf Landesebene werden schon Modelle entwickelt, wie etwa in Baden-Württemberg oder Hamburg. Die meisten Bundesländer stellen Gaststätten und Cafés inzwischen auch erste Lockerungen in Aussicht. Einen Einstieg in den Ausstieg vom Shutdown möchte Hamburg um den 18. Mai, Bayern gegen Pfingsten. Mecklenburg-Vorpommern schon ab dem 11. Mai. Voraussichtlich wird das zunächst nur für Terrassen gelten und teilweise zur Selbstbedienung – etwa in Deutschlands 3000 Biergärten. Stets vorausgesetzt, die Infektionszahlen steigen nicht wieder an.

Es macht sich allmählich Verzweiflung und große Unruhe breit. Die Branche fordert eine Öffnungsperspektive. „Die Fragen über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen werden lauter“, heißt es beim Dehoga. Die Branche bereitet sich vor, erstellt Sicherheits- und Hygienekonzepte. „Wir sind die Branche der Gastfreundschaft“, sagt Hartges. Die Gesundheit der Gäste und Mitarbeiter habe oberste Priorität. Öffnet die Politik also erst Gartenwirtschaften und Bewirtung auf Bürgersteigen, wird sie das ausreichend begründen müssen.

Masken sind bestellt

In Österreich dürfen alle Gastronomiebetriebe, drinnen wie draußen, am dem 15. Mai wieder öffnen. Wenn auch mit strengen Sicherheitsauflagen: Mindestabstand in Gruppen von vier Erwachsenen zuzüglich Kinder, Vorabreservierung, die Maskenpflicht entfällt nur am Tisch, auf dem auch keine Gegenstände des gemeinsamen Gebrauchs stehen dürfen ­– Salzstreuer etwa, oder Brotkörbe und Besteck-Steher.

Iris Schmied ist im Nachhinein froh, dass sie im vergangenen Jahr ihr Café mit Bäckerei und eine Manufaktur für Feinkost aufgegeben hat – nach einer Renovierung wären die Mieten unbezahlbar geworden. Die Geräte der Manufaktur kann sie jetzt gut gebrauchen – zum Einschweißen der Maultauschen oder zum Einwecken. Sie bestellt wieder Blumen bei ihrem Händler und überweist monatlich etwas an die Familienwäscherei. Aber auch sie hat bereits eine Ladung Masken bestellt. Sie sollen in diesen Tagen eintreffen.

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