Die chinesische Führung will anscheinend doch wieder mehr auf Pump wirtschaften, um sich aus der Wirtschaftsflaute zu befreien. Laut einer chinesischsprachigen Zusammenfassung der am Dienstag beendeten Zentralen Wirtschaftsarbeitskonferenz steht die „angemessene Intensivierung der proaktiven Finanzpolitik“ (积极的财政政策要适度加力) ganz oben auf der Liste der Maßnahmen, die Peking als notwendig erachtet, um das Wachstum anzukurbeln.
Diese Formulierung fand sich zwar bereits in Berichten zur Wirtschaftsarbeitskonferenz des vergangenen Jahres. Doch damals war die Führung noch selbstbewusst von einer rauschenden Wachstums-Party nach dem Ende der Corona-Maßnahmen ausgegangen – die dann aber ausblieb. In diesem Jahr aber hatte Peking passenderweise gerade erst die Staatsschulden ausgeweitet, als die Tagung zu Ende ging. Das bedeutet, dass die Regierung mehr Geld ausgeben kann, um Arbeitsplätze zu schaffen und das Wachstum anzukurbeln.
Schwerpunkt auf Hochtechnik
Vor allem den Hightech-Sektor will die KP nun fördern. So kündigte der Bericht Steuererleichterungen für „wissenschaftliche und technologische Innovationen“ an. Auch die Industrie soll von Steuersenkungen profitieren. Das Dokument nennt zudem andere Schwerpunkte der Wachstumserwartungen als vor einem Jahr: Statt des privaten Konsums stehen jetzt Technologie-Investitionen an erster Stelle.
Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass die Erkenntnis ganz oben angekommen ist, wie schwer die Wirtschaftsprobleme wiegen. Dennoch findet sich in dem Dokument vom Dienstag ein ständiges Hin- und Her von Formulierungen, die eher für eine aggressivere und eine zurückhaltendere Konjunkturpolitik sprechen. Darin äußern sich vermutlich auch verschiedene Ansichten hinter den Kulissen.
Die jährlich im November oder Dezember stattfindende Wirtschaftsarbeitskonferenz legt die Leitlinien für das kommende Jahr fest. Das mögliche Konjunkturprogramm könnte dem Land zu einer Wachstumsrate von 4,5 bis 5 Prozent im kommenden Jahr verhelfen, so chinesische Wirtschaftsexperten. Es könnte damit also gelingen, das abstürzende Wachstum aufzufangen und zu stabilisieren. Die größten Sorgen bereiteten der hochrangig besetzten Konferenz die verschuldeten Kommunen und der marode Immobiliensektor.
Schuldengrenze wird aufgeweicht
Das mögliche Konjunkturprogramm könnte durch höhere Staatsverschuldung finanziert werden. Denn die nun beschlossene Erhöhung der Ausgaben folgt auf die Ankündigung der Ausgabe neuer Staatsanleihen in Höhe von einer Billion Yuan (rund 130 Milliarden Euro) durch das Finanzministerium im Oktober. Die Regierung steht nach Ansicht von Ökonomen kurz davor, die allgemein anerkannte Sicherheitsgrenze von drei Prozent des Staatsdefizits im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt zu überschreiten – etwas, wovor die Partei bisher zurückgeschreckt hat. Im kommenden Jahr wird das Defizit voraussichtlich bei 3,8 Prozent liegen.
Viele fragten schon länger: Wo bleibt das Konjunkturprogramm, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen? Xi hatte aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte mit einem großen Ausgabenprogramm gezögert. Zuletzt legte China im Jahr 2008 ein großes Konjunkturprogramm auf. Im Zuge der weltweiten Finanzkrise schnürte das Land ein Rettungspaket in Höhe von vier Billionen Yuan (520 Milliarden Euro).
Schlechte Erfahrungen mit übertriebenem Stimulus
Zwar trieben diese Programme seinerzeit das Wachstum in die Höhe. Doch gleichzeitig bildeten sich eine große Immobilienblase und erhebliche Überkapazitäten. Viele Kommunen stürzten in enorme Schulden. Das rächt sich heute, wie die Immobilienkrise zeigt.
Xi scheint die anhaltende Krise des Immobilienmarkts und der Kommunalfinanzen für eine notwendige, schmerzhafte Anpassung zu halten. Er ist daher für eine Politik der ruhigen Hand, die vor übertriebenen Programmen zurückschreckt. Auch wenn 2024 wieder mehr Geld fließt, dann auf jeden Fall nicht so exzessiv wie in den späten 2000er-Jahren.
Xi Jinping hielt zentrale Rede
Die Zentrale Wirtschaftsarbeitskonferenz der Kommunistischen Partei vereint das Top-Personal der Partei. Vorsitzender ist Xi Jinping selbst, der die Rede hielt, aus der die Staatsmedien am Dienstag ausführlich zitierten. Ebenfalls dabei sind Schlüsselmitglieder des Politbüros und des Zentralkomitees der Partei, also der wichtigsten Gremien der chinesischen Politik. Auch Premier Li Qiang hielt eine Rede.
Trotz der Herabsetzung der Bonitäts-Aussichten durch die Rating-Agentur Moody's sei die Finanzlage der Zentralregierung stark genug für eine Erhöhung des Defizits, sagte Zhang Jun, Chefökonom der in Peking ansässigen Galaxy Securities. Gleichzeitig vertreten viele Beobachtende die Ansicht, dass das Defizit im Verhältnis zum BIP mittelfristig unter 3,5 Prozent gehalten werden sollte.
Wenn die Grenze einmal gerissen wird, könnte die Verschuldung schnell auch weiter steigen. Denn die Finanzquellen der öffentlichen Hand, die sich aus dem jahrelangen Boom ergaben, versiegen derzeit eine nach der anderen.
Geld ausgeben im Kampf gegen Klimawandel-Folgen
Peking ist aus all diesen Gründen darauf bedacht, ausufernde wirtschaftliche Rettungsmaßnahmen wie in der Vergangenheit zu vermeiden. Angesichts der schwierigen Lage hat die Regierung aber offenbar keine andere Wahl als eine Konjunkturspritze.
Um sicherzustellen, dass die geplanten Investitionen einen konkreten Nutzen erbringen und nur geringe Nebenwirkungen haben, soll die erste Runde von frischen Mitteln in Höhe von einer Billion Yuan ausschließlich für den Wiederaufbau und für Projekte zum Schutz vor künftigen Wasserkatastrophen in Gebieten verwendet werden, die im Jahr 2023 von Überschwemmungen betroffen waren. Es ist zu erwarten, dass zeitnah weitere Leitlinien für förderwürdige Projekte folgen.
Schwache Nachfrage, verzweifelte Unternehmen
Abgesehen von dem eingebrochenen Immobiliensektor und der Verschuldung der Kommunen stehen die Wirtschaftsbehörden auch vor folgenden Problemen, die einen expansiven Finanzplan für kurzfristiges Wachstum rechtfertigen könnten:
Der Außenhandel schwächelt. Der Exportzuwachs zwischen Januar und November lag nur knapp über Null. Auch die Zukunftsaussichten sind nicht gerade vielversprechend.
Seit Jahresbeginn sind die privaten Investitionen durchweg rückläufig.
Der Verbraucherpreisindex ist von knapp über Null bis auf minus 0,5 Prozent im November gesunken. China befindet sich in der Deflation, einem gefährlichen Wirtschaftszustand.
Auch die Zinssätze sind bereits sehr niedrig.
Schlechte Verbraucherstimmung
China hat noch immer keinen zuverlässigen Indikator für die Arbeitslosigkeit. Doch in diesem Jahr schienen die Nachrichten über Unternehmensschließungen, Personalabbau und Lohnkürzungen bei weitem die Nachrichten über Neueröffnungen und Lohnerhöhungen zu übertreffen – was auf mehr Arbeitslose hindeutet.
Auch der Konsum spiegelt die Lage deutlich wider. Das Mantra der chinesischen Verbraucher im Jahr 2023 lautet „Konsum-Downgrade“ (消费降级): weniger Restaurantbesuche, weniger neue Kleidung und Taschen, weniger Reisen für die Freizeit und generell weniger Luxus.
Die Umsätze im Einzelhandel, das wichtigste Stimmungsbarometer für den Konsum, stiegen von Januar bis Oktober um 6,9 Prozent im Jahresvergleich, und allein im Oktober um 7,6 Prozent. Diese Zahlen erscheinen auf den ersten Blick beachtlich. Aber sie stehen im Vergleich zu 2022, als die Menschen im Lockdown zu Hause waren und lediglich Reis, Toilettenpapier und Covid-Tests kauften.
Modus vivendi für Kommunalschulden
Die Kosten für die Rettung der Kommunen werde letztendlich von den beteiligten Parteien getragen, erklärte eine Analystin in Hongkong, die anonym bleiben wollte. „Es ist eine politische Aufgabe“, sagte sie.
Der Löwenanteil der Schulden der Kommunen besteht aus Darlehen bei Geschäftsbanken. Nachdem sich die Schuldenkrise in diesem Jahr zuspitzte, gab der Staatsrat der Volksrepublik im September Leitlinien vor und wies Schuldner, Gläubiger, das Finanzministerium und die Zentralbank dazu an, sich gemeinsam um Lösungen zu bemühen. Es war die Rede von der Ausgabe von Refinanzierungsanleihen, von Umschuldungen und Restrukturierungen. Die chinesische Zentralbank sagte zu, den am höchsten verschuldeten Kommunen, die sich in unmittelbaren Zahlungsschwierigkeiten befinden, Soforthilfen zu gewähren.
Der Kampf verschuldeter Immobilienunternehmen wie Country Garden hält weiter an. Obwohl die Zentralregierung seit 2022 notwendige Maßnahmen zur Fertigstellung bereits bezahlter, aber noch in Bau befindlicher Gebäude fordert, gibt es nur langsame Fortschritte. Gleichzeitig versuchten viele Kommunen in aller Stille, die Kaufbeschränkungen zu lockern, in der Hoffnung, damit den Markt wiederzubeleben.