Es sind Szenen, die entfernt an den 1. Mai erinnern: 30 bis 40 Mitarbeiter des Lieferdiensts Gorillas protestierten am Mittwoch mit Sprechchören, Transparenten und Getrommel vor einem Auslieferzentrum in Berlin-Kreuzberg. Mit einer Fahrradblockade versperrten sie den Eingang zum Warenlager, sodass der Lebensmittel-Lieferdienst seinen Betrieb ab circa 16.30 Uhr einstellen musste.
Später am Abend zog der Protestzug weiter zu einem Gorillas-Standort in Berlin-Mitte, der mit einer Sitzblockade ebenfalls lahmgelegt wurde. Die Polizei war mit mehr als 30 Einsatzkräften vor Ort, griff allerdings nicht ins Geschehen ein. Laut einer Polizeisprecherin gab es keine Anzeigen. Am Donnerstagvormittag stellte ein drittes Lager in Prenzlauer Berg den Betrieb ein, nachdem es dort zu einer weiteren Protestaktion gekommen war.
Kündigung löst Protestwelle aus
Auslöser der Proteste war die Entlassung des Kurierfahrers Santiago Rojas (27). Im Gespräch mit Capital gab Rojas an, dass er am Mittwochmorgen von Gorillas ohne Vorwarnung gekündigt worden sei. Der Grund: Er sei 40 Minuten zu spät zur Frühschicht gekommen. Er fahre seit Januar für Gorillas Lebensmittel aus und befinde sich noch in der Probezeit. Bei einem Widerspruch dürfte er daher wenig Chancen haben.
Die protestierenden Gorillas-Mitarbeiter – darunter vor allem Fahrer und Inventurarbeiter –deuten den Vorfall als Akt der Willkür. „Wir arbeiten ein halbes Jahr unseres Lebens für diese Firma. Und dann sagt ihr einfach: Ich mag den Typ nicht, lass uns ihn feuern“, sagte ein Kollege von Rojas. Die Belegschaft fordere eine Rücknahme der Kündigung und eine Neuregelung der Probezeit. Auf Englisch skandierte die Menge: „Wir wollen Santi zurück!“ Ein Transparent mit der Aufschrift „Solidarität mit Santi“ wurde in die Höhe gehalten.
Vor Ort stellte sich Deutschlandchef Harm-Julian Schumacher den Protestlern. In einem aufgeheizten Gespräch erklärte Schumacher den Mitarbeitern: „Es gab von mehreren Leuten negatives Feedback, dass es nicht passt, dass es nicht die richtige Rolle und Firma für ihn ist.“ Deswegen habe man sich entschieden, die Zusammenarbeit mit Rojas zu beenden. In einer offiziellen Stellungnahme von Gorillas hieß es später, die Entscheidung sei "nach Fällen groben Fehlverhaltens" getroffen worden.
Druck auf Gorillas steigt
Das Verhältnis zwischen der Unternehmensführung und dem Fahrerlager ist seit Wochen angespannt. Rund 200 Mitarbeiter haben vergangene Woche bei einer Versammlung in Berlin eine Betriebsratswahl eingeleitet. Nach Informationen von Capital gibt es im Unternehmen konkrete Überlegungen, die Wahl wegen einiger Unregelmäßigkeiten anzufechten.
Die Vorfälle in Berlin zeigen, wie fragil das Geschäft der neuen superschnellen Lieferdienste ist. Gorillas liefert Lebensmittel und Drogerieprodukte per Fahrradkurier aus. Das Kernversprechen des Start-ups ist eine Zustellung innerhalb von nur zehn Minuten. Um dieses Versprechen einzulösen, ist die Firma auf eine engagierte Fahrerbasis angewiesen. Gleichzeitig sind die Fahrerlöhne knapp bemessen und der Effizienzdruck hoch. Wenn Gorillas den Konflikt mit seinen Mitarbeitern nicht lösen kann, stehen dem Start-up schwere Wochen bevor.
Skandale kann sich Gorillas bei seinem rasanten Wachstumskurs eigentlich nicht leisten. Seit dem Start im vergangenen Sommer ist die Firma nach eigenen Angaben in mehr als 30 europäische Städte expandiert. Das Start-up verzeichnet mittlerweile mehr als 200.000 Kunden und eine Million Bestellungen, wie ein Datenleck jüngst enthüllte. Allein am Hauptstandort in Berlin arbeiten rund 2.000 Mitarbeiter für das Unternehmen. Investoren bewerten Gorillas nach der jüngsten Finanzierungsrunde im März mit mehr als 1 Mrd. US-Dollar.

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Hinweis: Der Artikel wurde nach Veröffentlichung durch eine nachgereichte Stellungnahme von Gorillas ergänzt.