
Angeblich führt die üble Behandlung zum Irrsinn: Wenn Wasser fortlaufend auf die Schädeldecke eines Menschen tropft, sind die schlimmsten Folgen unausweichlich. Man kennt diese Tortur seit alters her als chinesische Wasserfolter. Als Metapher drängt sich der Begriff auf, wenn man die gegenwärtige Zwangslage des deutschen Autoherstellers Audi in China beschreiben möchte.
Im März brach der Absatz der VW-Tochter im Reich der Mitte um fast ein Fünftel ein, obwohl der Markt insgesamt nach wie vor kräftig wächst. Hinter dem Desaster steckt der heftige Streit, den sich Audi mit seinem chinesischen Partner FAW liefert. Weil die Deutschen mit einem anderen Konzern über einen zweiten Vertriebskanal in der Volksrepublik verhandeln, orchestriert FAW über seine Händler einen Boykott gegen Audi. Die chinesischen Autohändler bestellen einfach keine Neuwagen mehr. Gleichzeitig fordern sie Schadenersatz in Höhe von fast 4 Mrd. Euro von der VW-Tochter. Die Fronten im Streit haben sich mittlerweile verhärtet, obwohl der Audi-Vorstand seit Monaten verhandelt.
Natürlich könnte die chinesische Regierung die ganze Auseinandersetzung schnell beenden, wenn sie nur wollte. Sie steuert die gesamte Autoindustrie in China nach wie vor zentralistisch von oben. Aber offensichtlich kommt ihr der ganze Streit durchaus zupass, um einen ausländischen Hersteller mal wieder in die Schranken zu weisen.
Autobauer sind in China der Regierung ausgeliefert
Das Schicksal von Audi ist daher ein Lehrbeispiel für die ganze Industrie. China hat sich in den letzten Jahren für alle Premiumhersteller zum allerwichtigsten Absatzmarkt entwickelt. Nirgends sonst verkaufen Audi, BMW und Mercedes so viele Autos wie zwischen Shanghai und Chongqing. Während sie aber überall auf der Welt selbst über ihre Strategien entscheiden können, müssen sie sich in China an ihre Partner anpassen. Sie haben es ausnahmslos mit chinesischen Staatsbetrieben zu tun, mit denen sie in paritätischen Joint-Ventures verbunden sind. Als Ende der Siebziger Jahre in Peking die Entscheidung des Politbüros fiel, die chinesische Autoindustrie mit der Hilfe westlicher Partner aufzubauen, schrieben die Chinesen diese Praxis ein für allemal fest. Bis heute gibt es keine Ausnahme von der Regel.
Die deutschen Premiumhersteller sind also nicht nur gefährlich von einem Absatzmarkt in der Welt abhängig; sie sind vor allem von einem Markt abhängig, auf dem sie nicht frei und in eigener Regie agieren könnten. Ein Federstrich der Regierung genügt, um die Regeln des ganzen Spiels zu verändern. Das Beispiel Audi zeigt, wie hilflos ein ausländischer Konzern ist, wenn es wirklich in China zur Sache geht.
Ein Ausweg aus dem Dilemma ist nicht erkennbar. Frei nach dem leidgeprüften Vorbild der internationalen Banken könnte man sagen: Die Autohersteller müssen in China so lange tanzen, wie die Musik spielt. Was wirklich passiert, wenn der dortige Absatzmarkt längerfristig einbricht, kann man nur erahnen. Auf jeden Fall sind den chinesischen Autokonzernen die eigenen Marken, die sie in den letzten Jahren aufgebaut haben, strategisch wichtiger als Gemeinschaftsunternehmen mit ausländischen Partnern. Die deutschen Hersteller werden es noch zu spüren bekommen.
Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.
Weitere Kolumnen von Bernd Ziesemer: Das Selbstmitleid der Stahlkonzerne, Der unflotte Dreier der Deutschen Bank, Adidas und Co. kehren Asien den Rücken, Die Utopie der Autohersteller, Audi und die drei Affen, Ende des Selbstbetrugs bei Opel, VW in Zeiten der Lüge und des Krieges, Der Dilettantismus der Aufseher, Der Gutmensch von Thyssenkrupp und Warum VW die Wahrheit nicht wissen will
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