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Sozialleistungen Bürgergeld für Ukraine-Flüchtlinge: Das ist der falsche Weg

Geflüchtete aus der Ukraine im Bahnhof Hannover-Laatzen
Seit Juni 2022 können Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland sofort Bürgergeld beziehen. Ist das sinnvoll?
© Michael Matthey/dpa / Picture Alliance
Die Sonderregelung, Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine sofort Bürgergeld zu zahlen, war eine Geste der Solidarität. Nun zeigt sich immer mehr, dass es der falsche Weg ist.

Das Bürgergeld ist eines jener politischen Projekte, bei denen gilt: Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht. Eingeführt im Januar 2023 und von Arbeitsminister Hubertus Heil als „die größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren“ gefeiert, sollte es die Schwächen von Hartz IV ausbessern.

Stattdessen ist es zum Daueraufreger der Politik geworden. Zuletzt hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann die Debatte mit der Forderung befeuert, Totalverweigerern die Unterstützung komplett zu streichen.

Der faule Arbeitslose ist ein Mythos

Das Bild vom faulen Arbeitsunwilligen, der es sich lieber in der Hängematte des Sozialstaats bequem macht, ist ein Klassiker. Er lässt sich indes nur schwer mit Fakten belegen. Fragt man Chefs von Jobcentern nach Totalverweigerern, so sprechen sie von einer Zahl im niedrigen einstelligen Bereich. Schon zu Hartz-IV-Zeiten fiel die Sanktionsquote wegen einer kompletten Verweigerung deshalb sehr gering aus.

Anders verhält es sich mit einem zweiten großen Vorwurf im Zusammenhang mit dem Bürgergeld: dass es falsch und ungerecht sei, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sofort in seinen Bezug kommen können, statt unter das Asylbewerberleistungsgesetz zu fallen.

Eine Geste der Solidarität mit heiklen Folgen

Diese Regelung gilt seit Juni 2022, und sie war als Geste der Solidarität gemeint. Menschen, die vor einem völkerrechtswidrigen Krieg fliehen mussten, sollte hier nicht nur eine gute soziale Absicherung, sondern auch die Möglichkeit geboten werden, schnell Arbeit aufzunehmen. Asylbewerber dürfen frühestens nach sechs Monaten eine Arbeit aufnehmen.

In der Praxis hat dies nicht funktioniert. Von den mehr als eine Million Menschen, die seit Beginn des Krieges aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, ist nur rund ein Viertel in Arbeit und nur rund 20 Prozent in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Obwohl Flüchtlinge aus der Ukraine im Schnitt höher qualifiziert sind als Migranten aus anderen Regionen und obwohl in Deutschland ein Mangel an Arbeitskräften herrscht.

Was andere Länder anders machen

Die Erklärung, dass es unter den Ukrainern viele Mütter mit kleinen Kinder gibt, die schlicht nicht arbeiten könnten, entkräftet sich im internationalen Vergleich. In Ländern wie Polen, Tschechien, aber auch Dänemark und den Niederlanden liegt der Anteil der ukrainischen Flüchtlinge in Arbeit deutlich höher, teils bei über 70 Prozent. 

Eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (Titel: „Mit offenen Armen“) kommt zu dem Ergebnis, dass dies unter anderem finanzielle Gründe hat. Während in Polen und Tschechien die ohnehin niedrigeren Leistungen für ukrainische Flüchtlinge nach ein paar Monaten noch einmal gekürzt werden, ist der Bezug des Bürgergelds in Deutschland grundsätzlich unbefristet. Eine zweite Hürde ist die Bürokratie. Länder wie Dänemark zahlen zwar ähnlich hohe Leistungen wie Deutschland, vermitteln aber schneller in Arbeit, statt zunächst auf langwierige Sprachkurse zu setzen.

Nicht nur unter Einheimischen wächst der Unmut

In der Bevölkerung wächst der Unmut. Nicht nur unter den Einheimischen, von denen viele nicht nachvollziehen können, warum Flüchtlinge auf Anhieb dieselbe Leistung erhalten wie Menschen, die hier geboren sind. Sondern auch unter Migranten, die früher kamen, sich ihre Integration im Wortsinne hart erarbeitet haben und nun den Eindruck haben, dass Ukrainern scheinbar alles „geschenkt“ wird.

Stimmungen sollten nie alleinige Grundlage für Entscheidungen sein. Aber sie müssen ernst genommen werden. Politik kann nur dann funktionieren, wenn eine Mehrheit der Gesellschaft bereit ist, sie – zumindest mittelfristig – mitzutragen.

Was aber heißt es, die Kritik ernstzunehmen? Zweierlei: Die Menschen müssen das Gefühl bekommen, dass ihre Kritik wahrgenommen wird. Und zweitens, dass geprüft wird, ob sie berechtigt ist.

Wenn der Bürgergeldbezug nicht dazu beiträgt, ukrainische Flüchtlinge schneller zu Arbeit zu verhelfen, ist das nicht nur ein Problem für die Aufnahmegesellschaft. Sondern auch für die Flüchtenden selbst. Die Integration in den Arbeitsmarkt ist ein Schlüssel, um in einer Gesellschaft anzukommen und von ihr akzeptiert zu werden. Bleibt dies aus, werden Ablehnung und soziale Spannungen wachsen, befeuert von populistischen Kräften, die mit plumper Polemik Politik machen. Damit ist niemandem gedient.

Die Verantwortung liegt dabei nicht bei den Geflüchteten, sondern bei den Regierenden. Die Sonderregelung des sofortigen Bürgergeldbezugs muss dringend überdacht werden. Gleichzeitig müssen schleunigst bürokratische Hürden abgebaut werden, die Menschen davon abhalten, Arbeit aufnehmen zu können. 

Das Signal muss ein: Wer hier ankommen will, dem helfen wir mit all unseren Möglichkeiten. Für die, die nicht arbeiten können, bieten wir Schutz und Hilfe. Wer aber glaubt, ohne Anstrengung von einem gut entwickelten Netz sozialer Leistungen profitieren zu können, ist in Deutschland an der falschen Adresse.

Dieser Artikel ist eine Übernahme des Stern, der wie Capital zu RTL Deutschland gehört. Auf Capital.de wird er zehn Tage hier aufrufbar sein. Danach finden Sie ihn auf www.stern.de.

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