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Kolumne Brexit auf die harte Tour

Die Brexit-Hardliner haben Oberwasser. Doch die britische Verhandlungsposition ist schwächer als sie denken. Von Holger Schmieding
Die britische Premierministerin Theresa May will in den Austrittsverhandlungen eine harte Position einnehmen
Die britische Premierministerin Theresa May will in den Austrittsverhandlungen eine harte Position einnehmen
© Getty Images
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen.

„Die spinnen, die Briten!“ Mehr denn je könnten sich Asterix und Obelix heute über die Bewohner der Insel jenseits des Ärmelkanals wundern. Deren Debatte um den Austritt aus der Europäischen Union hat sich weit von jeder wirtschaftlichen Logik entfernt. Allerdings stehen die Menschen diesseits der Straße von Dover den Briten in nichts nach. Mit einem kleinen Augenzwinkern ließen sich ein „Die spinnen, die Wallonen!“ und ähnliche flapsige Sprüche genauso rechtfertigen.

Wenn wir nicht aufpassen, könnten sich britischer Eigensinn und die eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Europäischen Union im kommenden Jahr in einem handfesten Krach entladen.

Bleiben wir zunächst auf der britischen Seite. Dort haben die ideologisch geprägten Europa-Gegner derzeit Oberwasser. Nach dem knappen Volksentscheid für einen Austritt aus der EU vom 23. Juni ist die britische Konjunktur nicht in eine Rezession gestürzt. Auch die kurzzeitige Stagnation, die ich selbst zunächst erwartet hatte, ist ausgeblieben. So können die Anti-Europäer dort jetzt behaupten, das Land brauche sich vor den Folgen des Brexits nicht fürchten. Ebenso wie der britische Beschluss, sich 1999 nicht dem Euro anzuschließen, damals das Wachstum des Londoner Finanzzentrums entgegen mancher Warnungen nicht beeinträchtigt hatte, werde auch jetzt ein Ausscheiden aus der EU die anpassungsfähige britische Wirtschaft nicht allzu hart treffen.

"Was uns nicht umbringt, macht uns nur stärker"

Diese Logik der Brexitiere, wie sie nach dem Vorbild der einstigen Musketiere gerne genannt werden, ist aus zwei Gründen falsch. Erstens konnte London nur deshalb außerhalb des Euro zum Zentrum für Euro-Finanzprodukte werden, weil die EU-Verträge allen EU-Mitgliedsländern die gleichen Rechte einräumen, ob Sie nun selbst zum Euro gehören oder nicht. Außerhalb der EU würde London dieses Privileg verlieren. Und zweitens hat der Beschluss zum Austritt aus der EU bisher vor allem deshalb nur einen begrenzten Schaden angerichtet, weil ja noch nichts passiert ist. Statt gleich den Scheidungsantrag einzureichen, hat die neue Premierministerin Theresa May im Sommer erst einmal Urlaub in der Schweiz gemacht, bevor sie sich im September schließlich zu der Aussage durchrang, die zweijährigen Austrittsverhandlungen im März 2017 einleiten zu wollen.

So herrscht an der Themse bislang weitgehend „business as usual“. Die Unternehmen produzieren wie bisher, auch wenn sie offenbar begonnen haben, Investitionspläne auf Eis zu legen und weniger Leute einzustellen. Das Ausbleiben einer unmittelbaren Krise hat die britische Regierung ermutigt, sich auf eine harte Verhandlungsposition zu versteifen. Sie will offenbar die volle Kontrolle über den Zuzug von EU-Ausländern nach Großbritannien und eine weitgehende Unabhängigkeit von der europäischen Rechtsprechung durchsetzen. Sollte dies nur um den Preis möglich sein, dass die EU in der Folge den britischen Zugang zum Binnenmarkt massiv einschränkt, dann sei das eben so. Was uns nicht umbringt, macht uns nur stärker, scheint hier die Devise der tonangebenden Hardliner zu sein.

Auf Seiten der EU zeigt die wallonische Farce, wie schwer es der multinationalen Gemeinschaft fällt, sich in Zeiten eines grassierenden Populismus’ auf irgendetwas Neues zu einigen. Die EU wird wohl mit Ach und Krach das Handelsabkommen mit Kanada unter Dach und Fach bringen, über das schon seit mehr als sieben Jahren verhandelt wird. Aber wie soll diese Gemeinschaft es schaffen, ein weit umfassenderes und wichtigeres Abkommen mit Großbritannien abzuschließen und in Kraft zu setzen? Und das innerhalb der zwei Jahre, die der EU-Austrittsartikel 50 dafür vorsieht.

Miraculix, wo ist der Zaubertrank?

Zunächst einmal dürfte es auf einen Brexit für Hartgesottene hinauslaufen. Ab März 2017 werden die Briten ihre Wünsche für ein maßgeschneidertes Abkommen vorlegen, dass ihnen nahezu alle Vorteile des Binnenmarktes sichern soll, ohne die Freizügigkeit für Arbeitnehmer oder andere unliebsame Regeln behalten zu müssen. Die anderen 27 EU-Mitglieder werden die Rosinenpickerei ablehnen, aber selbst keine nennenswerten Vorschläge vorbringen können. Sie werden sich weder darauf einigen können, den Briten eine gütliche Scheidung nach Maß zu gewähren, noch die abtrünnigen Briten für Ihren Austritt zu bestrafen.

Stattdessen dürfte es vor allem viel Krach geben, wenn die EU27 die Briten weitgehend abblitzen lassen. Wie bereits in diesem Jahr könnte das britische Pfund weiter an Wert verlieren, wenn verunsicherte Investoren daraufhin die Insel meiden.

Für die EU27 ist der Druck, sich mit den Briten zu einigen, vergleichsweise gering. Selbst der vielfache Exportweltmeister Deutschland verdient nur drei Prozent seiner Wirtschaftsleistung durch den Verkauf von Gütern und Leistungen an Großbritannien. Dagegen erarbeiten die Briten sich zwölf Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes durch die Ausfuhr in die EU27. Da die Briten bei einem Einbruch der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen also weit mehr zu verlieren haben als die EU27, sitzen sie bei Verhandlungen am kürzeren Hebel. Das dürfte die ohnehin geringe Neigung und Fähigkeit der EU, auf den britischen Wunsch nach einem maßgeschneiderten Abkommen einzugehen, nicht gerade beflügeln.

Ob es am Schluss dann tatsächlich zu einem knallharten Brexit kommt, ist jedoch keineswegs sicher. Gerade die Schwäche ihrer Verhandlungsposition gegenüber einer kaum bewegungsfähigen EU könnte die Briten schließlich doch noch dazu bewegen, sich von vielen ihrer Wünsche zu verabschieden. Die Uhr tickt ohnehin gegen sie. Denn sofern es kein Abkommen mit der EU gibt, fallen die Briten nach Ablauf der zweijährigen Verhandlungsfrist automatisch aus dem Binnenmarkt heraus.

Kurz vor Ablauf der Zweijahresfrist werden die Briten vermutlich eine Entscheidung fällen müssen, die EU-Skeptiker als Wahl zwischen Pest und Cholera empfinden mögen. Entweder sie verlieren den privilegierten Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt und riskieren einen empfindlichen Einbruch der Investitionen samt eines spürbaren Verlustes hochwertiger Arbeitsplätze. Oder sie akzeptieren zumindest übergangsweise das, was Ihnen die EU27 gerade noch anbieten können, ohne dass die internen Probleme innerhalb der EU27 Überhand nehmen.

Ein denkbarer Übergangsstatus könnte es den Briten vielleicht erlauben, in eng definierten und zeitlich begrenzten Ausnahmefällen den Zugang für EU-Arbeitnehmer einzuschränken. Notfallklauseln haben in der EU durchaus Tradition, eine entsprechende Klausel könnten sich die EU-Mitglieder wohl auch untereinander einräumen. Dafür müssten die Briten als Bedingung für den weitgehenden Zugang zum Binnenmarkt einen Status akzeptieren, der schlechter ist als der für die Schweiz und Norwegen heute. Diese beiden Länder sind Teil des Binnenmarktes mit nahezu allen Rechten und Pflichten. Allerdings können sie die Regeln, denen sie sich damit unterwerfen, nicht selbst beeinflussen, da sie nicht der EU angehören.

Zudem würde die EU in einem Übergangsabkommen mit Großbritannien wohl darauf bestehen, dass ein erheblicher Teil des Handels mit sensitiven Euro-Finanzprodukten der unmittelbaren Aufsicht der EU-Behörden unterliegen und damit von London in die EU27 abwandern müsste.

Warum der Populismus sich nicht durchsetzen wird

Zwei Dinge könnten London dazu bewegen, einen solchen Deal doch zu akzeptieren. Erstens dürften immer mehr Unternehmen, die Großbritannien als Sprungbrett in den gemeinsamen Markt nutzen, bei einem drohenden Scheitern der Verhandlungen einen Teil ihrer Tätigkeit auf den Kontinent verlagern. Zweitens wird die nachlassende Dynamik der britischen Wirtschaft sich auch darin zeigen, dass immer weniger Arbeitnehmer aus Polen und anderen EU-Ländern auf die Insel kommen wollen. Die britische Regierung könnte dies gegenüber ihren Wählern als Erfolg verkaufen. So könnte sie begründen, dass sie sich übergangsweise mit einer weichen Notfallklausel statt mit einer festen Kontrolle über die Zuwanderung aus EU-Ländern zufrieden geben könnte.

Ob die EU überhaupt in der Lage wäre, den Briten vor Ablauf der Zweijahresfrist ein solches mit heißer Nadel gestricktes Übergangsabkommen anzubieten, ist eine offene Frage. Ziemlich sicher scheint dagegen, dass ein Übergangsabkommen ­ welcher Art auch immer ­ weitgehend zum neuen Dauerzustand werden dürfte. Sich auf etwas substanziell Neues zu einigen, fällt den EU27 einfach zu schwer. Deshalb kann ein Übergangsabkommen wohl auch nur eines sein, das den Status quo nur geringfügig ändert und bei diesen Änderungen vor allem Nachteile für die Briten bringt.

Zu hoffen bleibt, dass die Briten die Schwäche ihrer Verhandlungsposition frühzeitig erkennen, statt sich allzu lange auf unrealistische Positionen zu versteifen. Gerade weil es der EU27 so schwer fällt, sich auf irgendetwas zu einigen, können die Briten kaum erwarten, dass die EU27 ihnen weit entgegenkommen werden. Die internen Probleme der EU gehen mehr zu Lasten der Briten, die etwas ändern wollen, als zu Lasten derjenigen, die am Status quo wenig auszusetzen haben. „Die spinnen, die Europäer“, wäre Obelix dazu wohl eingefallen. Aber so ist es nun einmal. Mit ihrem Votum für einen Austritt aus der EU haben die Briten der EU zwar einen schweren Schlag versetzt, aber vor allem sich selbst in eine wenig beneidenswerte Lage gebracht. Zumindest der Auftakt der Brexit-Gespräche könnte ein Fall für Hartgesottene werden.

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