China hat große Wirtschaftsreformen angekündigt. Die Optimisten sagen, dass nun viele Jahre gesunden Wachstums garantiert sind. Die Pessimisten klagen, dass die wirklichen Probleme gar nicht in Angriff genommen wurden. Wer hat recht? Drei wichtige Punkte sind zu bedenken.
Zunächst einmal sind die Pläne weder neu noch mutig. Die Entscheider in Peking debattieren darüber seit spätestens März 2007. Damals hatte der Premier Wen Jiabao die berühmte Formel geprägt, Chinas Wirtschaft sei „unstet, ungleichgewichtig, unkoordiniert und nicht nachhaltig“.
Wir wissen seit spätestens 2007, dass China zu abhängig ist von immer neuen Investitionen – und dass es zu viele Fehlinvestitionen gibt. Dass die Verschuldung daher hoch ist und schnell wächst.
Das Volk muss mehr Geld abbekommen
China braucht Reformen, damit die Investitionstätigkeit aus dem weniger effizienten Staatssektor zu den effizienteren kleinen und mittleren Unternehmen verlagert wird. Zugleich muss der Konsumanteil an der Gesamtnachfrage steigen. Das heißt vor allem, dass die privaten Haushalte mehr vom Bruttoinlandsprodukt erhalten müssen.
Zu bedenken ist aber auch, dass es gewaltige politische Widerstände geben wird. Diese Opposition mag sogar erklären, warum nach Jahren dringlicher Debatte noch keine einzige Reform umgesetzt wurde.
Vor 30 Jahren brauchte China hohe Investitionen und betrieb eine Politik, die genau das erreichte: Sie lenkte Ressourcen aus den privaten Haushalten in den Ausbau der Infrastruktur. Auch wurden die Kapazitäten der Industrie ausgeweitet. Der Wohlstand der Privathaushalte stieg dennoch rapide, weil die Wirtschaft insgesamt kräftig wuchs.
Der Staatssektor und die politische Elite profitierten überproportional von diesem Modell, denn sie konnten Investitionen und Kredite steuern. Der Anteil des BIPs, der den einfachen Haushalten zufloss, sank dramatisch, während der Anteil des Staates und der Elite zunahm.
Dafür muss den Eliten genommen werden, das ist schwierig
Daraus folgt jetzt, dass die einfachen Chinesen dringend mehr vom Wohlstandszuwachs erhalten müssen, wenn die Wirtschaft ein neues Gleichgewicht finden soll. Der Anteil des Staates und der Elite muss schrumpfen. Das macht den Reformkurs politisch schwierig: Die Interessen der Elite und die Interessen des Landes liegen nicht mehr so nahe beieinander wie bisher.
Viele Analysten sagen nun, China werde für den Rest der Amtszeit von Präsident Xi mit mindestens sieben Prozent wachsen, weil es ja die nötigen Reformen umsetze. Das ist wahrscheinlich das allergrößte Missverständnis, das es in diesem Anpassungsprozess gibt.
Der große Aufstieg der vergangenen 30 Jahre beruhte auf einem System, das Wachstum zulasten der Privathaushalte subventionierte. Wird dieses System umgepolt, dann reichen die Prozesse nicht mehr, die bisher Wachstum brachten.
Wächst China 2014 und 2015 wirklich mit sieben Prozent, wäre das ein Indiz, dass eben nicht reformiert wurde. Reformerfolg heißt fast zwingend, dass die Wachstumsrate sinkt, wohl auf drei bis vier Prozent. Dieses niedrigere Wachstum wird dann über Jahrzehnte nachhaltig sein und überproportional den einfachen Chinesen zugutekommen.
Die Reformen sind an sich unumstritten – aber sie gehen zulasten des Wachstums und der Elite. Das ist die eigentliche Herausforderung für China. Es ist eine politische Herausforderung – und nur wenige Länder in vergleichbarer Lage sind damit leicht fertiggeworden.
Der Beitrag von Michael Pettis erschien zuerst in der aktuellen Capital. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe der neuen Capital herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.
Das ökonomische Quartett:David McWilliams (Irland), Heleen Mees (Niederlande), Jagdish Bhagwati (Indien), Michael Pettis (USA).Jeden Monat schreibt bei Capital einer dieser vier Ökonomen. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, und jeder hat damit eine andere Perspektive auf die Welt.
Frühere Artikel: Jagdish Bhagwati - "Indiens Absturz ist hausgemacht" & David McWilliams - "Die Tricks der EZB"